Martin schockiert: „Würde am liebsten wegrennen“

Ponferrada (dpa) - Ein sichtlich schockierter Tony Martin hätte nach seiner verpatzten WM-Rekordfahrt nur zu gern die sofortige Heimreise angetreten.

Martin schockiert: „Würde am liebsten wegrennen“
Foto: dpa

„Am liebsten würde ich jetzt vom Radsport wegrennen, um den Kopf frei zu bekommen. Jetzt kommen viele gut gemeinte Ratschläge, auf die ich eigentlich keine Lust habe“, sagte Martin, nachdem er bei der Straßenrad-WM in Ponferrada völlig überraschend von Ex-Tour-de-France-Sieger Sir Bradley Wiggins als Weltmeister im Einzelzeitfahren entthront worden war.

Martin schockiert: „Würde am liebsten wegrennen“
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Mit der Silbermedaille um den Hals schüttelte Martin immer wieder den Kopf und suchte nach Erklärungen. „Ich habe es bereits die letzten Tage gefühlt. Ich bin keine Maschine. Ich habe mich müde gefühlt und muss analysieren, warum das so war“, haderte Martin, der mit dem klaren Ziel angereist war, den vierten WM-Titel in Serie zu holen und mit Rekordchampion Fabian Cancellara gleichzuziehen. Doch daraus wurde nichts. Wie schon bei den Olympischen Spielen 2012 in London schnappte der Brite dem in dieser Saison so überragenden Martin den Sieg weg.

Sorgen um sein großes Ziel Olympiasieg 2016 in Rio macht sich Martin aber nicht. „Man darf auch mal Zweiter werden, ohne gleich an sich zu zweifeln. Das ist Sport, das ist ein Eintagesrennen. Ich habe Fehler gemacht, aus denen ich lernen muss“, ergänzte Martin und betonte: „Die Motivation ist groß, wieder zurückzukommen.“ Eine Revanche gegen Wiggins wird es aber nicht geben, wie der Brite klarstellte: „Das war mein letztes WM-Zeitfahren auf der Straße. Mein nächstes großes Ziel ist im kommenden Jahr der Stundenweltrekord. Außerdem bereite ich mich auf die olympischen Bahnwettbewerbe vor.“

Eigentlich schade, denn Wiggins bot den Zuschauern am Mittwoch eine große Show. Der Sky-Profi benötigte für die 47,1 Kilometer nur 56:25,52 Minuten und hatte damit im Ziel auf der Avenida de Asturias einen Vorsprung von 26 Sekunden auf Martin. Platz drei ging an den Niederländer Tom Dumoulin, der 41 Sekunden auf den Sieger verlor. Wiggins hatte seinen Triumph erst Minuten später realisiert, nachdem er völlig verausgabt auf dem Boden lag. Für den 34-Jährigen ist es der erste WM-Triumph, nachdem er 2011 und 2013 Silber gewonnen hatte.

Mit Martins Silberrang riss die deutsche Goldserie bei den Titelkämpfen in der spanischen Provinz. Am Vortag hatten noch die Allgäuerin Lisa Brennauer bei den Frauen und Lennard Kämna aus Cottbus bei den Junioren die Zeitfahr-Titel eingefahren. Trotz des verpassten Martin-Sieges kann der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) aber schon vor den am Freitag beginnenden Straßenrennen eine vorzügliche Bilanz vorweisen.

Noch im Vorfeld hätte kein Experte auf einen anderen Sieger als Martin gewettet. Und zunächst lief es auch nach Plan. Bei der ersten Zwischenzeit nach 12,2 Kilometern hatte Martin noch einen hauchdünnen Vorsprung von 4,14 Sekunden auf den Briten, doch am zweiten Zeitmesspunkt bei Kilometer 23,2 lag plötzlich Wiggins mit zwei Sekunden vorn. Bei der dritten Zwischenzeit waren es gar neun Sekunden, ehe das Finale furioso mit zwei Anstiegen begann. Dort konnte Wiggins sogar noch zulegen.

Für Martin war es die nächste Enttäuschung von Ponferrada, nachdem er beim Mannschaftszeitfahren mit dem Omega Pharma-Quickstep-Team nur den dritten Platz belegt hatte. Das Wetter war diesmal aber nicht schuld. Strahlender Sonnenschein begleitete Martins Fahrt, nachdem an den vergangenen Tagen Wind und Regen für unkalkulierbare Bedingungen gesorgt hatten. Nach dem Teamzeitfahren hatte Martin, der seit über einem Jahr kein längeres Einzelzeitfahren verloren hatte, schon an seiner Form gezweifelt.

Die weiteren deutschen Starter konnten sich nicht im Vorderfeld platzieren. Für Nikias Arndt reichte es in 59:14 Minuten nur zum 22. Platz. Lars Teutenberg (1:00:38 Stunden), der im Alter von 44 Jahren sein WM-Debüt gab, landete auf dem 48. Platz. Der gebürtige Düsseldorfer hatte mit seiner Karriere eigentlich schon abgeschlossen, als Aerodynamik-Experte aber noch ganz neue Zeitfahr-Qualitäten entwickelt, die ihm das WM-Ticket einbrachten.

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