Schur: Rastloser Klassenkämpfer wird 80

Berlin (dpa) - Immer noch rastloser Klassenkämpfer mit großer Fangemeinde: In „Täve“ Schur feiert der wohl populärste Sportler aus DDR-Zeiten am 23. Februar seinen 80. Geburtstag. Politisch ist der ehemalige Volkskammer-Abgeordnete fest in seinen Wurzeln verankert.

Vier Kinder, sieben Enkel und an schönen Tagen noch bis zu 70 Kilometer auf der Rennmaschine aus Carbon: Gustav Adolf „Täve“ Schur, der populärste Sportler vergangener DDR-Zeiten, feiert am Mittwoch seinen 80. Geburtstag als zufriedener Rentner. Manchmal, wenn die Enkelkinder da sind, fährt er eine Runde mit seinem blauen Trabi mit der Friedenstaube auf dem Kühler.

Die nächsten 20 Jahre hat Schur, immer noch rank und schlank, fest umrissen: „Wir 'Ossis' können 100 Jahre alt werden, und wir müssen auch 100 Jahre alt werden.“ Gefeiert wird am Samstag in Kleinmühlingen - „Tusch für Täve“ steht auf der Einladung, die die Unterschrift des Bundestagsfraktionsvorsitzenden Gregor Gysi trägt.

Politisch ist sich der ehemalige Volkskammerabgeordnete Schur treugeblieben. Der Amateur-Weltmeister von 1958 und 1959, zweifacher Sieger der Friedensfahrt und nach der Wende für die PDS auch vier Jahre im Bundestag, sitzt als Vertreter der Partei „Die Linke“ im Gemeinderat seines Geburtsortes Heyrothsberge in Sachsen-Anhalt. „Die Gesellschaft war richtig - nur nicht stark genug“, lautet sein Rückblick auf die DDR in Kurzform. Der immer noch rastlose Klassenkämpfer preist das „Solidarische und das Miteinander“ vergangener Zeiten. „Heute regiert Geld die Welt. Jeder macht seins.“

Eine knappe Woche vor seinem Ehrentag präsentierte Schur in Berlin seine zweite Autobiografie. Vor über 200 Gästen im Haus der Tageszeitung „Neues Deutschland“ (ND) las er aus seinen Erinnerungen, nachdem er durch das Spalier seiner ergrauten Fans auf dem Rad zur Bühne gefahren war. Der beinharte SED-Ideologe aus alten Zeiten, der frühere ND-Sportchef Klaus Ullrich Huhn, brachte sie wieder zu Papier. Das Wort „Ghostwriter“ vermeidet Schur, er nennt den alten Parteigenossen in seinem Buch „Mechaniker fürs Memoirenrad“.

„Täve - die Autobiografie“ ist eine überarbeitete und erweiterte Fassung der ersten Biografie von 2001, die nach Verlagsangaben 10 000 Mal verkauft wurde. Den Gästen der Lesung am Franz-Mehring-Platz war eine Broschüre „Zum Gedenken an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht“ in die Hand gedrückt worden.

Schur, der erst recht zum gefeierten Superstar wurde, als er 1960 seinem Teamkollegen Bernhard Eckstein auf dem Sachsenring den Weltmeistertitel überließ, interessiert sich auch heute noch für den Radsport der Elite. Allerdings quittiert er ihn eher mit Kopfschütteln, genau wie er nie verstand, warum sein Sohn Jan nach der Wende Profi in Gianni Bugnos Team in Italien wurde. „Es gibt Dinge, die gibt es gar nicht - ich wundere mich nur“, kommentierte er die aktuellen Doping-Affären um Alberto Contador und Riccardo Ricco. In fast rührender Naivität hat er auch dafür eine politische Erklärung parat: „Die Gesellschaft erzieht ihre Sportler.“

Das Doping-Problem in der DDR sei laut Schur von den (westlichen) Medien „hochgespielt“ worden. Eigene Verfehlungen hätte es laut Schur in dieser Richtung „meines Wissens“ nicht gegeben. In seinem Buch schreibt er von „Ärzten, die mein Training steuerten“. In einem Rennen in Italien im Anschluss an seinen WM-Triumph 1958 hätte er aus einer Flasche eines italienischen Konkurrenten getrunken und sei in der schweren Prüfung Vierter geworden, „obwohl ich völlig platt“ war. „Wer weiß“, sagte Schur, „vielleicht war da was drin.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort