Interview „Ob Fans im Stadion sind oder nicht, hat keinen Einfluss aufs Ergebnis“

Düsseldorf · Sportpsychologe Bernd Strauss spricht über die Folgen von Geisterspielen für die Profis in der Fußball-Bundesliga.

Sportpsychologe Professor  Bernd Strauss

Sportpsychologe Professor Bernd Strauss

Foto: Bernd Strauss

Erstmals findet am Wochenende ein Bundesliga-Spieltag ohne Zuschauer statt. Professor Bernd Strauss ist Sportpsychologe an der Universität Münster und forscht seit Jahren unter anderem zum Thema Zuschauer-Einfluss und Heimvorteil.

Herr Strauss, wie ist denn der Stand bei der Geisterspiel-Forschung?

Bernd Strauss: In den USA gab es in den 90er Jahren mal aufgrund einer Masernepidemie zehn, elf Spiele ohne Zuschauer. In Italien musste nach Ausschreitungen bei rund 20 Spielen das Publikum draußen bleiben.

Mit welchem Ergebnis?

Strauss: Es gibt keinen Unterschied, ob Zuschauer da sind oder nicht. Aber auch darüber hinaus und belegt durch viele internationale Studien: Weder die Anzahl der Zuschauer, noch die Auslastung des Stadions, noch das Zuschauerverhalten hat einen relevanten Effekt auf das Spielergebnis.

Das Fan-Gefühl sagt etwas anderes. Gibt es den sogenannten zwölften Mann dann überhaupt?

Strauss: Das ist eine Kopfsache. Die Zuschauer haben den Eindruck, sie können etwas bewirken, mithelfen, das Spiel zu gewinnen. Der Glaube daran heißt aber nicht, dass er etwas bewirkt.

Das heißt, es braucht überhaupt keine Fans in den Stadien?

Strauss: Doch, natürlich. Fans sind wichtig für die Erschaffung des Gesamtevents Fußball. Ohne Zuschauer hätte die Sportart keine Relevanz, keine mediale Aufmerksamkeit, keine Stimmung. Zuschauer sind nicht egal. Aber Fans haben keinen Effekt auf die Ergebnisse. Trainer sind gut beraten, ab und an genau darauf hinzuweisen.

Die TSG Hoffenheim hat bereits sieben von 13 Heimspielen in dieser Saison verloren. Auswärts läuft es wesentlich besser.

Strauss: Es könnte sein, dass es dann sogar hilft, ohne Zuschauer zu spielen. Aber das ist für ein Spiel schwierig zu sagen. Heimspiel heißt ja nicht nur, die eigenen Zuschauer im Rücken zu haben. Auch das eigene Stadion löst bei den Spielern etwas aus, ganz unabhängig von den Zuschauern.

Gibt es angesichts von Geisterspielen so etwas wie einen Heimvorteil überhaupt noch?

Strauss: Aus dem leeren Stadion wird kein Auswärtsspiel. Der gefühlte Heimvorteil entsteht dadurch, dass man glaubt, einen Vorteil zu haben. Eine selbst erfüllende Prophezeiung sozusagen. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass die Heimmannschaften Schaden nehmen, weil keine Zuschauer da sind.

Trotzdem geht in 40 bis 50 Prozent der Bundesligaspiele die Heimmannschaft als Sieger vom Feld.

Strauss: Aber wir haben seit 30 Jahren ein ganz starkes Absinken des Heimvorteils. Übrigens nicht nur in der Bundesliga, sondern weltweit.

Wie erklärt man das?

Strauss: In der gleichen Zeit sind die Zuschauerzahlen in den Stadien massiv gewachsen. Und trotzdem wird der Heimvorteil immer kleiner. Das passt nicht zusammen: Bei steigenden Zuschauerzahlen sinkt der Heimvorteil. Wie sollen die Zuschauer da für den Heimvorteil verantwortlich sein?

Kann man Geisterspiele trainieren?

Strauss: Das machen die Spieler im Training ja pausenlos. Normalerweise besteht die Schwierigkeit ja darin, große Kulissen zu simulieren.

Wie schwierig wird es für die Spieler, sich auf die fehlende Kulisse am Wochenende einzustellen?

Strauss: Man sollte als Trainer den Spielern mit auf den Weg geben, es kommt auf euch an – und nicht auf die fehlenden Fans. Tischtennis-Ass Timo Boll hat es mal 2006 schön für sich in der FAZ zusammengefasst, als er zum Heimvorteil befragt wurde: „Den hänge ich nicht hoch. Er kann beflügeln, er kann einen erdrücken, beides habe ich schon erlebt. Ich bin nicht abhängig vom großen Publikum.“

Das heißt aber auch, dass es keine sportlichen Sensationen am 26. Spieltag gibt?

Strauss: Die Bundesliga-Spiele am Wochenende gehen nicht anders aus als sonst auch mit Zuschauern.

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