Tennis Andrea Petkovic: „Du hattest kurz eine Krise und bist einfach erwachsen geworden“

Halle/Darmstadt. Verzweifelt, ratlos, ihres Berufs müde — das war Andrea Petkovic nach dem letzten Turnier der Tennissaison, die mit einer 0:6, 0:6-Niederlage in China und einem tränen- und gefühlsreichen Interview endete.

In der Krise: Andrea Petkovic.

In der Krise: Andrea Petkovic.

Foto: JEAN-PAUL PELISSIER

Bestens gelaunt, hoch motiviert und voller Tatendrang — das ist Andrea Petkovic in Halle, wo sie sich derzeit auf die nächste Saison vorbereitet und im Interview unter anderem über ihre Krise, New York, Paris, Terrorismus und Würstchengrillen sprach.

Frau Petkovic, beste Darstellerin in einem Drama auf der großen Tennisbühne… wer fällt ihnen da ein?

Andrea Petkovic: Serena Williams läge schon noch um einiges vor mir. Oder Alize Cornet und genügend andere würde ich auch noch vor mir einordnen.

Trotzdem, wie groß ist Ihre Sehnsucht nach einer ganz normalen Tennissaison?


Petkovic: Zwischendurch, wenn es mir nicht so gut geht, immer sehr groß. In dem Moment ist mir natürlich nichts lieber, als dass ich ein weniger verworrenes Gehirn hätte. Aber wenn ich jetzt, wo es mir sehr gut gut, zurückblicke, dann denke ich: och, es gibt doch immer was zu schwätzen über die Olle…

Und wie denkt die Olle von jetzt über die Andrea Petkovic, die in China nach einem 0:6, 0:6 erklärt hat, wie schlecht sie sich als Tennisprofi fühlt?

Petkovic:
Wenn ich könnte, würde ich das Interview sofort zurücknehmen. Man muss aber auch der Reporterin Respekt zollen. Sie kennt mich schon sehr lange und hat in China gemerkt, dass etwas nicht mit mir stimmt. Es war schon nach Mitternacht, die chinesischen Journalisten waren schon alle weg und ich war quasi mir ihr allein. Ich hatte mich nach dem 0:6, 0:6 auf die üblichen Fragen eingestellt und war natürlich auch etwas angeschlagen. Und dann kam die erste Frage: Wie lange möchtest du noch Tennis spielen? Damit hat sie genau mit der Nadel in die Wunde getroffen.

Hat es Sie überrascht, wie sehr sich Tennis-Deutschland um die Zukunft von Andrea Petkovic sorgt?


Petkovic:
Total. Allerdings hat auch eine unglückliche Übersetzung zu der ganzen Geschichte beigetragen. Ich sage im letzten Satz eindeutig nicht, dass ich aufhören will, sondern, dass ich nicht so weitermachen will wie es im Moment läuft. Also entweder ich kriege die Kurve und spiele gerne weiter, oder ich muss mir was anderes überlegen.

Aber wie nah war die Tennis-Bühne dran, Andrea Petkovic als Darstellerin zu verlieren?

Petkovic:
Ich habe schon lange und intensiv überlegt, was ich mache. Und ich habe auch mit meinem Vater darüber gesprochen, ob ich Australien ganz weglassen soll. Ich habe gemerkt, dass ich in keiner Verfassung bin, in der ich vernünftig und mit Spaß spielen kann, sondern es war einfach nur noch Quälerei. Ich hab wirklich eine Zeit gebraucht, um zu kapieren, was ich will und habe auch einen Monat lang gar nicht trainiert. Das, was mich ausmacht, war komplett weg: da mal ins Museum, da mal ein Konzert, da mal die Leute volltexten. Ich bin mit einer Freundin nach New York geflogen. Die ersten Tage musste sie mich noch durchschleppen. Die letzten zwei Tage habe ich gemerkt, dass die Lust auf Unternehmungen zurückkam und die alte Andrea wieder da war.

Aber wieso fliegt man ausgerechnet nach New York, wenn man eigentlich seine Ruhe haben will?

Petkovic: Das war schon sehr lange geplant. Aber ich dachte mir auch: Wenn es New York nicht rausreißt, dann reißt es keiner raus.

