Kienle: „Gibt Sachen, die ich nicht beeinflussen kann“

Kailua Kona (dpa) - Sebastian Kienle kann mit der Favoritenrolle vor dem Ironman auf Hawaii gut leben. „Den Mitfavoriten-Stempel bekommt man nicht einfach so. Den muss man sich hart erarbeiten“, sagte der Triathlon-Profi in einem Interview der Nachrichtenagentur dpa.

Kienle: „Gibt Sachen, die ich nicht beeinflussen kann“
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Der 30 Jahre alte Europameister reiste als Führender der Qualifikations-Rangliste zur WM auf Big Island. Die Generalprobe bei der WM über die halb so lange 70.3-Strecke ging mit Platz 18 allerdings daneben. Als einen der schärfsten Konkurrenten sieht der WM-Dritte von 2013 den Olympiasieger und EM-Dritten Jan Frodeno.

Wie geht es Ihnen so kurz vor dem Start auf Hawaii?

SebastianKienle: Klar wird man so langsam nervös, aber das ist auch gut so. Anders wird man im Rennen nicht bereit sein, bis an die Grenze zu gehen. Ich probiere, das so gut es geht zu dosieren. Das gelingt natürlich nicht immer.

Mit welchen Gefühlen sind Sie nach Hawaii geflogen?

Kienle: Auf der einen Seite führe ich das Kona-Ranking mit großem Vorsprung an, habe mit Streckenrekord die EM gewonnen, war letztes Jahr hier auf dem Podium. Die Statistik besagt, dass jeder, der das Rennen hier gewonnen hat, das Jahr zuvor unter den ersten Vier war - das sind die guten Vorzeichen. Das eher schlechte Vorzeichen ist mein Abschneiden bei der 70.3-WM. Nach den Siegen in den beiden Vorjahren war das in diesem Jahr weit unterdurchschnittlich. Es ist also eine gute Mischung: Ich habe gesehen, was ich drauf habe in dieser Saison. Zum anderen habe ich gesehen, dass es nicht reicht, wenn ich nur einen durchschnittlichen Tag habe. Ich muss einen absolut genialen Tag haben. Alles muss zusammenpassen, damit es für ganz vorne reicht.

Und wie lebt es sich als Favorit?

Kienle: Zunächst ist das einmal schmeichelhaft. Den Mitfavoriten-Stempel bekommt man nicht einfach so. Den muss man sich hart erarbeiten. In unserer Sportart gibt es keine weichen Argumente. Die Ergebnisliste gibt ganz klare Zeiten. Wahrscheinlich ist das die Standardantwort eines jeden Top-Ausdauersportlers: Die größten Ansprüche kommen von einem selbst. Und wenn ich denen genügen kann, bin ich schon ganz zufrieden.

Unabhängig vom Ergebnis?

Kienle: Es gibt Sachen in einem Rennen, die ich nicht beeinflussen kann. Dazu gehört auch die Leistung der anderen. Wenn ich meine persönlich beste Leistung gebracht habe und jemand anders war besser, dann ist es so. Da kann ich mich nicht wahnsinnig grämen.

Wer ist neben Ihnen noch Siegkandidat?

Kienle: Ganz klar: Jan Frodeno. Man muss das sicher auch mit Vorsicht betrachten, weil Jan im letzten Jahr noch keine Langdistanz gemacht hat. Aber bei der EM in Frankfurt hatte er Pech gehabt mit drei Platten, sonst wäre das Rennen enger und spannender ausgegangen. Dazu hat er mit seinem zweiten Platz bei der 70.3-WM gezeigt, dass das Momentum stimmt und dass die Form in die richtige Richtung geht. Er hat alles, was man braucht, um hier ganz vorne mit dabei zu sein.

Und was ist das?

