Kittel holt bei Chaos-Auftakt der Tour Gelb

Bastia (dpa) - Für Etappensieger Marcel Kittel war es der „glücklichste Tag“ seines Lebens, für Tony Martin ein schwarzer Samstag:

Während der junge Thüringer den Massensprint beim chaotischen Auftakt der 100. Tour de France gewann und sich über das erste Gelbe Trikot eines deutschen Radprofis seit 2008 freute, wurde Zeitfahr-Weltmeister Martin nach einem bösen Sturz ins Krankenhaus gebracht.

Martin hatte aber noch Glück im Unglück: Der 28-Jährige hat bei dem Massensturz fünf Kilometer vor dem Ziel nicht wie zunächst befürchtet einen Schulterbruch erlitten. Nach einer Kernspintomographie im Krankenhaus von Bastia wurden Frakturen bei Martin ausgeschlossen. Allerdings hat der Wahlschweizer eine Gehirnerschütterung, eine Lungenprellung und eine tiefe Fleischwunde an seinem linken Ellbogen davongetragen. Auch klagte Martin über Prellungen und Schürfwunden an der Hüfte, an der Brust, am linken Knie, an der Schulter und am Rücken. Das teilte sein Team Omega Pharma-Quick Step mit.

Ob Martin am Sonntag zur zweiten Etappe der Frankreich-Rundfahrt wieder am Start stehen wird, ist sehr fraglich. Das Team will noch die Nacht abwarten. Insbesondere die tiefe Fleischwunde, die bis zum Muskel reicht, bereitet Martin große Schmerzen. So hatte sich Teamarzt Helge Riepenhof pessimistisch geäußert. „Die ersten beiden Hautschichten sind zerstört. Das würde schon reichen, dass er nicht mehr weiterfahren kann“, hatte der Arzt der Nachrichtenagentur dpa zuvor gesagt.

Der 25-jährige Arnstädter Kittel konnte sich dagegen am Ende einer der skurrilsten Etappen der Tourgeschichte als strahlender Doppelsieger feiern lassen, der den Tageserfolg und das erste Gelbe Trikot verbuchte. „Ich kann meine Gefühle gar nicht beschreiben. Da wollte ich immer hin - ich bin überglücklich“, sagte der Thüringer nach 213 Kilometern im Ziel des ersten Tagesabschnitts in Bastia.

Kittel hatte bei seiner Triumphfahrt von der Abwesenheit der beiden Topsprinter Mark Cavendish und André Greipel im Finish profitiert. Greipel stürzte zwar nicht, hatte aber kurz nach dem Massensturz einen technischen Defekt. „Das war ein komplettes Desaster. Meine Schaltung war hin“, erklärte der verzweifelte Greipel, der zusammen mit Cavendish zu den Topfavoriten auf den Tagessieg gegolten hatte.

„Ich habe es hinter mir krachen gehört, habe dann gesehen, dass Greipel und Cavendish nicht mehr da waren. Da haben wir entschieden, zu fahren und haben alles nach vorne geworfen“, beschrieb Kittel den Moment des Massensturzes. Zu diesem Zeitpunkt herrschte großes Chaos im Zielbereich in Bastia. Erst unmittelbar vor dem Eintreffen des Fahrerfeldes konnte er geräumt werden. Der Teambus der australischen Mannschaft Orica-GreenEdge hatte den Überbau der Zielmarkierung mit dem Dach gerammt und konnte lange nicht mehr manövriert werden. Erst als Luft aus den Reifen gelassen worden waren, konnte das riesige Fahrzeug wieder bewegt werden. Kurz war erwogen worden, den Zielstrich vorzuverlegen.

Als letzter deutscher Radprofi vor Kittel, der sich das Trikot zum ersten Mal sicherte und dazu auch noch das Grüne für den Punktbesten und das Weiße für den besten Nachwuchsfahrer holte, hatte Stefan Schumacher 2008 das Maillot Jaune getragen. Der geständige Doper steht im Moment in Stuttgart vor Gericht - er soll ungerechtfertigt 150 000 Euro Gehalt kassiert und damit seinen früheren Teamchef Hans-Michael Holczer betrogen haben.

Anders als sonst üblich hatte die Tour nicht mit einem Prolog-Zeitfahren sondern mit einer regulären Etappe begonnen, die den Sprintern auf den Leib geschneidert war. Aber das chaotische Finale machte einem Großteil von ihnen einen Strich durch die Rechnung. Zu den gestürzten Fahrern gehörte auch der Slowake Peter Sagan, der im Vorjahr das Grüne Trikot geholt und sich für die kommenden Tage eigentlich viel Hoffnungen gemacht hatte.

Beim Vorjahreszweiten und hoch gewetteten Christopher Froome hatte es schon wenige Kilometer nach dem Start in Porto Vecchio gekracht. Der britische Sky-Kapitän stürzte kurz nach dem Start noch in der Neutralisationszone in Porto Vecchio, trug allerdings leichte Schürfwunden davon. Froome, dem neben dem nach seiner Dopingsperre zurückgekehrten Contador in Abwesenheit des verletzten Vorjahressiegers Bradley Wiggins die größten Chancen auf den historischen Toursieg 2013 zugetraut werden, musste seine Rennmaschine wechseln. Aus dem Massensturz hatte er sich heraushalten können.

Dagegen kam es für Martin knüppeldick. Der zweifache Zeitfahr-Champion setzte damit seine Tour-Pechsträhne des vergangenen Jahres fort, als er mit gebrochener Hand aufgeben musste. Nach einem gelungenen Frühjahr hatte sich der Wahlschweizer bei der Jubiläumstour viel vorgenommen und auf das Gelbe Trikot nach dem Teamzeitfahren in Nizza spekuliert. In dem Massensturz waren auch der zweimalige Toursieger Alberto Contador und Andreas Klöden verwickelt, beide kamen aber weitaus glimpflicher davon.

Die Jury entschied unmittelbar nach dem Zieleinlauf, alle Fahrer in der gleichen Zeit zu werten. Darüber freuten sich besonders Contador und Sagan, die das Zeil nach dem Sturz mit Rückstand erreichten.

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