Petkovic: „Mit 0:6, 0:6 wollte ich nicht aufhören“

Halle/Westfalen (dpa) - Mit einigen Aussagen zum Saisonende hat Andrea Petkovic für viel Wirbel gesorgt. Viele Fans befürchteten, die 28-Jährige würde wirklich aufhören.

Petkovic: „Mit 0:6, 0:6 wollte ich nicht aufhören“
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Im Interview der Deutschen Presse-Agentur spricht die Darmstädterin über ihr schweres Jahr 2015, wie nah sie wirklich dran war, alles aufzugeben und was sie sich für 2016 vorgenommen hat.

Frau Petkovic, schön, dass Sie dieses Interview noch als Tennisspielerin führen. Wie nah waren Sie denn dran aufzuhören?

Andrea Petkovic:Ich war ein bisschen erschrocken, wie die Presse auf mein Interview in China reagiert hat. Weil ich gar nicht so nah dran war, wirklich alles hinzuschmeißen. Mein letzter Satz in dem Interview ist: Meine Fans brauchen sich keine Sorgen zu machen, ich werde nicht einfach verschwinden und nie wiederkommen. Ich habe auch gesagt, ich will nicht mehr SO weitermachen.

Also gab es zumindest Gedanken in diese Richtung.

Petkovic:Es war mir klar, dass ich die Zeit jetzt nutzen muss, die Liebe und den Spaß am Tennis wiederzufinden. Wenn das nicht passiert wäre oder wenn das noch einmal wiederkommt, dann will ich SO nicht weiterspielen. Aber ich fand die Aussagen nicht so endgültig, wie das dann in Deutschland rüber geschwappt ist. Erst, als ich aus China wiedergekommen bin und alle mich darauf angesprochen haben, ist mir die Dimension bewusstgeworden. Es war ein Warnschuss und es war gut, dass es so rausgekommen ist. Weil ich mich nur noch gequält habe, eigentlich schon fünf, sechs Monate lang.

Sind Sie da irgendwie reingerutscht oder gab es einen konkreten Auslöser?

Petkovic:Es war ein langsamer Prozess. Im Nachhinein betrachtet fing es mit der Lebensmittelvergiftung an, die ich mir in Madrid eingefangen hatte. Bis dahin habe ich eineinhalb Jahre eigentlich sehr entspannt gespielt. Nach all den Verletzungen zuvor habe ich mich in dieser Phase nicht mehr so gestresst und zu der Zeit sehr gut gespielt. Die Lebensmittelvergiftung hat mich dann zehn Tage rausgenommen.

Und dann kamen die Zweifel wieder?

Petkovic:Genau. Danach habe ich mir wieder Stress gemacht, hatte Angst, dass ich irgendetwas verpasst hätte. Erschwerend kam hinzu, dass es meiner Mutter nicht so gut geht. Während ich in China war, wurde sie ein paar Mal operiert und ich war so weit weg. Das ist mir sehr schwer gefallen. Das waren die schwierigsten Phasen. Es war irgendwie immer das Gefühl da, ich will gar nicht hier sein, sondern zu Hause. Aber ich bin nicht die Einzige, die in diesem Alter in eine Sinnkrise verfällt.

Wie meinen Sie das?

Petkovic:Ich habe viele Biografien gelesen und Dokus geschaut. Viele Menschen, die viel über sich nachdenken und zur Selbstreflexion neigen, haben mit 27/28 eine absolute Lebenskrise gehabt. Es ist kein Zufall, dass so viele Musiker mit 27 sterben. Es ist einfach eine Phase im Leben, wo du merkst, Mist, gewisse Türen im Leben schließen sich und die öffnen sich nicht mehr. Ich glaube, viele, die das in dem Moment begreifen, kriegen eine Panik.

Sie auch?

Petkovic:Für mich war das auch so. Ich habe immer Tennis gespielt. Es gibt tausend Dinge, die ich machen wollte, aber die ich nicht mehr machen kann. Ich kann nicht mehr Ärztin werden oder Anwältin. Ich kann nie ein Studentenleben führen wie andere. Und das hat mir irgendwie wehgetan in dem Moment, dass sich diese Türen schließen.

Warum haben Sie nicht einfach eine Pause eingelegt?

Petkovic:Ich bin halt ein Disziplin-Tier und habe dann trotzdem von der Quantität alles so weitergemacht wie zuvor. Aber in der mentalen Verfassung, in der ich war, war das dann einfach zu viel. Zudem kam erschwerend hinzu, dass mich durch die Krankheit meiner Mutter niemand mehr aus meiner Familie begleitet hat. Das ist mir eben schon wichtig. Da bin ich ein Sensibelchen, da bin ich noch ein kleines Kind. So habe ich dann nur noch auf meinem Zimmer gehockt und wollte nicht mehr raus. Das Allerschlauste wäre im Rückblick gewesen, wenn ich nach Wimbledon gesagt hätte, ok, du spielst nur noch die großen Turniere und lässt die kleinen weg. Aber ich hatte schon meine Zusage für die anderen Turniere gegeben und ich bin eine, die zu den Dingen steht.

