Interview Max Eberl: Wir geben keinen Eckpfeiler her

MÖNCHENGLADBACH. · Der Sportdirektor von Fußball-Erstligist Borussia Mönchengladbach über seine Personalpläne, eine SMS von Thuram und die Frage nach Gerechtigkeit in der Liga

Max Eberl wird mutiger. Der Sportdirektor von Borussia Mönchengladbach sieht gut erholt aus, er hat einige Tage am Tegernsee verbracht. Es ist Zufriedenheit in ihm nach dem vierten Platz und der erreichten Champions League. Aber noch mehr ist in Eberl die Lust auf mehr. Er glaubt, eine fast ideale Kombination von Trainer, Mannschaft und Staff gefunden zu haben. Sportdirektor zu sein ist ein bisschen wie ein Manager-Spiel am Computer: Die Bastelei hat kein Ende, aber es wird. Schritt für Schritt. Und jetzt, findet Eberl, ist es so gut, dass es niemand zerstören sollte. Ein Gespräch.

Herr Eberl, Borussia Mönchengladbach hat die Champions League erreicht. Und niemand konnte es feiern. Oder doch?

Max Eberl: Die größte Feier von der Personenzahl, das war tatsächlich das Mannschaftessen nach dem Spiel direkt, als wir auch Raffael, Tobi Strobl und Fabian Johnson verabschiedet haben. Das wirklich Größte aber ist eigentlich die tägliche Anerkennung der Menschen: Wenn Du durch die Stadt gehst oder am Tegernsee im Urlaub bist und Menschen auf dich zukommen, die nicht mal Gladbach-Fans sind, aber sagen: Geil, was ihr da geschaffen habt. Das ist eine andere Art der Anerkennung, als wenn du sonst mit 60 000 Menschen feiern kannst. Jetzt verteilt sich diese Anerkennung.

Ist der vierte Platz in der Bundesliga das Optimum?

Eberl: Natürlich waren wir während der Saison auch mal Tabellenführer. Da wurde von so manchem auch mal die Meisterschaft in Betracht gezogen, jedenfalls wurden wir als Konkurrent des FC Bayern verstanden. Wir haben gegen Leipzig, Dortmund oder Bayern immer auf Augenhöhe agiert, haben aus diesen direkten Vergleichen vielleicht etwas zu wenige Punkte geholt. Ich sage es mal so: Nicht der vierte Platz, aber das Erreichen der Champions League, das war schon das Maximum, was wir erreichen konnten.

Wie verändert diese Champions League Ihre Planung?

Eberl: Wir sind wegen Corona in keiner normalen Situation, deswegen hilft uns das deutlich vermehrte Geld zur Sicherung des Clubs. Auch wenn wir noch nicht genau wissen, wie die Fernsehverträge sich am Ende wirklich auszahlen. Wir haben ja in den letzten Jahren weitsichtig investiert, doch auch immer stark in den sportlichen Bereich. Aber nie über die Maßen. Unsere Einnahme aus der Champions League war nicht eingeplant, deswegen macht sie es uns jetzt leichter. Wir haben diese Königsklasse jetzt zum dritten Mal erreicht. Aber es ist das erste Mal, dass wir keinen unserer Eckpfeiler verkaufen werden und den Kader so zusammenhalten.

Das können Sie so definitiv jetzt schon sagen?

Eberl: Für mich steht das fest, dass wir keinen abgeben werden. Dadurch haben wir jetzt keine Millionen für neue Investitionen zur Verfügung, sondern einen kleineren Rahmen. Und trotzdem haben wir die Chance, den Kader mit zwei Spielern zu ergänzen. Einen haben wir mit Hannes Wolff jetzt schon. Dann sind wir am Ende quantitativ und qualitativ gut aufgestellt.

Eine erstaunliche Aussage, wenn Spieler wie Denis Zakaria im Kader sind, die offenbar in England noch immer heiß begehrt sind. Manchester City soll 50 Millionen Euro bezahlen wollen. Und ihre Aussage steht trotzdem? Oder ist das eine taktische Ansage von Ihnen?

