„Unterwegs im Zirkus“: Die neuen Sichtweisen des Mario Gomez

Der Stürmer Mario Gomez scheint jener Nationalspieler, der die größte Distanz zu dem überdrehten Fußball-Betrieb aufgebaut hat. Er ist Vater geworden.

 Hat an drei EM-Turnieren un deiner WM-Runde teilgenommen, Stürmer Mario Gomez.

Hat an drei EM-Turnieren un deiner WM-Runde teilgenommen, Stürmer Mario Gomez.

Foto: Christian Charisius

Eppan. Es hätte Zeiten gegeben, da wäre die Nachricht am Nationalspieler Mario Gomez vielleicht nicht so spurlos vorüber gegangen. Hätte ihn enttäuscht und nachdenklich gemacht. Und vielleicht wären irgendwo im Hinterstübchen die Selbstzweifel wieder gewachsen. Fast nebenbei verkündete der zum Trainerstab der deutschen Nationalmannschaft gehörende Miroslav Klose am vergangenen Donnerstag, dass Timo Werner auch im letzten WM-Test gegen Saudi-Arabien beginnen darf. Von Mario Gomez war keine Rede.

Genau wie im Wörtherseestadion von Klagenfurt durfte Gomez’ ehemaliger Klubkamerad vom VfB Stuttgart auch in der BayArena von Leverkusen in der Startelf der deutschen Nationalmannschaft stehen. Ein Treffer erzielen, einen weiteren vorbereiten. Während Gomez selbst am Ende eine eher unglückliche Figur abgab, als er noch einige Minuten spielen durfte. Womit im Grunde die Hierarchie im Angriff anfangs für die WM in Russland geklärt sein dürfte: Der vielseitige Tiefenläufer Werner, 14 Länderspiele, acht Tore, steht vornedran. Der wuchtige Strafraumspieler Gomez, 75 Länderspiele, 31 Tore, dahinter.

Werner, 24 Jahre, gehört gegenüber Gomez, 33, die Zukunft. Er ist ein Prototyp, den sich Bundestrainer Joachim Löw für die Verfeinerung seiner Philosophie immer gewünscht hat. Die Brecher ganz vorne braucht er eigentlich nur für Notfälle.

Aber deswegen ist Gomez für die WM 2018 nicht abgeschrieben. Im Gegenteil. Manager Oliver Bierhoff hielt kürzlich eine längere Eloge auf den Angreifer vom VfB Stuttgart: „Mario bringt Entschlossenheit ein. Er ist reif und nimmt dieses Turnier ganz bewusst wahr und wird sich durch nichts ablenken lassen.“ Als früherer Frontmann der DFB-Auswahl kennt Bierhoff selbst zu gut, wie erfolgsabhängig die Bewertung ausfällt. Held oder Versager. Und dazwischen lange nichts. Wenn er nicht mehr da ist, trifft es eben einen anderen. „Das ist Teil des Business.“

Bierhoff hat auf eine offensichtliche Veränderung hingewiesen, über die der Sohn einer deutschen Mutter und eines spanischen Vaters in bemerkenswerter Offenheit am Medientag sprach. In kleiner Runde parlierte er über die immense Schwankungsbreite in dem Business. „Das Geschäft ist sehr schnelllebig und oberflächlich geworden. Es gibt ja quasi nur noch Sensationen.“ Überhöhungen und Überzeichnungen, Zuspitzungen und Übertreibungen. „Da muss man stabil sein, und das bin ich im Moment.“

Bemerkenswert, wie dieser Mann sich inzwischen selbst als Figur sieht, „die in diesem Zirkus unterwegs ist.“ Eine Beschreibung, bei der sogar Außenstehende zögern. Wenn ein Protagonist wie Gomez, der an drei EM-Turnieren und einer WM-Endrunde schon teilgenommen hat, zu diesem Schluss kommt, lässt das aufhorchen. Weil es von einer Distanz zeugt, die ihm selbst jedoch mehr Freiheit gibt als viele denken. Niemand muss ihm deshalb mangelnden Ehrgeiz unterstellen. Im Gegenteil: „Ich kann das so sehr genießen wie noch nie.“ Auch wenn „gefühlt ein Höhepunkt den nächsten peitscht“.

Der 1,89 Meter große Modellathlet hat für sich erkannt, dass die öffentliche Vereinnahmung bedeutet, dass „jeder sagen darf, was er will.“ Selbst wenn die Urteile übers Ziel hinausschießen. Negative Reaktionen, hat Gomez gelernt, „sind nichts Persönliches“. Aber wie erklärt man das einem zehn Jahre jüngeren Kollegen? Geht im Grunde nicht.

Nachdem er bei der WM 2008 einst aus zwei Metern im Gruppenspiel gegen Österreich den Ball über die Latte schaufelte, gingen Hohn und Spott über ihn nieder. Die Häme konnte er lange nicht loswerden. Solche Erfahrungen könnten der Grund sein, dass Gomez nach der Karriere sich seinen Zeitplan bald nicht mehr vom Rahmenterminkalender des Fußballs diktieren möchte. „In meinem Leben kann ich nicht an einem Wochenende mal irgendwo hinfahren. Das kenne ich nicht. Das konnte ich nie.“ Er möchte den Trainerberuf nicht ausschließen, aber er sagt auch, dass er nach der Karriere erstmal raus möchte aus dem Hamsterrad.

Er wird alles nachholen. Irgendwann, wenn die aktive Zeit endet. Derzeit scheint kaum jemand aus dem 23-köpfigen deutschen Aufgebot — das Unikum Thomas Müller mal außen vor gelassen — so sehr mit sich im Reinen wie die Nummer 23. Kürzlich wurde Gomez auch noch Vater von Sohn Levi. „Jeder, der Papa wird“, erzählte er, „weiß, dass das vielleicht das schönste Gefühl ist, das man erleben kann.“

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