Tour-Prolog an Cancellara - Platten bei Martin

Lüttich (dpa) - Tony Martin war völlig bedient. Konsterniert und geschockt stürmte der Zeitfahr-Weltmeister nach seinem bitteren Tour-Prolog in den Teambus und wollte erstmal niemanden sehen.

Eine kleine Glasscherbe hatte dem 27-Jährigen in Lüttich das Hinterrad aufgeschlitzt und damit alle Chancen auf den Tagessieg und das erste Gelbe Trikot seiner Karriere genommen. „Ich war nach einem Rennen noch nie so enttäuscht“, meinte Martin, als er dann doch ins Freie trat und erst langsam wieder die Fassung erlangte. „Jetzt ist der Traum von Gelb vorbei. Der Frust baut sich erst langsam ab.“

Chancenlos musste Martin mitansehen, wie der Schweizer Fabian Cancellara zum fünften Prolog-Sieg beim wichtigsten Radrennen der Welt fuhr und dabei den Rundfahrt-Favoriten Bradley Wiggins mit sieben Sekunden klar distanzierte. Vor dem Start hatte Martin noch optimistisch verkündet: „Das ist ein guter Kurs mit langen Geraden.“ Am Ende wurde er mit 23 Sekunden Rückstand nur 45.

Nun will sich der Wahl-Schweizer ganz auf das lange Zeitfahren der 9. Etappe nach Besancon konzentrieren, in das er mit gehörig Wut im Bauch gehen dürfte. „Da bin ich jetzt doppelt motiviert“, meinte er. Neben Prolog und den beiden Tour-Einzelzeitfahren hatte sich Martin vor allem auch das olympische Rennen als großes Saisonziel gesetzt. „Besser heute als in London“, sagte sein Manager Jörg Werner zum technischen Malheur.

Bester deutscher Starter in der belgischen Industriestadt wurde überraschend Tour-Neuling Patrick Gretsch, der auf den siebten Rang fuhr und für den 6,4 Kilometer langen Kurs nur zwölf Sekunden länger benötigte als Olympiasieger Cancellara. Der Schweizer, der an gleicher Stelle vor acht Jahren seinen ersten Tour-Tagessieg gefeiert hatte, meinte: „Das ist ein großer Tag für mich, für meine Familie, meine kleine Tochter und meine schwangere Frau, die zu Hause geblieben sind. Mir ist ein großer Stein vom Herzen gefallen.“

Für Martin hatte es zunächst gut ausgesehen, bei der Zwischenzeit lag er nur eine Sekunde hinter Cancellara und sechs Sekunden vor Wiggins. Unmittelbar nach Halbzeit der Strecke musste er dann aber unfreiwillig sein Rad wechseln und war aller Chancen beraubt. „Das war ein klarer Durchschnitt“, kommentierte Rolf Aldag den Platten. Der Ex-Profi war als technischer Berater extra angereist und musste unter anderem mitansehen, wie Martin Worte für die Enttäuschung suchte, während nur einen Schritt daneben sein Omega-Teamkollege Sylvain Chavanel den überraschenden dritten Platz still feierte.

Für Gretsch, Marcel Kittel und Dominik Nerz war die kleine Runde in Lüttich schon vor dem Start ein Erfolg - alle drei gaben ihr Tour-Debüt. Als „kurz und schmerzhaft“ bezeichnete Kittel seinen ersten Auftritt mit einem Schmunzeln. „Die Nervosität ist schon sehr groß“, räumte der Sprintspezialist ein. Hunderttausende Zuschauer seien eine Extra-Motivation gewesen. „Bei dieser Kulisse tritt man automatisch fünf Watt mehr“, sagte Kittel.

Die erste Etappe führt an diesem Sonntag von Lüttich nach Seraing und zwingt die Favoriten gleich zu Beginn zu erhöhter Aufmerksamkeit. Auf der kurzen, aber steilen Schlussrampe kann man sofort wertvolle Sekunden verlieren. Die Sprinter werden nach 198 Kilometer wohl nicht in den Kampf um den Tagessieg eingreifen können. Ihre große Stunde schlägt zum ersten Mal am Montag.

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