Mesut Özils laute Kritiker

Über Deutschlands neue Reizfigur darf nun offenbar jeder etwas Schlechtes sagen. Dass sein Spiel nicht gut war, belegen die Zahlen.

Mesut Özils laute Kritiker
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Moskau. „Aus dem Migrationshintergrund könnte Özil schießen“ - das war eine schöne Formulierung vor sechs Jahren in der „Süddeutschen Zeitung“. An keinem anderen Spieler reiben sich die Fußball-Experten so gerne, wie an dem 29-jährigen Mesut Özil, der fast eine Staatsaffäre wegen seines nach wie vor hoch umstrittenen Fotos mit Erdogan ausgelöst hat. Dass er als einer der Schuldigen am blamablen Auftritt gegen Mexiko ausgemacht wird, ist keine Überraschung. Aber stimmt das?

Ob die Affäre den sensiblen Arsenal-Spieler so lähmt, wie es seine Kritiker glauben, ist nur eine Hypothese. Denn Özil schweigt seit vier Wochen. Auch durch die Mixedzone verschwand der Mann mit dem deutschen Pass, der für Arsenal London spielt, ohne Reaktion. Das 91. Länderspiel war nicht das erhoffte Ereignis, um Özil und die Fans zu versöhnen.

Beim Aufwärmen gab es Pfiffe gegen den 29-Jährigen. Dass auch er seine Leistung nicht abgerufen hat, ist offensichtlich, die Zahlen belegen es. Positiv: Özil spielte 72 Pässe mit einer Genauigkeit von 94 Prozent, was ein Spitzenwert ist. Allerdings landeten die Pässe vor allem bei Julian Draxler und Joshua Kimmich und nur zwei kamen auf Timo Werner in vorderster Front.

Alarmierend war sein Zweikampfverhalten in der entscheidenden Szene des Spiels, beim Gegentor. Es spricht für ihn, dass er als einziger Spieler die Gefahr erkannt hatte und Hirving Lozano beim Konter im Strafraum stellen konnte. Doch statt den Mexikaner seitlich anzulaufen, stand Özil frontal und wurde düpiert — danach stand er hilflos da. Ein Anfängerfehler, der zu seiner Zweikampfbilanz passt: Nur 14 Prozent seiner direkten Duelle hat er gewonnen, die schlechteste Bilanz aller Akteure auf dem Platz.

Mario Basler ätzte am Montagabend bei „Hart aber fair“, Özil habe eine „Körpersprache wie ein toter Frosch“. Der Weltmeister von 2014, der bei Löw seit 2010, also seit inzwischen acht Jahren unumstrittener Stammspieler ist, ist ein leichtes Opfer. Özil redet ja nie. Auch Lothar Matthäus darf über ihn sagen, Özil fühle sich „im DFB-Trikot nicht wohl“. Er sei „nicht frei“. Und: „Als ob er gar nicht mitspielen möchte. Da ist kein Herz, keine Freude, keine Leidenschaft“, schrieb Matthäus in der „Bild“.

Dass die Balance zwischen Offensive und Defensive nicht stimmte, ist dem Regisseur nicht alleine anzulasten, die fehlende Kreativität im Offensivspiel aber schon, denn dafür schenkt ihm der Bundestrainer das Vertrauen. „Im Spiel nach vorne waren wir zu halbherzig“, kritisierte Löw, ohne Özil direkt zu nennen. Dass Özil auch gegen die Schweden als zentraler Mittelfeldakteur auflaufen wird, ist eher nicht zu erwarten, denn Marco Reus war nach seiner Einwechslung auf dieser Position wesentlich agiler. 13:2 weist die Torschussbilanz mit Reus auf der Özil-Position aus, in den ersten 60 Minuten ohne Reus stand es nur 12:11 für Deutschland.

Joachim Löw weiß, dass eine Degradierung die Psyche seines ausgemachten Lieblingsspielers endgültig beeinträchtigen könnte. Aber der Bundestrainer muss auch zur Kenntnis nehmen, dass Özil immer nur dann glänzt, wenn auch die Mannschaft gut spielt. „Aus dem Migrationshintergrund könnte Özil schießen“ - welch ein schöner Satz. Aber das ist lange her.

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