Sind Sie zuversichtlich, dass sich das in Zukunft ändert?

Petkovic:Ich kann es nicht versprechen. Aber ich habe da große Hoffnungen in meinen neuen Trainer Jan de Witt. Er hat ganz klar gesagt, er will das letzte Wort beim Turnierplan haben. Und wenn er das Gefühl hat, es geht nicht, würde er einen Riegel davor schieben. Darauf verlasse ich mich jetzt einmal.

Wie läuft die Arbeit mit Jan de Witt bislang? Wie sind Sie auf ihn als Coach gekommen?

Petkovic:Wir waren schon eine Weile in Kontakt. Und dann haben wir uns irgendwann in Kassel an einer Raststätte getroffen, weil das der Mittelpunkt zwischen Darmstadt und Halle in Westfalen ist. Da haben wir dann fast drei Stunden miteinander geredet. Ich habe ihm viel von mir erzählt, habe mir seine Ansichten angehört, wie er mein Tennis verbessern will, wo er denkt, wo er noch mehr rausholen will. Und er hat mich gefragt, was meine Ziele noch so sind. Danach war ich eigentlich schon sehr zufrieden.

Warum hat es dann bis vergangene Woche bis zur Bekanntgabe der Zusammenarbeit gedauert?

Petkovic:Ich habe gesagt, dass ich erst in den Urlaub fahren und runterkommen will. Um für mich rauszufinden, ob ich das alles nochmal schaffe oder ob ich nicht doch eine längere Auszeit nehmen will.

Also war es nicht so, dass Sie aus China wiedergekommen sind und sofort wussten, ich mache auf jeden Fall weiter.

Petkovic:Nein. Ich habe mit meinem Vater gesprochen und wir haben überlegt, nur die Australian Open zu spielen oder Australien sogar komplett zu streichen. Wenn ich die Entscheidung direkt nach dem Turnier in Zhuhai getroffen hätte, dann hätte ich die Turniere in Australien definitiv abgesagt. Aber ich habe mir dann die Zeit genommen. Die ersten Tage waren nicht so einfach, da war ich ganz unten. Aber dann habe ich gemerkt, dass es langsam besser wird.

Was haben Sie gemacht?

Petkovic:Ich bin mit meiner besten Freundin nach New York geflogen. Auch da war es anfangs noch nicht super, aber dann habe ich gemerkt, ich bin wieder voller Energie. Ich hatte wieder Lust auf Sachen, wollte hier hin wollte dahin...

... war diese Neugier, die Sie ja auszeichnet, vorher weg?

Petkovic:Ja, die Lust auf Abenteuer war komplett weg. Ich war wirklich am zufriedensten, wenn ich in meinem Bett lag, gelesen oder irgendeine dumme Serie auf Netflix geschaut habe. Ich war dann aber auch noch bei Dr. Müller-Wohlfahrt in München. Der gibt mir immer viel Energie. Er hat mir auch eine Standpauke gehalten, dass jetzt noch nicht der Zeitpunkt ist, um aufzuhören. Danach war ich das erste Mal wieder hoffnungsvoll, war ich glücklich und zufrieden. Und mit einem 0:6, 0:6 gegen Navarro wollte ich auch nicht aufhören.

Eine Aussage war "I was depressed". Glauben Sie, dass Sie wirklich depressiv waren?

Petkovic:Ich glaube eher, dass ich Anflüge von depressiven Verstimmungen hatte. Bei einer schweren Depression kannst du ja nicht einmal die kleinsten Entscheidungen treffen, das war bei mir nicht der Fall. Das einzige, was bei mir weg war, war diese Lust, Dinge zu erleben, was mich eigentlich so ein bisschen ausmacht. Aber: Sobald ich zu Hause war, war das weg, von daher glaube ich nicht, dass es eine richtige Depression war.

Haben Sie bereut, dass das Interview so gelaufen ist?

Petkovic:Ein bisschen schon. Wenn ich die Wahl gehabt hätte, hätte ich es zurückgenommen.

Dann blicken wir nach vorne: 2016 steht vor der Tür. Mit welchen Zielen gehen Sie ins neue Jahr?

Petkovic:Ein großes Ziel, das ich mir gesetzt habe, ist es, weniger Turniere zu spielen und den Spaß und die Liebe am Tennis zu erhalten. So wie ich mich jetzt fühle, so möchte ich mich auch fühlen, wenn ich auf der Tour bin. Dass ich morgens aufwache und Bock auf den Tag habe. Spaß und Liebe am Tennis - das ist ganz wichtig für mich. Resultatsmäßig habe ich mir noch gar keine Ziele gesetzt.

Also sagen Sie nicht, ich will wieder in die Top Ten oder ich will ein Grand-Slam-Turnier gewinnen...