Eberl: Nein, wenn man unseren Weg in den letzten Jahren sieht und unsere Aussagen bilanziert, dann haben wir das eigentlich immer zu fast 100 Prozent bestätigt. So halten wir es jetzt auch. Wir haben in jedem Jahr Spieler verkauft. Vielleicht auch mal strategisch, wenn die Vertragslaufzeit es hergegeben hat. Aber das ist jetzt schlicht und einfach nicht der Fall. Wir haben eine Mannschaft, die mit Stindl, Sommer oder Wendt auch ältere Spieler hat. Aber gerade die, die wie Elvedi, Ginter oder Neuhaus, Zakaria, Embolo, Thuram oder Plea Leistungsträger sind, sind jung. Sie haben jetzt ein Jahr mehr Erfahrung, sind weiter in der Entwicklung. Wir haben es gemeinsam erreicht, jetzt können wir alle zusammen den Weg weitergehen. Klar kommt irgendwann der Tag X, auch bei diesen genannten Spielern. Aber eben nicht jetzt. In einer schwierigen Zeit, die uns aber auch sportlich große Chancen bietet.

Sie bleiben also völlig gelassen?

Eberl: Ja. Es amüsiert mich, wenn es am nächsten Tag nach meiner Aussage heißt, Man City will aber doch und es gebe Absprachen ab 50 Millionen Euro.

Keine Schmerzgrenze?

Eberl: Es gibt Stand heute nichts, das mich dahin bringen würde, dass ich einen Spieler abgeben würde.

Und die Spieler sind alle auf Kurs?

Eberl: Ich habe nichts anderes vernommen. Dieses Vertrauen, das wir ja auch reingeben, bekommen wir auch zurück. Ich kenne alle Unwägbarkeiten, glauben Sie mir, aber wenn ich von Thuram zu dessen einjährigem Jubiläum eine SMS bekomme, in der er schreibt: ,Max, danke für alles’ – dann ist da viel Vertrauen, das Grundlage für Erfolg sein wird.

Ist diese gesunde Sturheit auch eine Lehre der Vergangenheit, als man herausragende Kräfte abgegeben hat?

Eberl: Nein, das ist die Konstellation, die wir uns erarbeitet haben. Es war in den Jahren zuvor nicht möglich, den Spielern das noch weiter schmackhaft zu machen. Wenn es zum Beispiel so läuft wie im Fall Granit Xhaka, dann werden wir auch weiter gezwungen sein, diesen Weg strategisch zu gehen und Spieler ziehen zu lassen. Im nächsten Jahr kann es sein, dass wir Zakaria mit dann noch einem Jahr Vertragslaufzeit nicht verlängern können. Dann haben wir auch eine andere Situation. Jetzt aber haben wir eine Mannschaft mit Champions-League-Erfahrung und zusätzlich Spieler, die für mich Champions-League-Niveau haben.

Wie stehen Sie vor einer Entscheidung, die Manchester City bei allen Verfehlungen in Sachen Financial Fairplay freispricht?

Eberl: Wenn wir das Financial Fairplay haben, sollte es auch hart kontrolliert und gegebenenfalls bestraft werden.

Ist das der beste Kader, den Sie je zusammengestellt haben?

Eberl: Wir hatten natürlich auch die Mannschaft mit Lucien Favre in 2015, als wir mit 66 Punkten Dritter geworden sind, wir mit Ballbesitz für uns nahe an der Perfektion waren. Danach ist Granit Xhaka gegangen. Jetzt haben wir eine Evolution on top in der Art des Spiels, das ist miteinander einfach schwer vergleichbar. Klar ist: Auch 2020/2021 werden wir eine starke Mannschaft haben.

Es war die erste Saison des Trainers Marco Rose – wie wichtig war diese Entscheidung für den Verein wirklich?

Eberl: Sie war wichtig und weitreichend. Es wurde ja suggeriert, dass ich mit Platz fünf nicht zufrieden war und Dieter Hecking deswegen gehen musste. Das Ergebnis war aber herausragend, trotzdem war ich von etwas anderem überzeugt, das mich dazu gebracht hat, diese Entscheidung so zu fällen. Dann darf man sich auch nicht bequemen und sich gemütlich zurücklehnen. Das kann einer Entwicklung hinderlich sein. Ich habe eine Lehre aus meiner zwölfjährigen Amtszeit gezogen, als ich so einen Gedanken schon einmal hatte und mich dann aber der Gewohnheit hingegeben habe.

Hat Rose die Erwartungen erfüllt oder übertroffen?

