Radprofi Martin träumt von Gelb - Kritik an UCI

Bottighofen (dpa) - Mit Blick auf den idyllischen Yachthafen in Bottighofen am Bodensee legt Tony Martin im Wirtshaus „Schlössli“ einen kurzen Trainingsstopp ein. In 14 Tagen beginnen für ihn bei der Tour de France die hektischsten drei Wochen des Jahres.

Er will bei seiner dritten Teilnahme hoch hinaus und träumt sogar vom Gelben Trikot. Möglichkeiten dafür sieht die größte deutsche Tourhoffnung zum Auftakt. „Die Wahrscheinlichkeit, dass wir es auf den ersten vier Etappen holen können, ist ziemlich groß“, sagte Martin in einem Interview mit der Nachrichtenagentur dpa.

„Vielleicht klappt's bei mir nach dem Mannschaftszeitfahren. Ich rechne mir aber auch Chancen in der ersten Etappe aus, die mit einer Steigung endet“, ergänzte Martin, der sich erstmals zu den ominösen UCI-Doping-Papieren äußerte, in denen auch sein Name auftaucht.

Nur eine Sache verdirbt Martin die Vorfreude auf den ab 2. Juli anstehenden Saisonhöhepunkt: der Fall Contador. „Es ist eine schwache Leistung, dass kein Urteil vor der Tour gefällt wurde. Die Fans werden verarscht und es ist nicht gut für den Radsport“, meinte der HTC-Profi zur Doping-Causa des dreimaligen Toursiegers. Der erneut große Favorit aus Spanien muss sich acht Tage nach dem Tour-Finale einem Prozess vor dem Internationalen Sportgerichtshof CAS stellen.

Bei einem Schuldspruch riskiert Contador eine Zweijahressperre und den Verlust seiner 2011 errungenen Siege. Er dürfte dann also sein Rosa Trikot vom Giro und das womöglich frisch erkämpfte „Maillot Jaune“ aus Frankreich gleich wieder abgeben - die Tour als Farce.

Bei HTC will man sich dennoch aufs Sportliche konzentrieren. Jetzt oder nie lautet die Devise von Martins Teamchefs. „Wenn er etwas im Gesamtklassement versuchen will, dann diesmal“, sagte Rolf Aldag, der den Werdegang Martins bei der Tour bisher als Berg- und Talfahrt erlebte: Bei seinem Debüt 2009 fuhr er lange im Weißen Trikot des besten Nachwuchsfahrers und wurde auf dem legendären Mont Ventoux Zweiter. Im Vorjahr kam die Ernüchterung.

„Ohne diese Erfahrungen wäre ich vielleicht jetzt nicht so weit. Bei mir geht es immer step by step. Ich will in diesem Jahr einen Platz zwischen fünf und zehn“, sagte der ausgebildete Polizeimeister, der in dieser Saison mit Siegen bei der Algarve-Rundfahrt, bei Paris- Nizza und den Zeitfahren der Baskenland- und Dauphiné-Rundfahrt von sich reden machte.

In Aldags Tour-Hochrechnung spielt Martin eine große Rolle: „Ihm rechne ich auf der 4. Etappe an der Mur de Bretagne mit dem Schlussanstieg große Chancen aus.“ Martin, der im Tour-Team mit die Unterstützung von Peter Velits und Tejay van Garderen rechnen kann, während das übrige Kontingent großteils den Sprintern vorbehalten sein dürfte, konzentriert sich zunächst auf die beiden ersten Tage.

Die Tour 2010 hatte in diesem Mai noch für erhebliche Nachbeben gesorgt, die auch Martin erschütterten. Auch gegen ihn wurde ein Dopingverdacht geäußert, wie aus Geheimpapieren des Weltverbandes UCI hervorgeht, die die französischen Zeitung „L'Équipe“ veröffentlichte.

In einer Rangliste aller Tourstarter von 2010 gestaffelt nach Punkten von 0 bis 10 (am höchsten verdächtig) erhielt Martin sieben Zähler und war damit unter den deutschen Fahrern nach Danilo Hondo (acht) zusammen mit einem weiteren einheimischen Profi die Nummer zwei. Er könne sich die Klassifizierung nicht erklären. „Wir haben von unseren Ärzten die Blutpässe extra rückwirkend checken lassen - ohne auffälliges Ergebnis“, sagte Martin.

„Keiner konnte uns erklären, welchen Kriterien diese Bewertung zugrunde lagen“, klagte der 26-Jährige. „Contador bekam vier Punkte - da fehlen mir die Worte. Die Ausreden der UCI hören sich kläglich an.“ Martin dachte wie mehrere andere Fahrer an eine Klage. „Aber jeder Schritt in dieser Richtung hätte das Thema wieder beflügelt, deshalb haben wir es gelassen“, erklärte Martin und machte sich auf zum Training auf die Alpenpässe der Tour.

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