Interview Ist der Doping-Sumpf nie auszutrocknen?

Professor Eike Emrich über Olympia, das Dopingproblem und die Krise des Sports.

Interview: Ist der Doping-Sumpf nie auszutrocknen?
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Reutlingen. Er gilt als einer der klügsten deutschen Analytiker des olympischen Hochleistungssports. Professor Dr. Eike Emrich sieht den olympischen Spitzensport in einer schweren Vertrauenskrise.

31 Dopingpositive bei Nachtests zu den Olympischen Spielen 2008 in Peking, vermutlich werden Nachtests für London 2012 ähnliche Ergebnisse bringen. Das Winter-Olympia 2014 in Sotschi ist ohnehin schon im Dopingsumpf versunken. Was heißt das für Olympia?
Eike Emrich: Für Olympia war es bisher lohnender, in den Anschein von Ehrlichkeit zu investieren, statt in die Ehrlichkeit selbst. Damit ist das Internationale Olympische Komitee bisher wirtschaftlich sehr erfolgreich. Dopingkontrollen stabilisieren das System. Wichtig dabei ist die Balance zwischen entdeckten Dopern, nicht entdeckten dopenden Höchstleistern und ehrlichen Athleten. Wenn gar nicht gedopt würde, sinken die Höchstleistungen und damit die Attraktivität des Sports. Würden zu viele Doper entdeckt, würde die Glaubwürdigkeit an die Wettbewerbsintegrität leiden, nachfolgend die Attraktivität und damit die Nachfrage nach olympischem Sport.

Bislang funktioniert das System.
Emrich: Ja. Es gibt ein zeitlich überdauerndes, relativ stabiles Gleichgewicht in einem System, in dem alle eigene Ziele verfolgen. Athleten wollen Höchstleistungen zeigen, möglichst nicht dopen, müssen aber dopen, wenn ihre Konkurrenten dopen und sie vom Sport leben. Wenn sie aber dopen, wollen sie nicht überführt werden. Das IOC will Höchstleistungen und Rekorde, attraktive Spiele, mehr Medieneinnahmen, gleichzeitig aber den Anschein des mehrheitlich sauberen Sports wahren. Einige müssen jedoch überführt werden, und zwar so viele, dass man weiter glauben kann, es ginge ehrlich zu im olympischen Spitzensport.

Ist die Welt-Antidoping-Agentur eine sinnvolle Organisation?
Emrich: Sie war aufgrund ihrer mangelnden Unabhängigkeit bisher ineffizient, aber wie die Nationalen Antidoping-Agenturen ein erfolgreiches Geschäftsmodell. Mediale Berichte über Doping begründen die Notwendigkeit zu mehr Kontrollen, dazu braucht man mehr Geld, neue Stellen. Gleichzeitig muss der nachwachsende Rohstoff Doper so bewirtschaftet werden, dass die Relation entdeckter Doper optimiert werden. Aus diesem Grund nützen neue Gefahrenfelder wie Gendoping als neue Geschäftszweige. Dass damit der Kampf gegen Doping gewonnen werden kann, glaube ich allerdings kaum. Wir haben im vergangenen Jahrzehnt immer um die zwei Prozent entdeckte Doper unter den Kontrollierten. Der Wert ist ziemlich stabil, unabhängig davon, wie viele Tests durchgeführt werden. Und: Die Agenturen haben weiten Spielraum. Es drängt sich, wie der Fall Russland zeigt, der Verdacht auf, dass einzelne Agenturen durch gezielte Auswahl der Kontrollierten die Leistung der eigenen Athleten im staatlichen Auftrag subventionieren.

Zwei Prozent Dopingpositive sind letztendlich ökonomisch also nichts anderes als eine Garantie für die ungebremste Nachfrage nach olympischem Spitzensport?
Emrich: Die Nachfrage ist ja nicht mehr ungebremst. Der olympische Sport befindet sich in einer schweren Vertrauenskrise. Und die Sportorganisation scheinen das noch gar nicht vollständig realisiert zu haben. Dabei hat sich das IOC selbst gefesselt. Die Option, künftig auf Dopingkontrollen zu verzichten, würde den besonderen Wert des olympischen Sports vernichten, ihn zum Zirkus machen und ihn erst seiner Legitimität, dann seiner Subventionen berauben.

Und weil die Deutschen ein kluges Volk sind, verweigern sie sich der Ausrichtung Olympischer Spiele?
Emrich: Ja. Ich habe das in Hamburg intensiv beobachtet. Der zentrale Punkt war, dass Organisationen wie das IOC oder auch der Weltfußballverband Fifa ihre Legitimation verloren haben. Die Bevölkerung war mehrheitlich nicht gegen die olympische Idee oder gegen Olympia, aber gegen die mangelnde moralische Integrität dieser Organisationen.

Der ehrliche Athlet ist in diesem ganzen Geschäft Sport ohnehin der Dumme.
Emrich: Der hochleistungsfähige, ehrlich Sportler, und die gibt es durchaus, ist in der Tat der einzige, der von diesem System nicht profitieren kann und es deshalb auch oft verlässt. Er steht unter Generalverdacht, obwohl er seine Leistungen ehrlich erbringt. Alle anderen profitieren ansonsten von diesem System. Doping steigert die Leistung flächendeckend, das führt zu mehr Nachfrage, die Einnahmen steigen, die Sensationen nehmen zu, die Medien berichten mehr, der Konsument ist zufrieden und auch die Antidoping-Agenturen haben ihr Auskommen.

Ist das Ende von Olympia nah?

Emrich: Das glaube ich nicht, solange sich immer noch Diktaturen finden, die bereit sind, Olympische Spiele auszurichten. Das wird noch anhalten.

Und wenn weltweit alle Diktaturen Veranstalter Olympischer Spiele gewesen sind?
Emrich: Dann wird man wieder den spannenden Wettbewerb zwischen gleichwertigen Gegnern mit offenem Ausgang und die damit verbundenen Dramatik stärker gegenüber dem Aspekt der Rekorde betonen und auch ernsthaft darüber nachdenken müssen, Olympia privat zu organisieren. Ohne den Einsatz öffentlicher Subventionen. Dann wird das Ganze übersichtlicher, aber möglicherweise auch wieder attraktiv und transparenter. 1984 in Los Angeles hat funktioniert.

Ihre Perspektive?
Emrich: Olympia befindet sich am Scheideweg. Die olympische Bewegung und das IOC müssen sich entscheiden, ob sie künftig ehrlichen fairen Sport oder weiterhin absolute Höchstleistungen wollen. Das ist ein Dilemma. Schärfere und häufigere Kontrollen führen zu Leistungsrückgängen, das Einkommen des IOC und anderer Akteure würde sinken. Die Freigabe von Doping würde Leistungen steigern und weiter Rekorde ermöglichen, Olympia und dem Spitzensport aber die öffentliche Legitimation vollends entziehen. Zudem würde eine Freigabe des Dopings sensationsgierige Zuschauer anziehen und an fairem Sport interessierte Enthusiasten abstoßen. Eigentlich ist der olympische Sport eine Art moralischer Lehranstalt.

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