Eberl: Ich könnte jetzt sagen: erfüllt. Man kann doch im Fußball – und das ist meine grundsätzliche Anschauung – 80 Prozent planen. 20 Prozent sind Emotion, Gefühl, Menschlichkeit, Glück und Pech. Aber diese 80 Prozent möchte ich zu 100 Prozent erreichen. So war es bei Marco auch: Ich wusste zu 80 Prozent, was auf mich zukommt, der Rest ergibt sich so oder so. Er hat meine Erwartungen total erfüllt, für mich sogar übererfüllt. Es ist eine Zusammenarbeit, die passt wie Arsch auf Eimer.

Gibt es die Angst, dass Rose ziemlich schnell ein Thema für andere Clubs werden kann?

Eberl: Angst nicht. Aber mit dem Erfolg steigt das Interesse an Spielern, Trainern, sogar am Staff. Das war aber immer so: Wie oft haben wir gedacht: Wenn jener geht, bricht hier alles zusammen. Wir haben es immer wieder geschafft, auf Bahn zu kommen. Es ist keine Angst, sondern Bestätigung, dass wir in allen Bereichen herausragend besetzt sind.

Und inzwischen auch ein attraktiver Arbeitgeber sind.

Eberl: Früher haben wir dankbar sein dürfen, dass sich mancher für uns entschied. Heute entscheiden sich viele bewusst für dieses Projekt und unseren Weg. Wir gehören zu den Top Vereinen in Deutschland. Bayern, Dortmund, Leverkusen, Leipzig, dazu wir als dieses Gallische Dorf, das ist die Konstellation. Gallisches Dorf nicht im Vergleich mit Augsburg oder Mainz, sondern im Vergleich zu den genannten großen Vier. Und gleichzeitig dürfen wir Wolfsburg, Hoffenheim, Hertha, Schalke und Frankfurt nicht vergessen.

Wie ist Ihr Verhältnis zu Dieter Hecking heute?

Eberl: Sehr gut.

Nichts hängen geblieben?

Eberl: Dass er enttäuscht und sauer war, als er gehen musste, das ist legitim und zeigt ja nur, wie sehr er auch an diesem Verein hing. Aber menschlich waren wir sehr schnell wieder auf einer Wellenlänge, haben sehr viel gesprochen. Ich habe seine Zeit in Hamburg hautnah erleben dürfen, weil er von mir immer wieder wissen wollte, wie das, was sie dort versucht haben, von außen wirkt. Und drei Minuten nach Schlusspfiff hat er mir zu unserem Einzug in die Champions League via SMS gratuliert. Das ist Größe. Deswegen war das Gespräch ja so schwer damals: weil ich ihn als Menschen schätze. Dieter hat mitgefiebert.

Wie bewerten Sie sein sportliches Scheitern in Hamburg?

Eberl: Er hat in Hamburg Ruhe reinbekommen, das hatten sie jahrelang nicht. Der Weg war zusammen mit Jonas Boldt besonders, nur der letzte Schritt ist nicht gelungen. Jetzt haben sie in Hamburg wirklich alles versucht, es ist tragisch, dass auch das nicht funktioniert hat.

Hannes Wolf ist der erste Neue. Was hat Sie bewogen, diesen Wunschspieler von Rose jetzt zu holen?

Eberl: Es entscheiden Marco Rose, Steffen Korell und ich zusammen. Die Diagnose war: Raffael ist weg, wir brauchen dort einen Neuen. Dort haben wir zwar auch schon sehr gute Qualität, aber wir brauchen auch Breite für die Dreifachbelastung. Der Trainer kennt ihn, Hannes Wolf kennt den Trainer. Letztes Jahr konnten wir ihn uns nicht leisten, jetzt haben wir eine Konstellation gefunden. Er kommt in einen Verein, dessen Spielstil er sogar von innen heraus verfeinern kann, weil er weiß, was Marco Rose will. Es braucht keine Eingewöhnungszeit. Er ist zuletzt in Leipzig in einer starken Mannschaft nach seiner Verletzung schwer in Tritt gekommen. Das ist ähnlich wie bei Breel Embolo. Manchmal hilft ein Schritt zu einem anderen Verein, um seine Qualitäten neu zeigen zu können. Für mich ist der Transfer logisch.

Und wer kommt noch?

Eberl: Mit Tobi Strobl und Fabian Johnson haben wir noch zwei gestandene Spieler abgegeben. Auf dieser Achter-Position, da kann was passen. Aber ich will mich nicht zu sehr festnageln lassen. Wir haben nämlich einen – wie Lucien Favre sagen würde – polyvalenten Kader. Viele können viele Positionen spielen, wie bei Marcos Spielstilen 3:4:3, 4:2:3:1 oder 4:3:3 auch nötig. Spieler werden immer flexibler. Florian Neuhaus haben viele als Zehner gesehen, er endet als Doppelsechs. Zakaria als Achter? Auch Doppelsechs. Hofman im Zentrum? Er war herausragend auf der Außenposition. Wir wollen solche flexiblen Spieler.

