Olympia Savchenko und Massot: Das kitschigste Gold der Spiele

Aljona Savchenko und Bruno Massot präsentieren eine perfekte Weltrekordkür mit sagenhaften Gefühlen. Der Weg war weit.

Pyeongchang. Gebannt sind alle Blicke auf das Podest gerichtet. Der oberste Platz ist noch frei. Aljona Savchenko aber fährt einen Umweg und direkt auf Bruno Massot zu. Sie geht vor ihm in die Knie. Aus Dankbarkeit. Vor seiner gigantischen Leistung in der Kür ihres Lebens. Auch der gebürtige Franzose sinkt nieder. Auf Augenhöhe umarmen sie sich. Sie weinen.

„Diesen Moment gibt es nur einmal“, sagt Aljona Savchenko. Sie kostet ihn aus. „Ich glaube an das, was ich mache“, sagt die 34-Jährige. „Ich habe daran geglaubt, dass Bruno der Richtige ist und mich mein Bauchgefühl nicht täuscht.“

Sie sind ein Eis-Paar, kein Liebes-Paar, doch in ihrer Kür sind nicht nur die Blautöne in ihrer farblich aufeinander abgestimmten Kostüme fließend, auch die Bewegungen ihrer bis ins letzte Detail ausgefeilten Choreographie sind bis in die letzte Faser ihrer Körper stimmig. Savchenko hatte die Idee, bei Christopher Dean anzufragen, ob er mithilft, ihre Botschaft zur Musik aus dem Dokumentarfilm „Die Welt von oben“ auf das Eis zu bringen. Der Brite sagte ja — und im Team mit Trainer Alexander König und Massots Coach Jean-Francois Ballester entsteht ein Meisterwerk, in dem die Kunst dem Sport ebenbürtig ist. „Die Kür ist zukunftsweisend“, sagt Udo Dönsdorf, Sportdirektor der Deutschen Eislauf-Union, und meint damit nicht nur den Punkte-Weltrekord von 235,90, der zum ersten deutschen Olympiasieg seit 1952 führt, als die inzwischen verstorbenen Ria Baran und Paul Falk für die Düsseldorfer EG starteten und in Oslo als Ehepaar Gold holten. Damals noch ohne Trainer und Choreografen. „Sie haben Neues geschaffen, das tänzerische Element ins Paarlaufen hinein komponiert und es damit weiterentwickelt“, sagt Dönsdorf.

Für eine gemeinsame Zukunft? Die ist offen. Sicher ist nur, dass Alexander König den Stützpunkt in Oberstdorf nach einer Dekade verlässt und zurück zu seiner Familie nach Berlin kehrt. Den Umzug hat er schon um ein Jahr geschoben — „für Aljona und Bruno“.

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Sie liegen einfach nur da auf dem kalten Eis, unter ihnen sind die olympischen Ringe eingelassen. Eng umschlungen. Erst mit Verzögerung registrieren die Zwei, dass sich die meisten der etwa 8000 Zuschauer in der Gangneung Ice Arena von ihren Plätzen erheben, jubeln und klatschen, selbst die zweimalige Olympiasiegerin Katarina Witt hat feuchte Augen. Gänsehaut und womöglich das Wundervollste, was die Eiskunstlauf-Welt im Paarlaufen bisher bewundert hat. Im fünften Anlauf gelingt Aljona Savchenko, wonach sie stets gestrebt hat: Olympia-Gold. „Es ist mein Moment, es ist meine Geschichte“, sagt die gebürtige Ukrainerin.

Eine große Story mit Happy End: Bei den fünften Spielen mit dem dritten Partner. Mit Robin Szolkowy holt sie in Vancouver 2010 und Sotschi 2014 nur Bronze, weil der Chemnitzer sich Aussetzer bei den Sprüngen leistet. Wie Bruno Massot, der so lange um die deutsche Staatsbürgerschaft kämpft, im Kurzprogramm am Mittwoch. Den Salchow springt er nur doppelt statt dreifach. Platz vier. „Eine Dummheit“, sagt der 29-Jährige. Der Fehler trifft ihn hart. Und Savchenko ist stocksauer auf ihn. Doch am Morgen sagt sich dieses 44-Kilo-Persönchen: „Wir wollen Geschichte schreiben — und wir kämpfen wie die Tiger.“ Trotz sechs Punkten Rückstand reicht es zu Gold, knapp vor den Weltmeistern Wenjing Sui/Cong Han Cong aus China. „Das zieht einem den Boden unter den Füßen weg“, sagt Alexander König, „man glaubt zu schweben.“ Er sei „völlig fertig“, schreibt der Teamarzt der Eisläufer, Orthopäde Sven Authorsen aus Ratingen, in unsere Redaktion.

Aljona Savchenko schwebt. Weil Massot sie wie eine Feder auf die freie Stufe des Podests hebt. Sie weinen, halten immer wieder ihre Hände — zum Zeichen, dass sie an diesem Tag nichts auseinanderbringt. In den vier Jahren, in denen sie nun gemeinsam trainieren, sind sie von Chemnitz nach Oberstdorf gegangen, haben Alexander König und ihr privates Glück gefunden, meistern viele Hindernisse. Savchenko küsst ihren stolzen Mann Liam Cross. Das Knäuel der Freude komplettieren Bruno Massot und seine Freundin. Er sagt: „Alles hat sich zum Positiven gewendet. Wir geben niemals auf. Und wir können das noch besser. Nächsten Monat steht die WM an, da wollen wir es toppen.“ Natürlich.

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