Und die Therapie hat angeschlagen?

Petkovic:
Die Therapie hat voll angeschlagen, auch wenn es vier Tage gedauert hat.

Und was macht eine Andrea Petkovic in New York, wenn sie wieder auf vollen Touren ist?

Petkovic: Wir haben in Bars rumgehangen, sind in alle möglichen Museen, das Wetterglück war auf unserer Seite und wir waren viel spazieren. Ich habe vorher Bücher und Dokumentationen von Patti Smith, John Lennon und Woody Allen gelesen und wir haben versucht, die Stationen abzulaufen. Wir waren zum Beispiel im „The bitter end“-Club, wo Woody Allen seine ersten Standup-Comedy gemacht hat. Wir sind so ein bisschen auf den Spuren der New York in den Siebzigern gewandelt, das hat total Spaß gemacht.

Und dann war da noch was mit dem Gitarristen von Led Zeppelin?

Petkovic:
Ich hatte das Gefühl, dass ich mit 28 das erste Mal erwachsen war. Als junger Mensch denkt man, ich kann ja noch alles machen, ich geh noch studieren, werde Arzt, Anwältin oder Schauspielerin. Irgendwann fängt es aber an, dass sich die Türen schließen und man merkt: Ich werde nicht mehr das coole Studentenleben haben. Und ich habe mich gefragt: Hast du was verpasst? In allen Biografien, die ich gelesen habe, kam mit 27, 28 dieser Einschnitt. Und Jimmy Page von Led Zeppelin hat einfach mit 27 ein Jahr lang keine Gitarre mehr gespielt, weil er keine Lust mehr hatte und sich sagte: Ich kann doch nicht für immer in einer Rockband sein, das ist doch kein Leben. Ich habe sicher einen der geilsten Jobs der Welt. Aber wenn jemand einen noch geileren Job hat, dann sind es Rockstars. Die geben Konzerte und haben nur positive Erlebnisse, weil ja nur Leute kommen, die sie sehen wollen und ihnen zujubeln. Ich dagegen habe ja immer noch eine Gegnerin, es kann gut und es kann schlecht ausgehen. Ich habe dann aber das erste Mal die ganze Sache ins Positive für mich gedreht und mir gesagt: „Wenn einer wie Jimmy Page das sogar hat, dann ist das auch für Dich o.k. Du hattest kurz ne existenzielle Krise, bist einfach erwachsen geworden und siehst jetzt alles etwas realistischer und nicht mehr so fantastisch.“

Jimmy Page hat die Saiten für ein Jahr aus der Hand gegeben, aber Sie wollten die Tennissaiten nicht loslassen?

Petkovic: Irgendwann habe ich gedacht: Jetzt geht’s mir wieder super, aber dann kommt die Frage: geht’s mir gut, weil ich zu Hause bin bei Familie und Freunden, oder geht’s mir wirklich gut? Da war mir klar, ich muss mich mit der Situation konfrontieren. Ich muss nach Halle gehen und wenn ich hier drei Wochen in der Abgeschiedenheit mein Ding durchziehe und diese Vorbereitung zum zehnten Mal in meinem Leben durchstehe, dann hast du das Schlimmste im Leben überwunden. Das war am Anfang nicht einfach, aber jetzt macht es mir wieder Spaß.

Sie haben in besagtem Interview ja auch beklagt, zu oft weg von zu Hause zu sein. Und jetzt trainieren sie im fernen Halle statt wie in den vergangenen Jahren im nahen Offenbach.

Petkovic:
Ich hätte total gerne in Offenbach weitertrainiert. Ich wusste aber auch, wenn ich nochmal einen Schritt machen will in meiner Tenniskarriere, dann muss ich nochmal neue Sachen lernen. Das hat mich auch ein bisschen gerettet, aus dem Alltagstrott rauszukommen. Und wie gesagt: Wenn ich es hier schaffe, ohne einen einzigen Menschen zu kennen, dann bin ich auch wieder bereit für die Tour.

Sie hatten in den letzten Jahren doch eine recht hohe Fluktuation auf dem Trainerposten. Formulieren sie doch mal kurz eine Stellenausschreibung für den Trainer von Andrea Petkovic?