Ein Spieler wie Max Kruse kommt in ihrer Konstellation nicht mehr infrage, oder? Zu alt, zu satt?

Eberl: Wenn er noch nie bei uns gewesen wäre, würde ich mir über ihn Gedanken machen. Ich habe so etwas ein Mal gemacht: bei Christoph Kramer. Aber normalerweise sind wir keine Rückholer. Das war eine andere Zeit, damals, 2014, 2015: Mit Raffael, Patrick Herrmann, Max Kruse, Juan Arango, die haben miteinander außergewöhnlich harmoniert. Max hat damals seinen Weg für sich entschieden, dementsprechend ist das heute für uns kein Thema. Aber er bleibt für mich ein sehr guter Spieler.

Der neue U23-Trainer Heiko Vogel hat über die Distanz junger Spieler zum Profibereich gesprochen. Ist das in Gladbach die Diagnose?

Eberl: Wir haben mit der ersten Mannschaft eine rasante Entwicklung genommen, da muss das NLZ erstmal nachkommen. Arie van Lent hat hier sieben Jahre einen top Job gemacht, aber es ist ähnlich wie bei der Hecking-Entscheidung: Ein neuer Impuls könnte uns gut tun. Die Strategie ist, die 2. Mannschaft noch näher an die 1. Mannschaft zu binden. In allem. Es war schon herausragend, als wir zusammen im Winter-Trainingslager waren. Jetzt wollen wir beide Mannschaften quasi als eine sehen. Und wir erkennen, dass wir fünf bis sieben Spieler haben, die morgen oder übermorgen oben anklopfen können. Und Heiko Vogel hat beim FC Bayern gearbeitet im Nachwuchs, und er kennt den Profifußball. Wir sind froh, dass wir ihn für uns gewinnen konnten und dass er das mit Überzeugung macht, Lust auf die Aufgabe hat und das nicht als Sprungbrett sieht.

Macht es sie wütend, dass Vereine wie Hertha BSC, Leipzig, Wolfsburg oder Leipzig kraft der Investoren immer wieder auf kurzem Weg Geld erhalten, dass Sie sich schwer erarbeitet haben?

Eberl: Ich will keine Kraft vergeuden, indem ich mich ärgere. Ich sage: Man kann finanziell aufholen, man kann aber keine Geschichte wegradieren. Unsere Geschichte ist positiv. Wir merken: Auch das ist Spielern wichtig: Glaubwürdigkeit. Gladbach war vor 20 Jahren mausetot, wir haben uns entwickelt. Hertha BSC nivelliert das mit einem einzigen Vertrag mit einem Investor. Wir können das nicht negieren, sehen es als Herausforderung, möchten es dann aber auch realistisch eingeschätzt haben.

Braucht es eine neue Verteilung der Fernsehgelder, um Chancen besser zu verteilen?

Eberl: Ich kann die Diskussion verstehen, Solidarität ist wichtig. ich glaube aber auch, dass wir einen solidarischen Verteilungsschlüssel haben. Wenn ich es subjektiv denke: Warum ist für die anderen nicht möglich, was wir geschafft haben? Wir haben uns von Fernsehgeld-Tabellenplatz 18 auf 5 hochgearbeitet. Die Chance haben alle anderen auch, ohne externes Geld. Guter Job heißt mehr Geld. Gravierende Veränderungen würde ich nicht verstehen.

Und dass der FC Bayern im Schnitt jede zweite Saison Meister wird, nervt Sie oder finden Sie respektabel?

Eberl: Beides. Sie haben die beste Rückrunde aller Zeiten gespielt. Da wirkt immer wieder die Kraft eines ganzen Vereins. Trotzdem: Wir wünschen uns alle auch mal einen anderen Deutschen Meister.

Wie lange bleiben Sie noch in Mönchengladbach?

Eberl: So lange dieser Club möchte und wir den eingeschlagenen Weg weitergehen. Momentan habe ich einen Vertrag, der bis 2022 läuft. Es gibt für mich derzeit keine Zweifel. Ich bin sehr froh, dass ich einen so großen Club führen darf. Und alle Konkurrenten sind ja auch hervorragend besetzt (lacht).

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