Hinrunden-Rückblick: Trauriger Fußball-Alltag nach der Trauer

Robert Enkes Tod erschütterte die Bundesliga, aber nur kurz. Der Fußball taugt eben nur bedingt zur Wertevermittlung und zum Vorbild an Fairness.

Düsseldorf. Jupp Heynckes erlebt mit Bayer Leverkusen seinen dritten Frühling, Felix Magath kehrt bei den Schalkern ordentlich durch, der FC Bayern München fasst mit Louis van Gaal langsam Tritt, Mönchengladbach erfreut sich am unverhofften Aufschwung, Hertha leidet am beispiellosen Absturz. Es gibt einen überragenden Torjäger (Stefan Kießling) und einen enttäuschenden Rückkehrer (Lukas Podolski), einen sagenhaften Rekord von drei Eigentoren in einem Spiel (Hannovers 3:5 in Gladbach) und die unvergleichliche Leistung des 1. FC Köln, mit nur zehn erzielten Toren in 17Spielen auf Rang zwölf zu stehen.

Es war allerhand los, zumal noch aus der Ferne die Wettmafia grüßt, doch nichts hat die Fußball-Bundesliga in der Hinrunde der 47. Saison so sehr erschüttert wie der 10. November 2009. An diesem Tag nahm sich der Hannoveraner Torwart Robert Enke (32) das Leben.

In Deutschland löste desse Tod eine beispiellose Trauer aus. War die populärste Sportart mit dem "Sommermärchen" 2006 ein Quell nationaler Begeisterung, diente sie nun aus tragischem Anlass als Verstärker für eine zutiefst humane Botschaft: "Fußball allein ist nicht unser Leben, sondern Liebe zueinander, Gemeinschaft, sich gehalten wissen auch in allen Schwächen unseres Lebens." So sagte es die Bischöfin Margot Käßmann, die Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche, bei der Trauerfeier einen Tag nach Enkes Tod.

Für einige Tage nahm sich der Profi-Fußball eine Auszeit. Die Bundesliga pausierte ohnehin, das Länderspiel gegen Chile später wurde abgesagt.

Kein Maik Franz (Frankfurt), der seinen Gegenspieler grätschend und brüllend provozierte. Kein Jens Lehmann (Stuttgart), der dem gegnerischen Stürmer kräftig auf den Fuß trat.

Und keine Fans, die dem Nürnberger Manager Morddrohungen schickten oder in Stuttgart den Vereinsbus blockierten und den "Scheißmillionären" am liebsten an den Kragen wollten. Richtig: All das geschah nach dem 10. November und den darauf folgenden Tagen, in denen auch der Profifußball eine bemerkenswerte Bereitschaft gezeigt hatte, über sich selbst nachzudenken.

"Maß, Balance, Werte wie Fairplay und Respekt sind gefragt. In allen Bereichen des Systems Fußball. Bei den Funktionären, bei dem DFB, bei den Verbänden, den Clubs, bei mir, aber auch bei euch, liebe Fans." Das sagte DFB-Präsident Theo Zwanziger in seiner Trauerrede.

Doch allzu viel hat sich in den Liga-Alltag nicht hinüberretten lassen von den guten Vorsätzen. Nicht viel mehr als die Erkenntnis, dass Depressionen eine Krankheit und keine persönliche Schwäche sind. Immerhin. Das musste natürlich so kommen.

Der Trauerschock und die Fallhöhe der durchaus bewegenden, zutreffenden Reden waren einfach zu groß für dieses einfache Spiel, das sich zum Millionengeschäft aufgeblasen hat. Der Profifußball taugt eben nur bedingt zur Wertevermittlung und zum Vorbild an Fairness. Es muss gesiegt werden, dafür braucht es Siegertypen, von denen im Zweifel erwartet wird, Fouls zu begehen und jedenfalls niemals aufzugeben.

Fußball ist außerdem keine Nebensache, sondern die wichtigste Ersatzdroge für Millionen von Fans, die sich von ihrem Lieblingsclub möglichst oft einen Triumphrausch erhoffen, der ihnen im eigenen Alltag verwehrt bleibt. Es wäre pure Heuchelei zu erwarten, dass sich der Fußball in einen Hort allzeit verständnisvoller Gutmenschen verwandeln könnte.

Aber etwas mehr gegenseitiger Respekt dürfte schon sein. Und auch dafür gab es ja durchaus Beispiele: Als der bedauernswerte Constant Djakpa unbedrängt aus 25 Metern das wunderlichste Eigentor der Bundesliga-Geschichte geschossen hatte und sich gerade tief in den Boden des Gladbacher Borussia-Parks schämen wollte, kam die halbe Mannschaft von Hannover 96 auf ihn zugerannt und richtete ihn wieder auf.

Und als Karim Haggui in der Schlussminute sein zweites Eigentor fabriziert hatte, musste sogar der Tunesier grinsen. Fußballprofis, die über sich selbst lachen können? Ein ermutigendes Zeichen. Wieso das alles nun ausgerechnet Hannover widerfuhr? Keine Ahnung, aber es gab dort traurigere Momente, um sich an der Hymne "You’ll never walk alone" zu wärmen.

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