Petkovic:
Für mich war immer wichtig, dass die Person, die mit mir zusammenarbeitet, mir als Mensch Respekt einflößt. Viele Tennistrainer machen ihren Job sehr gut, sind aber sehr eindimensional auf Tennis fixiert. Das ist immer schwierig für mich, wenn ich merkte, dass sie gar kein Interesse für was anderes haben. Das ist eine komplexe Sache im Tennissport, wo ich zwar zahle, aber der Trainer der Boss sein muss. Jan de Witt ist jemand, der sehr stark in der Persönlichkeit ist, ganz klar seine Gedanken formuliert, gerade heraus kommuniziert und auch seine private Distanz behält. Dadurch merke ich, dass ich ihm ganz anders zuhöre. Jedes Wort, das er sagt, sauge ich momentan auf wie ein Schwamm. Er ist auch sehr gebildet, hat Geschichte studiert und war auch schon in der Kommunalpolitik aktiv.

Also der ideale Trainer für Andrea Petkovic ist ein tennisspielender Literaturkenner, der gerne ins Konzert geht und nebenbei noch ein bisschen Kommunalpolitik macht?

Petkovic:
Das ist natürlich das Idealbild und es ist auch irgendwie gemein, Anforderungen an Menschen zu haben, die über deren Job hinausgehen. Ich wünschte, ich hätte diese Anforderung nicht. Das Problem ist aber: Wenn mir jemand sagt, was ich zu tun habe, dann will ich das Gefühl haben, dass er mir intellektuell überlegen ist. Man ist auf der Tour halt 24 Stunden am Tag zusammen, da ist es schwierig, wenn sich der andere nur für Tennis interessiert. Ich kann das nicht so gut trennen. Das ist für mich ein Bild, ein großes Jackson-Pollock-Bild (ein US-amerikanischer Maler, der berühmt ist für sogenanntes Action-Painting, die Red.).

Eine andere Lieblingsstadt von Ihnen ist Paris. Und früher noch als für die Fußballer stehen für Sie im nächsten Jahr Einsätze in der Stadt an, die vom Terror erschüttert wurde. Mit welchen Gefühlen denken Sie an die French Open?

Pektovic
: Mich hat das einfach nur wütend gemacht. Wir waren in New York, als das passiert ist und haben alles quasi live am Fernsehen verfolgt. Es ist schon ein mulmiges, aber auch trotziges Gefühl, wo ich denke: Das ziehen wir auf jeden Fall durch. Aber das ist die Welt, in der wir leben, das muss man akzeptieren.

Zu dieser Welt gehört, dass Menschen wegen ihres Glaubens den Rest der Welt terrorisieren. Kann man solche Gedanken annähernd nachvollziehen?

Petkovic:
Ich glaube, dass diese Terroristen oft sehr eindimensional denken und dadurch sehr leichtes Zielgut für die manipulierenden Mächte dahinter sind. Ich hoffe sehr, dass sich irgendwann alles beruhigt und in 20, 30 Jahren wird die Welt ein ganz anderes Bild darstellen. Aber jetzt befinden wir uns gerade in einem Umbruchprozess, der schmerzhaft für alle ist.

Drei Berufsvorschläge, wenn Sie dann doch irgendwann mit dem Tennisport aufhören sollten. Der erste: Außenministerin?

Petkovic:
Politik wäre nichts für mich. In manchen Situationen denke ich, das mir das total Spaß machen würde und ich eine Riesenmotivation hätte, das gut zu machen. Aber wenn ich schon im Tennis so hoch und runter gehe, wie soll ich da Verantwortung für Deutschland oder irgendein anderes Land und deren Bürger übernehmen?

Zweiter Vorschlag: Schriftstellerin, Stoff genug hätten Sie ja schon…

Petkovic:
Als Kind wollte ich Schriftstellerin werden, aber ich kann einfach nicht gut schreiben. Und ich will die Leute nicht mit schlechtem Material belästigen.

Dritter Vorschlag: Grillwürstchen-Fachverkäuferin.

