Geburtstag einer Legende Toni Turek, der Fußballgott

Frankfurt. · Der Torwart Toni Turek würde am Freitag 100 Jahre alt. Wer war der Mann, der 1954 so großen Anteil am Weltmeistertitel der Deutschen hatte? Eine Spurensuche.

 Team Deutschland mit Toni Turek in Schwarz vor dem Finale 1954 in Bern, von links: Fritz Walter, Toni Turek, Horst Eckel, Helmut Rahn, Ottmar Walter, Werner Liebrich, Jupp Posipal, Hans Schäfer, Werner Kohlmeyer, Karl Mai, Max Morlock. Deutschland gewann völlig unerwartet mit 3:2.

Team Deutschland mit Toni Turek in Schwarz vor dem Finale 1954 in Bern, von links: Fritz Walter, Toni Turek, Horst Eckel, Helmut Rahn, Ottmar Walter, Werner Liebrich, Jupp Posipal, Hans Schäfer, Werner Kohlmeyer, Karl Mai, Max Morlock. Deutschland gewann völlig unerwartet mit 3:2.

Foto: witters

Er hatte den Ball eigentlich ganz gut getroffen und durfte hoffen, ihn nicht ganz so schnell wieder zu sehen. Ein nur zu menschlicher Irrtum, denn ein gegnerischer Spieler vom Wuppertaler SV drosch das Leder aus rund 60 Metern volley zurück – direkt in sein Tor. Es war ein Treffer mit doppeltem Knalleffekt an jenem Februartag 1946, denn beim Berühren des Netzes platzte die Blase, was in jenen Tagen durchaus des öfteren vorkam. Toni Turek, der düpierte Torwart von TuS Duisburg 1948/99, nahm es gelassen und zeigte dem Publikum grinsend die luftleere Hülle, die mal ein springlebendiger Ball gewesen war. Die Menge lachte und Turek bewies in diesem Moment einmal mehr, dass ihn so schnell nichts aus der Fassung bringen kann.

„Wenn der Ball im Tor war, dann war er eben drin. Daraus wurde keine Staatsaffäre gemacht“, sagte der Mann, der als erster deutscher „Fußballgott“ in die Geschichte einging. Weil er acht Jahre später in Bern nur zwei Tore gegen die Ungarn hinnehmen musste, während seine Kameraden vorne drei schossen – und Deutschland erstmals Fußball-Weltmeister wurde.

Der reaktionsschnelle und stets in sich ruhende Toni Turek war ihre Lebensversicherung, jedenfalls an diesem 4. Juli 1954. 30 Jahre nach dem Triumph starb er als Zweiter aus der Berner Elf, am Freitag wäre der gebürtige Duisburger 100 geworden. Damit rückt der „Torwart stoischer Eleganz“, wie ihn das Fachblatt Kicker 1957 nannte, wieder einmal ins Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit. Fortuna Düsseldorf, für die er von 1950 bis 1955 spielte, bringt ihm zu Ehren ein Toni-Turek-Gedächtnis-Trikot auf den Markt, die Bundesligamannschaft wird es im ersten Heimspiel der Rückrunde gegen RB Leipzig tragen – ganz in Anthrazit. Es ist die Farbe eines Torwartdresses.

Und rechtzeitig zum Jubiläum ist – man glaubt es kaum – die erste Biographie überhaupt über Turek, der offiziell Anton hieß, erschienen. Verfasst von einem Theologie- und Philosophie-Historiker von der Schwäbischen Alb, der sich zuvor eher Geistesgrößen der Aufklärung gewidmet hatte. Dr. Werner Raupp (62) ist nichtsdestoweniger ein Fußballkenner, wie er mit jeder Zeile beweist. Er hütet seit 2008 ein Turek-Archiv, plant auch eine Webseite über das Idol der Nachkriegsgeneration und hat in über zehn Jahren alles zusammengetragen, was aus einer schon fast vergessenen Zeit über Turek aufzutreiben war. „Ich habe ihn ins Herz geschlossen“, begründet der Biograph von Dennis Diderot und Albert Schweitzer seinen Ausflug auf den Fußballplatz, dem der geneigte Leser somit die Rettung von Lebensdaten über Turek und Anekdoten wie die über besagten 60-Meter-Treffer verdankt. Es tat not.

