Goldschmied Gneupel geht vom Eis

Calgary/Berlin (dpa) - Am 8. November beginnt die olympische Eisschnelllauf-Saison auf dem schnellen Eis von Kanada - es wird die letzte sein für Meistercoach Stephan Gneupel.

Seine schrillen Schreie sind im Olympic Oval von Calgary nicht zu überhören. „Hopp, hopp, hopp. Los jetzt“, fordert er von Stephanie Beckert und deren Bruder Patrick. Gunda Niemann-Stirnemann, Daniela Anschütz, Sabine Völker und Stephanie Beckert führte der Erfurter „Goldschmied“ zu Olympiasiegen. Seine Schützlinge sammelten 19 WM-Titel, 13 Olympiasiege, 17 Weltrekorde und mehr als 150 Weltcupsiege. „Und ich bin zuversichtlich, dass da noch einiges dazukommt“, sagt Gneupel und grinst verschmitzt.

Er gilt als „harter Hund“ und will diesen Ruf auch nicht in Abrede stellen. „Ohne Härte gibt es keine Leistung. Viele meiner Athleten haben mir das nach ihrer Karriere bestätigt: Die meisten beißen sich jetzt auch im Beruf durch. Im Sport haben sie dafür die Grundlagen gelegt“, sagt er nicht ohne Stolz, nachdem der Aufstieg Erfurts zur Eisschnelllauf-Großmacht untrennbar mit seinem Namen verbunden ist.

Leicht hatte es Gneupel nicht, auf dem Eis Fuß zu fassen. Zwischen 1974 und 1984 arbeitete er in der Leichtathletik-Abteilung des SC Turbine Erfurt, hatte mit Hauke Fuhlbrügge oder Uwe Pfügner DDR-Topläufer unter seinen Fittichen. Doch als einer seiner Athleten über Ungarn einen Fluchtversuch in den Westen unternahm, musste Gneupel seinen Job aufgeben. „Man hat mich auf Eis gelegt“, sagt er heute zweideutig. In ungewohntem Terrain begann für ihn als Trainer der 14- und 15-Jährigen eine neue Herausforderung. „Die trainingsmethodischen Prinzipien hatte ich ja studiert. Schnell stellten sich Fortschritte ein, die Arbeit fing an Spaß zu machen.“

An seinen ersten Erfolg kann er sich genau erinnern: „Anke Baier war erst vier Monate bei mir und gewann dann den Meistertitel ihrer Altersklasse vor Claudia Pechstein.“ Als Mehrkampf-Bundestrainer ist die 41-jährige Pechstein jetzt eine seiner größten Olympia-Hoffnungen für Sotschi. Doch der Dauerstreit zwischen seinem Schützling Stephanie Beckert und der Berlinerin nervt den Coach. „Natürlich gibt es mal Reibereien, die bringen alle voran. Aber es muss immer fair und sachlich bleiben“, sagt der 65-Jährige.

Wegen Verwandtschaft in der Bundesrepublik durfte er zu DDR-Zeiten nicht in den Westen reisen und fand erst nach der Wende optimale Trainingsmöglichkeiten. „Ich bin ein Höhentrainingsfreak“, bekennt Gneupel. Sechs Wochen Training im kalifornischen Flagstaff statt der üblichen drei brachten in den 90er Jahren extreme Fortschritte. Ein bisschen bedauert Gneupel, dass seine Schützlinge heute diese lange Zeit nicht mehr in Trainingscamps verbringen wollen.

Bei seiner ersten olympischen Sternstunde war Gneupel gar nicht selbst dabei. „Den Moment, als Franziska Schenk in Hamar 1994 Bronze holte, werde ich dennoch nie vergessen. Eine Hundertstel entschied, ob du ein guter oder ein schlechter Mensch bist...“, sagt er sarkastisch. Aber auch die große Karriere der Gunda Niemann-Stirnemann, die drei Olympia-Medaillen von Sabine Völker 2002
oder der Aufstieg von Stephanie Beckert „wie Phönix aus der Asche“ 2012 bleiben Markenzeichen seiner Laufbahn. Weniger gern erinnert sich Gneupel daran, dass Daniela Anschütz 2009 in Topform die WM wegen Erkältung absagen musste. „Das waren schlimme Stunden.“

Gneupel bleibt in seinen letzten Monaten auf dem Eis bei seinen Ritualen. „Es fällt schwer, mich auf die elektronischen Zeittafeln umzustellen. Deshalb bleibe ich bei meinen alten Klappschildern“, sagt er. Und es schwingt auch ein bisschen Aberglaube mit.

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