Petkovic:
Das könnte ich saugut. Die Sache beim Heimspiel des SV Darmstadt 98 hat mir Riesenspaß gemacht. Das war einfach mal nur Machen. Es war hektisch, du musstest schnell sein und hattest keine Zeit drüber nachzudenken. Du hattest nur drei Möglichkeiten: Paprikaworscht, Rindsworscht oder Bratworscht… Das war für mich so ein bisschen wie eine Meditation.

Und das als Teilzeit-Vegetarierin.

Petkovic:
Ich versuche tatsächlich, sechs, sieben Mahlzeiten die Woche vegetarisch und manchmal auch vegan zu essen. Frühstück bereite ich immer vegan zu, außer manchmal ein Ei.

Wissen Sie eigentlich noch, wie das Spiel der Lilien gegen den 1. FC Köln ausgegangen ist?

Petkovic: 1:1, oder…

Nein, 0:0. Aber Sie waren wohl etwas abgelenkt, wie man unschwer sehen konnte…

Petkovic:
Ja, die Sabine Lisicki kam überraschend nach Darmstadt und da haben wir ein bisschen auf der Tribüne gebabbelt . Aber ich hab auch gehört, das Spiel soll nicht so gut gewesen sein (lacht). Nein, ich hab auch ein bisschen geguckt..

Was denkt ein Eintracht-Fan über andere Eintracht-Fans, die Lilien-Fahnen verbrennen?

Petkovic:
Der Barkeeper hier im Hotel und ich, wir waren die einzigen, die das Spiel interessiert hat. Ich habe das Spiel wirklich genossen. Ich habe teilweise gelacht über die Darmstädter, dass Sie schon ab der 30. Minute auf Zeit gespielt haben und über die Eintracht, dass sie einfach nicht durchkam. Als das mit den Fahnen passiert ist, war ich echt sauer darüber, wenn sogenannte Fans Hass ausüben. Wir haben so viel Hass auf dieser Welt und wenn irgendetwas für Gutes und Schönes steht, dann doch bitte Kunst und Sport. Und im Sport hat Hass nichts zu suchen.

Fühlt man sich eigentlich als potenzieller Olympiakandidat persönlich getroffen, wenn Deutschland keine Lust auf Olympia hat?

Petkovic:
Ich glaube, es war ein unglücklicher Zeitpunkt. So kurz nach den Attentaten von Paris und dann muss man ja auch ganz klar sagen, dass sich die Funktionäre im Sport nicht von der besten Seite in den letzten Monaten gezeigt haben. In anderen Ländern, wo Emotionen eine größere Rolle spielen, entscheidet man sich eher für Olympia. Aber ich kann die Entscheidung von Hamburg auch verstehen und will es nicht komplett negativ auslegen. Ich würde eher sagen, dass das Nein zu Olympia auch für eine aufgeklärte Gesellschaft steht.

Gut also, dass es noch so reiche Länder wie Brasilien gibt…

Petkovic:
Aus der reinen Sicht eines Profisportlers ja. Ich war noch nie da, deswegen bin ich sehr gespannt. Ich freu mich schon drauf und hoffe, bei Olympia dabei zu sein.

Und schon ist der eigene Leistungsdruck wieder da..

Petkovic:
Na ja… Aber das war auch eines der Argumente, was mich davon abgehalten hat, den Sport an den Nagel zu hängen. Das eine war: Mit einem 0:6, 0:6 abtreten geht gar nicht. Und vor allem Olympia hat mich dazu bewogen, nochmal näher drüber nachzudenken.

Wenn Sie die Kurve wie gewünscht kriegen, wie sieht dann die Marschtabelle für 2016 aus?

Petkovic:
Mein Ziel ist es, dass ich am Ende der Saison Interviews gebe, in denen ich den Menschen nicht erklären muss, was der Unterschied zwischen depressiver Verstimmung und Depression ist. Und zum anderen will ich nicht erklären müssen, ob ich weiterspiele oder nicht. Das heißt übersetzt: Ich werde deutlich weniger Turniere spielen und ich will einfach so spielen, dass ich die Liebe am Sport nicht verliere. Ich habe es zwar bislang nicht geschafft, eine zufriedenstellende Konstanz über ein ganzes Jahr hinweg beizubehalten. Aber ich habe mit Jan de Witt ein gutes Gefühl, dass er es schafft, mich in Balance zu halten.

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