Petkovic:Das will ich natürlich alles sehr gerne, aber ich habe es mir nicht als Ziele formuliert. Wir wollen uns mehr auf Dinge konzentrieren, die wir an meinem Spiel verbessern wollen. Aufschlag, Taktik, Spielsituationen besser lesen, so etwas. Ich denke, das ist auch das beste Mittel für mich. Dass ich es genieße, auf dem Platz zu stehen zu dürfen.

2016 steht auch Olympia an...

Petkovic:Das war auf jeden Fall auch ein Faktor, warum ich nicht einfach gesagt habe, so, das war es. Ich habe noch nie in meinem Leben Olympische Spiele mitgemacht und diese Erfahrung möchte ich unbedingt noch machen.

Der Terminkalender ist im kommenden Jahr picke-packe voll. Werden Sie an Ihrem Turnierplan deshalb etwas ändern?

Petkovic:Ja, ich werde weniger kleine Turniere spielen. Ich will nicht, dass der Alltag wieder so Überhand gewinnt. Wenn ich dann Bock habe, mehr zu spielen, kann ich das ja immer noch machen.

Wie hoch steht der Fed Cup 2016 auf Ihrer Prioritätenliste?

Petkovic:Was das Gute an diesem schwierigen Jahr war, war, dass ich für mich gemerkt habe, was mir wichtig ist. Und der Fed Cup ist mir wichtig, deshalb war es nie eine Option für mich, das zu streichen.

Trotz aller Bemühungen haben Sie, Kerber und Co. den Fed Cup noch nicht gewonnen. Auch ein Grand-Slam-Titel fehlt weiter. Stört es Sie, dass einige bereits von einer gescheiterten Generation sprechen?

Petkovic:Nein, gar nicht. Ich frage mich dann immer, wer sind diese Leute, die über mich sagen, ich sei gescheitert. Von daher ist mir das total egal. Ob ich gescheitert bin oder nicht, das entscheide ich selbst. Bin ich gescheitert? Nein. Ich habe ein super Leben. Ich lebe den Traum vieler anderer Menschen. Ich stand dreimal im Viertelfinale und einmal im Halbfinale eines Grand Slams. Ich war im Finale des Fed Cups. Ich war wegen Verletzungen zwei Jahre fast komplett raus und habe trotzdem meine Titel geholt. Was willst du von mir? Das würde ich jemandem antworten, der mir so etwas ins Gesicht sagen würde.

Was glauben Sie denn: Woran liegt es, dass es bislang noch nicht mit einem deutschen Triumph seit Steffi Graf geklappt hat?

Petkovic:Es muss bei einem Grand Slam einfach viel zusammenkommen. Man muss Gegner haben, die dir liegen, auch mal ein schweres Match überstehen und dann in einen gewissen Lauf kommen. Vielleicht hat das eine von uns auch einmal.

Wenn wir in einem Jahr wieder zusammensitzen. Wann würden Sie sagen, es war ein gutes Jahr 2016?

Petkovic:Ich werde vor allem viel davon abhängig machen, wie ich das letzte Viertel des Jahres überstehe. Da war ich in den vergangenen beiden Jahren ziemlich ausgebrannt. Es ist ein großes Ziel von mir, dass ich es schaffe, das ganze Jahr über mental konstant zu bleiben. Ich bin zufrieden, wenn ich zufrieden war.

Kann Ihnen auch Boris Becker dabei helfen? Wie ist der Status ihrer Zusammenarbeit?

Petkovic:Er ist für mich ein loser Berater, an den ich mich wenden kann, wenn ich mal eine Frage habe. Es ist gut zu wissen, dass ich mich an ihn wenden kann. Es gibt manche Menschen, die blühen in einer bestimmten Umgebung auf. Und Boris ist einer, der blüht in der Tennis-Welt auf. Wenn er was sagt, dann spitze ich meine Öhrchen.

Auch politisch war 2015 ein bewegtes Jahr. Wie verfolgen Sie die Entwicklungen mit den Flüchtlingen, die nach Deutschland kommen?

Petkovic:Ich glaube, mit unserer Willkommenskultur waren wir schon auf einem sehr guten Weg. Ich finde, wir sollten weiter versuchen, anderen Menschen zu helfen, denen es nicht so gut geht. Uns geht es sehr gut, wir haben viel Glück und deswegen können wir da denke ich als sehr gutes Vorbild vorangehen. Ich würde mir wünschen, dass Europa in diesem Bereich gemeinsam handelt. Wenn wir eine Europäische Union sein wollen, dann müssen auch als Europäische Union handeln.

ZUR PERSON: Andrea Petkovic, 28, war einige Zeit die beste deutsche Tennisspielerin. Inzwischen ist sie hinter Angelique Kerber die Nummer zwei, steht aber immer noch sehr im Fokus. Nach einem Jahr 2015 mit vielen Problemen will die Darmstädterin 2016 wieder angreifen.

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