Namibias WM-Team: Der Traum vom Eisstockschießen

Waldkraiburg (dpa) - Ein Gärtner aus Namibia startet bei der Eisstock-WM im bayerischen Waldkraiburg. Was wie ein Märchen klingt, ist purer Ernst: Jessie Mweshipopya hat viel sparen müssen, um die weite Reise antreten zu können.

Von Dienstag an erfüllt er sich nun einen kleinen Traum.

Mweshipopya hätte sogar seine kleine Holzhütte in Namibia vermietet, um zur Eisstock-WM nach Deutschland kommen zu können. Fast 1000 Euro kostet der weite Flug aus dem armen Land im Südenwesten Afrikas: Viel Geld für jemanden, der dort wie so viele Menschen von der Hand in den Mund lebt, um irgendwie über die Runden zu kommen. Mit Gartenarbeiten und Amateurfotografien bringt er es monatlich allenfalls auf 2000 Namibische Dollar, knapp 200 Euro. Also musste Jessie hart sparen, um sich seinen großen Wunsch zu erfüllen: Für eine Woche nach Deutschland zu reisen. Nicht etwa in die Metropolen Berlin, München oder Hamburg, sondern ins bayerische Waldkraiburg. Dort beginnt die WM im Eisstockschießen.

Der namibische Wintersport-Traum beginnt vor acht Jahren. In Windhoek, der Hauptstadt, soll eine moderne Multifunktionshalle samt Eisboden entstehen - und ein Sponsor wirft die Idee auf, wie man diesen Plan öffentlichwirksam pushen könnte: Er will ein Nationalteam gründen. Ein kurioser Gedanke in einem geplagten Staat, der auf dem Human Development Index der Vereinten Nationen weit hinten mit dabei ist, und wo Schnee und Eis allenfalls einigen wenigen wirkliche Begriffe sind. Und doch setzt sich der waghalsige Einfall durch, vor allem dank der Unterstützung deutscher Einwanderer. Schon wenige Wochen später steht das erste namibische Eisstock-Team.

Jessie Mweshipopya stößt 2006 dazu. Schon damals ist er Gärtner, schuftet in den Außenbezirken von Windhoek bei wohlbetuchten Bürgern für ein bisschen Geld. Irgendwann bewässert er auch den angemieteten Garten von Detlef Pfeifer, dem Präsidenten des namibischen Eisstockverbandes. Es ist eine Zufallsbegegnung - mit Fortsetzung. „Damals sollte jeder Leute aus seinem Bekanntenkreis mitbringen, und da habe ich Jessie mitgenommen“, sagt Pfeifer. Er mag den jungen Afrikaner, der ihm obendrein berichtet, schon Radrennen mitgefahren zu sein. Es ist der Beginn von Jessies Eiskarriere.

Sechs Jahre sind seitdem vergangen. „Inzwischen ist er fester Bestandteil unserer Mannschaft, einer unserer eifrigsten Sportler“, sagt Pfeifer. Im Männer-Nationalteam ist der 37 Jahre alte Jessie der einzige ohne deutsche Wurzeln oder ohne deutsche Ehefrau, letztlich ist er auch der einzige ohne festes Einkommen, weit entfernt von Wohlstand und größerem Besitz. Eine spärliche Holzhütte nennt Jessie sein Heim: Neun Quadratmeter sind von Dutzenden krummen Holzstämmen abgesteckt, die Wände darstellen sollen, darüber liegt ein Strohdach. „Innendrin“, sagt Pfeifer, „lässt es sich aber ganz gut aushalten.“

Jessies Holzhütte steht im Ovamboland, in einem kleinen Dorf gleich an der namibisch-angolanischen Grenze. Alle zwei bis drei Wochen fährt er von Windhoek heim, um nach seiner Familie zu schauen. Rund acht Stunden dauert der Trip. Die 150 Namibischen Dollar (etwa 15 Euro), die eine Fahrt mit dem Sammeltaxi kostet, muss er mühsam zusammensparen. So auch für sein Ticket nach Deutschland.

Geld gibt es in Afrika nicht im Überfluss. Das wusste auch Detlef Pfeifer, als er 1996 nach Namibia kam, um die Bibliothek des Goethe-Instituts in Windhoek zu leiten. Der frühere Lehrer ging das Abenteuer dennoch ein und verhalf dem Eissport in Windhoek zu ein klein wenig Aufmerksamkeit. Er sorgt dafür, dass seine Mannen auf einer Terrasse des Goethe-Zentrums halbwegs regelmäßig trainieren können - wenn auch natürlich nicht auf Eis.

Bei der letzten WM 2008 in Südtirol wurden Namibias Männer von elf Nationalteams Siebter, für Waldkraiburg haben 24 Nationen gemeldet. Topfavorit ist die deutsche Mannschaft, die zuletzt viermal in Serie Weltmeister wurde - und beim Heimspiel in Oberbayern vor eigenem Publikum natürlich erst Recht auf den Titel aus ist. Und die deutschen Cracks können sich neben einer weiteren Goldmedaille womöglich auch über eine honorige Einladung freuen: Für 100 Euro will Jessie Mweshipopya die Nationalspieler anderer Länder zu einem Namibia-Trip in seine kleine Holzhütte einladen - gewissermaßen als nachträgliche Finanzspritze für seinen WM-Traum. Ähnliches hatte er auch schon im Vorfeld des Turniers versucht: noch erfolglos.

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