Zimmermann sagte: Turek, Du bist ein Fußballgott

Mehr als der Satz eines hyperventilierenden Radio-Reporters ist der Öffentlichkeit über den ersten Weltmeistertorwart der Republik im Grunde heute nicht mehr bekannt. Und der ist oft genug falsch wieder gegeben worden: „Toni, Du bist ein Fußballgott!“, hat Herbert Zimmermann nie gesagt oder, besser, geschrien – er nannte ihn in der 24. Spielminute nach einer Glanzparade vielmehr beim Nachnamen. Doch die persönlichere Version hat sich durchgesetzt und ist kaum mehr zu tilgen aus dem kollektiven Gedächtnis einer ganzen Nation. Fataler war indes die Bezeichnung „Fußballgott“. Für die damalige Zeit unerhört, musste sich Zimmermann nach Protesten von Kirchenvertretern öffentlich entschuldigen, Turek war sie stets peinlich gewesen.

Zumal er als Sportler nur allzu menschliche Schwächen offenbarte. Mit Bundestrainer Sepp Herberger verband ihn ein nicht spannungsfreies Verhältnis. 1936, da war er 17, landete der damalige Keeper von Duisburg 48/99 erstmals in seinem berühmten Notizbuch. Im letzten Länderspiel im Krieg rückte er im Herbst 1942 erstmals in den Kader, aber erst im ersten Nachkriegsländerspiel am 22. November 1950 gegen die Schweiz (1:0) debütierte Turek im DFB-Dress – mit 31. Bei der WM in der Schweiz war er schon 35 und der Älteste, aber nicht der Reifste. Im Nachlass Herbergers, der ihn 20 Mal aufstellte, finden sich überraschend kritische Worte.

Für die Anhänger war Turek immer die Nummer eins

„Verdient Tonis Spiel auf der Torlinie höchstes Lob und Anerkennung, so kann dies für seine Zusammenarbeit für seine Vorderleute nicht gesagt werden. Toni hatte seine Vorderleute nie so im Griff, wie man es von ihm erwarten musste.“ Nicht nur sein Phlegma regte Herberger auf, auch seine gelegentlichen Eskapaden, etwa wenn er Bälle mit einer Hand fing. „Die Lust zur Schau lag ihm im Blut. Die mahnende Kritik der Männer seiner Umgebung nahm er kaum zur Kenntnis oder schlug sie in den Wind.“ Nach dem ersten WM-Spiel gegen die Türkei musste ihm Herberger deshalb wieder mal „die Leviten lesen“. Aber er hatte keinen Besseren und in den folgenden Spielen, insbesondere im Viertelfinale gegen Jugoslawien (2:0), rechtfertigte der gelernte Bäcker seine Aufstellung.

Ganz im Sinne der Anhänger im Land, für die Turek ohnehin die Nummer eins war, wie sich bei Abstimmungen in der Fachpresse regelmäßig herausstellte. Und wo er auch im Laufe der Jahre spielte – er wechselte sieben Mal (!) den Verein, gleich zweimal war er bei Ulm 46, ein Jahr bei Eintracht Frankfurt – immer sprach man von der „Turek-Elf“. Als Vereinsspieler hatte er wenig Erfolg, spielte auch 2. Liga, und nur mit Ulm gewann er einen Titel – den schwäbischen Pokal 1949.

Und obwohl er Weltmeister wurde, sagte er auf seine alten Tage einen traurigen Satz: „Viel Glück habe ich im Leben nicht gehabt.“ Nur zu verständlich, wenn man auf die Zeit nach seiner Karriere blickt. Bis 1973 arbeitete er noch pflichtbewusst in der Verwaltung der Düsseldorfer Rheinbahn, da schlug das Schicksal eines Sonntagmorgens im September zu. Er konnte nicht mehr aufstehen: Querschnittlähmung, verursacht wohl durch einen Virus. Genau erfuhr man es nie. Es folgten Jahre des Leids. Zahllose Operationen, die doch nichts besser machten. 1977 ließ er sich frühverrenten, saß im Rollstuhl oder ging an Krücken. Vergessen wurde er nie, die Besuche der Kameraden von Bern und die vielen Briefe und Karten aus der Bevölkerung erhielten seinen Lebenswillen. Noch elf Jahre, bis er am 11. Mai 1984 an den Folgen eines Schlaganfalls verstarb und auf dem Friedhof Lindenheide in Mettmann beerdigt wurde. Wovor eben auch Fußballgötter nicht gefeit sind.

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