Kienle: Bis Frankfurt habe ich gedacht, vielleicht fehle ihm im Kopf noch das bisschen, was man braucht, wenn es scheiße läuft. Man hat immer so seine Höhen und Tiefen. Das Rennen in Frankfurt hat gezeigt, dass er mit Problemen, die von außen kommen, gut umgehen und trotzdem sein Bestes gegeben kann. Ich glaube, das macht ihn noch zum größeren Favoriten als mich. Aber ich will die Rolle jetzt nicht hin und her schieben. Mit Jan kann man auf jeden Fall rechnen. Doch gibt es noch einige andere, wie zum Beispiel Titelverteidiger Frederik van Lierde.

Was schätzen Sie an Jan?

Kienle: Ich kenne nur wenige wie Jan, die sich im Training so quälen und pushen. Noch härter zu arbeiten und zu trainieren als er, um ihn zu schlagen, ist nicht möglich. Das bewundere ich. Er ist sehr, sehr zielstrebig. Das Schöne ist, dass er auch andere Athleten respektiert. Ich habe das Gefühl, dass er auch mich sehr respektiert. Und ich muss sagen, das schmeichelt mir ein bisschen.

Was muss man mitbringen, um auf Hawaii zu gewinnen?

Kienle: Natürlich Talent. Aber das Talent muss bearbeitet werden. Man muss im Training leidensfähig sein beziehungsweise die Leiden nicht als solche wahrnehmen. Dazu gehört, dass man mental sehr gut drauf ist. Ich weiß nicht, von wem der Spruch stammt: 'Der Mutige unterscheidet sich vom Feigling darin, dass er fünf Minuten länger mutig gewesen ist' (der Spruch stammt von Boxtrainer-Legende Cus d'Amato). Das ist das, was auch im Wettkampf gefragt ist. Hart ist es für alle. Man muss im entscheidenden Moment die fünf Minuten länger durchhalten. Dann kommt dazu eine gewisse Intelligenz. Und das Umfeld ist extrem wichtig. Es sind tausend kleine Teilchen. Und wenn bei einem ein Teilchen fehlt und du hast das Teilchen, dann hast du das Rennen gewonnen.

Wie groß ist der Anteil des Kopfes und wie groß der Anteil des Körpers, um ein Rennen zu gewinnen?

Kienle: Bis zu einem gewissen Punkt kann man den Körper auf ein Rennen vorbereiten. Irgendwann ist ein Limit erreicht, fitter kann man nicht sein. Der Kopf macht am Schluss den Unterschied zwischen Sieg und Niederlage. Wenn sich negative Gedanken breitmachen und man kann sie nicht ersetzen durch positive, dann nützt auch das beste Training nichts. Der Fisch stinkt immer vom Kopf.

Wie oft im Jahr denken Sie an Hawaii?

Kienle: Jeden Tag, zumindest einmal ganz kurz. Aber das ist eine von diesen Sachen, die man genau nicht machen sollte: jeden Tag an das eine Ziel zu denken und das restliche Leben abhängig davon zu machen. Das ist der sichere Weg, sich den Spaß daran zu verderben. Was ist dann, wenn es nicht klappt? Ist dann mein Leben zu Ende?

Wie wichtig ist Lockerheit für Ihren Erfolg?

Kienle: Es ist im Rennen eine zielführende Strategie, auch mal in sich hinein zu grinsen, nicht nur zu beißen, sondern sich zu sagen. 'Hey, es ist eine coole Sache, dass ich das machen darf, mein Geld damit verdiene und dass ich fünf Wochen auf Hawaii sein kann.' Andere Leute sitzen jeden Tag in Deutschland hinter dem Computer, und dann regnet es auch noch. Ich kann den ganzen Tag Sport im Freien machen. Wenn es mir nicht mehr gelingt, so positiv eingestellt zu sein, dann wäre es schwierig, mich täglich zu 100 Prozent zu pushen.

ZUR PERSON: Sebastian Kienle zählt seit einiger Zeit zur Ironman-Weltklasse. Die größten Erfolge des 30-Jährigen, der in Mühlacker in Baden-Württemberg lebt, waren der EM-Titel im Juli in Frankfurt/Main und die Siege bei der 70.3-WM 2012 und 2013. Kienle studiert neben seiner Karriere International Management in Ansbach.

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