Birgit Dressels Tod: Dunkles Kapitel Sportgeschichte

Stuttgart (dpa) - Das Mittel „Megagrisevit“ sollte laut Hersteller schwer krebskranken Menschen helfen. Birgit Dressel bekam es wie auch andere Sportler, um noch mehr Muskelmasse aufzubauen. Ein anderes Präparat wurde damals ausdrücklich bei Epilepsie empfohlen.

Auch das Medikament fand sich später in den Krankenakten der deutschen Siebenkämpferin. Vor 25 Jahren, am 10. April 1987, starb Dressel nach drei Tagen unter qualvollen Schmerzen in der Uniklinik Mainz. Todesursache war ein toxisch-allergischer Schock. Unmengen von Medikamenten hatten ihren Organismus völlig überfordert.

Dressels Tod ist eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Sportgeschichte. Jenseits der menschlichen Tragödie offenbarte er zum ersten Mal in aller Klarheit, wie viel auch im westdeutschen Sport geschluckt und gespritzt wurde. Der „Spiegel“ wertete 1987 das rechtsmedizinische Gutachten zu diesem Fall aus („Ein Dokument des Schreckens“). Über 100 Medikamente und mehr als 400 Injektionen ließen sich bei der nur 26 Jahre alt gewordenen Athletin allein für die letzten zwei Jahre ihrer Behandlung durch den Freiburger Sportarzt Armin Klümper nachweisen.

„Der Fall war ein einziges Mahnmal“, hat der Sportwissenschaftler und -funktionär Helmut Digel einmal gesagt. Doch das ist wohl eher der falsche Begriff. Mahnmale halten zum Nachdenken und Erinnern an. Der Fall Dressel war stets von Verdrängung und Verharmlosung geprägt.

Ein Jahr nach dem Tod der gebürtigen Bremerin wurde der Sprintstar Ben Johnson bei den Olympischen Spielen in Seoul mit dem anabolen Steroid Stanozolol (auch Stromba genannt) im Körper erwischt. Die gleiche Substanz hatte nachweislich auch die EM-Vierte von 1986 genommen. „Auf Ben Johnson haben in Deutschland alle mit dem Finger gezeigt“, sagt der Dopingexperte Werner Franke. Bei Dressel sei „nichts Besonderes nachgekommen. Das ist das, was ich die germanische Scheinheiligkeit nenne“, meint Franke. „Nicht die Scheinheiligkeit der einzelnen Sportler, sondern die Scheinheiligkeit des Systems. Birgit Dressel hätte als letztes Alarmzeichen dienen müssen.“

Genau das passierte aber nicht. Von einem Innehalten oder einer Schockwirkung nach Dressels Tod konnte im deutschen Sport lange Zeit kaum die Rede sein. Der frühere Bahnradfahrer Robert Lechner sagte vor der Kommission zur Doping-Vergangenheit der Freiburger Uniklinik aus, von Oktober 1987 an systematisch auch mit Stromba gedopt worden zu sein. „Die haben das Zeug gleich danach weitergegeben“, sagt Franke. Eine „mäßige Bewusstseinsänderung“ („Süddeutsche Zeitung“) trat erst nach dem Mauerfall und der Enthüllung des DDR-Dopings ein.

Für Dressel kam das zu spät. „Birgit ist ein Opfer der Pharma- Industrie“, klagte Hermann Dressel nach dem Tod seiner Tochter an.

Die damals in Mainz lebende Athletin hatte am 8. April 1987 mit starken Schmerzen in der Lendenwirbelgegend das Training abgebrochen. Ihr Trainer und Lebensgefährte Thomas Kohlbacher sprach später von einem „Hartspann“, laut Franke eine der häufigsten Nebenwirkungen bei Anabolika-Doping. Nur wusste keiner der 24 Ärzte, die am Ende um Dressels Leben kämpften, dass sie solche Mittel genommen hatte. Vielmehr pumpten sie laut Gutachten noch einmal viele weitere Medikamente in einen ohnehin schon überlasteten Körper hinein.

Belangt wurde für Birgit Dressels Tod niemand. In dem Gutachten heißt es zwar: „Die sportärztlich durchgeführte Therapie [...] wird angesichts der außergewöhnlichen Zahl und der unterschiedlichsten Arten von Kombinationspräparaten und Fremdeiweißapplikationen als nicht mehr überschaubar angesehen.“ Doch ein „fahrlässiges und damit schuldhaftes Verhalten“ sei Ärzten wie Klümper „nicht nachzuweisen“.

Dopingexperte Franke macht sie dennoch für diese Tragödie verantwortlich: „Solchen Sportmedizinern geht es nicht primär um die Gesundheit der Sportler, sondern es geht ihnen um den Erfolg. Sie haben wiederholt und brutal gegen ihr ärztliches Ethos verstoßen.“

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