Radsport: Der mit dem Zweifel fährt

Armstrong verpasst das Gelbe Trikot um einen Wimperschlag und teilt aus.

Montpellier. Möglicherweise wird Lance Armstrong, dieser immer noch gefräßige, unersättliche und zudem überaus umstrittene Radprofi, dem Gelben Trikot nicht mehr näher kommen als er es am Dienstag war. Vielleicht fehlte ein Wimpernschlag oder auch eine Nuance mehr, aber nicht einmal eine ganze Sekunde. Sammlerstück 84 in Gelb kassierte er nicht, sondern Fabian Cancellara. Ihn, den man den Schweizer Spartakus nennt, peitschte förmlich seine Equipe Saxo Bank im Finale nach vorn und sich zurück ins Maillot Jaune.

In Montpellier spielte sich ein Drama ab, so wie es Armstrong mag, dessen Ende er anders geplant hatte: "An einem Punkt hatte ich gedacht, wir haben es geschafft. Das war letztlich das einzig Enttäuschende, aber es wird mir keine Sekunde Schlaf rauben." Wer kann diesen neuen Pragmatismus glauben. Das Team-Zeitfahren über 39 km rund um Montpellier dominierte die Astana-Auswahl, doch auf den letzten Metern reichte es nicht für die Realisierung des gelben Traums von Armstrong. Tatsächlich steckte der siebenfache Champion im so genannten virtuellen Gelben Trikot. Doch Saxo Bank, am Ende Dritter hinter der amerikanischen Garmin-Slipstream-Auswahl, reduzierte den Rückstand auf punktgenaue 40 Sekunden. Maßarbeit.

Armstrong in Gelb hätte die sowieso intensive Debatte über das Comeback der Seriensieger (1999 bis 2005) weiter ausgefranst. Der frühere Tour-Chef, Patrice Clerc, spricht von der "Rückkehr des Zweifels". Es geht um die sechs positiven Epo-Dopingproben aus dem Jahr 1999, die von der französischen Anti-Doping-Agentur AFLD erst im Jahr 2005 bei verbesserten Testverfahren festgestellt worden waren. Sportrechtlich belanglos, sind sie dennoch ein gefundenes Fressen für die Armstrong-Gegner.

Doping, immer nur Doping. Der Texaner, der am Montag auf der dritten Etappe den größten Sieganwärter aus den eigenen Reihen, Alberto Contador, auf einer Flachetappe demütigte, gab Contra, das alte Imperium schlug zurück: "Zu viele Journalisten wollen immer nur über Doping schreiben. Am Ende des Tages bleibt aber das berauschende dieser Etappe." Und auch für den Anti-Doping-Kämpfer Clerc hatte Armstrong eine hämische Retourkutsche bereit: "Er redet, als ob die Tour in einem perfekten Zustand gewesen sei, als er ging. Aber vielleicht ist er nur enttäuscht, weil er keine Arbeit mehr hat." Das war polemisch, die armstrongsche Kuschelzeit ist endgültig ad acta gelegt.

Auf der Avenue de Vanieres, im Schatten der mächtigen Rugbyarena Yves du Manoir, waren handfeste Qualitäten gefragt, um in dem tumultartigen Chaos am Astana-Teambus nicht unterzugehen. Ob dies die Frankreich-Rundfahrt oder doch wieder die Tour de Armstrong ist, ist vielleicht die Frage überhaupt.

"Einige, ohne Namen zu nennen, können dieses Rennen in diesem Jahr nicht mehr gewinnen", wetterte der 37-Jährige gleich über Vorjahressieger Carlos Sastre, Cadel Evans oder Denis Mentschow, die schon jetzt drei Minuten Rückstand schultern müssen. Dass seine Mitstreiter wie der vermeintliche Fuentes-Kunde Contador, der Schützling des italienischen Doping-Präparatore Michele Ferrari, Levi Leipheimer, oder der in den Freiburger T-Mobile-Skandal verwickelte Klöden ungeklärte dunkle Stellen in der Vita haben, juckt Armstrong nicht. Er hat sich längst arrangiert mit dem Zweifel.

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