Handball-WM Halbfinale erreicht - Hanning: „Jetzt geht es erst los“

Köln · Trainer Christian Prokop darf durchatmen. Die deutsche Handball-Nationalmannschaft steht im WM-Halbfinale. Das große Ziel bei diesem Heim-Turnier ist erreicht, der Weg aber noch nicht zu Ende.

 Deutschlands Mannschaft jubelt nach dem Sieg gegen Kroatien.

Deutschlands Mannschaft jubelt nach dem Sieg gegen Kroatien.

Foto: dpa/Federico Gambarini

Am Dienstag tat Christian Prokop das, was ihm häufig so schwer fällt: loslassen. Einfach mal Abstand gewinnen. Mal nicht an den Handball denken. „Ich mache mein Sportprogramm und hoffe, dass die Sauna im Hotel funktioniert“, sagte der Bundestrainer am Vormittag in Köln. Das Training hatte er abgesagt. Seine Spieler bekamen bis zum Abendessen frei. „Wie sie den Tag gestalten, ist ganz alleine ihnen überlassen“, erklärte Prokop.

Er darf durchatmen. Die deutsche Nationalmannschaft steht im WM-Halbfinale. Das große Ziel bei diesem Heim-Turnier ist erreicht, der Weg aber noch nicht zu Ende.

An diesem Mittwoch (20.30 Uhr/ARD) steht in Köln das letzte Hauptrundenspiel gegen Spanien an. Es ist im Grunde bedeutungslos. Am Freitagabend folgt dann in Hamburg das Halbfinale. Am Sonntag finden im dänischen Herning die Medaillenspiele statt. Seit Montagabend ist viel passiert. Fragen und Antworten rund um die deutschen Handballer.

Wie ist der 22:21-Sieg gegen die Kroaten einzuordnen?

Prokop spricht von der „schwersten Prüfung“ bislang. Die war es auch. Denn es prasselte viel auf die deutsche Mannschaft ein. Sie besaß einen Matchball. Das wusste jeder, das erhöhte den Druck. Der Start in die Partie verlief so schwach wie in keiner anderen Begegnung. Hinzukam die schwere Verletzung von Martin Strobel nach neun Minuten. Dass die Gastgeber in beiden Hälften eine Führung (10:8, 26./18:15, 46.) wieder herschenkten, befeuerte die Nervosität. „Es waren viele Unwägbarkeiten, die die Truppe super bewältigt hat“, freute sich der Bundestrainer, dass es am Ende doch gereicht hatte.

Wer stach gegen Kroatien heraus?

In der Deckung lieferte Hendrik Pekeler sein Meisterstück ab. „Das war Weltklasse“, adelte DHB-Vizepräsident Bob Hanning den Kieler, dem hoch anzurechnen ist, dass er nach zwei Zwei-Minuten-Strafen im ersten Durchgang, in der zweiten Hälfte extrem clever verteidigte, so dass er keine dritte Hinausstellung und damit die rote Karte kassierte. „Da muss man sich etwas umstellen“, sagte Pekeler und ergänzte: „Ich hätte aber auch gedacht, dass die Kroaten intensiver versuchen, mich vom Feld zu nehmen.“ Insgesamt glänzte die deutsche Abwehr. Auch Patrick Wiencek und Jannik Kohlbacher verrichteten Schwerstarbeit. In der Offensive klemmte es. Außer bei einem: Fabian Wiede. Der Berliner traf sechs Mal bei sechs Versuchen. Er war es, dem nach neun torlosen Minuten mit einem Schlagwurf das 19:19 (55.) gelang. Er bediente Uwe Gensheimer, der zum 22:20 (60.) traf. „Fabian hat überragend gespielt“, erklärte Torhüter Andreas Wolff. „Wenn die Luft brennt, ist er da“, sagte Hanning über seinen Zögling.

Aber auch der Bundestrainer hat viele richtige Entscheidungen getroffen. Wolff in der Endphase für ein paar Minuten vom Feld zu nehmen und durch Silvio Heinevetter zu ersetzen, half dem extrovertierten Keeper. Als er zurück auf die Platte kam, hielt er einen wichtigen Ball. Die Variante, beim Stand von 18:19 mit dem siebten Feldspieler zu agieren, half der Mannschaft im Angriff. Auch die Auswechslungen waren nachvollziehbar. „Ich fand die Entscheidungen nicht so schwer“, betonte Prokop am Dienstag.

Die Kroaten beschweren sich heftig über die Schiedsrichter. Zu Recht?

Domagoj Duvnjak und Co. fühlten sich krass benachteiligt. Ihr Trainer Lino Cervar fuhr schwere Geschütze auf: „Die olympische Idee besagt, dass jedes Team im Sport die gleichen Rechte hat. In diesem Spiel hatte mein Team nicht die gleichen Rechte wie das deutsche Team.“ Das ist absurd. Die Kroaten hadern mit einigen Entscheidungen in der Schlussphase. Völlig empört sind sie darüber, dass die Unparteiischen Martin Gjeding und Mads Hansen beim Stand von 20:21 auf Stürmerfoul im Zweikampf zwischen Igor Karacic und Fabian Wiede entschieden. Das war in der Tat ein zweifelhafter Pfiff, passt aber in die kleinliche Spielleitung der Referees bei diesem Turnier. Über 60 Minuten gesehen wurden die Kroaten nicht benachteiligt. „Das waren keine Heimschiedsrichter“, betonte Bob Hanning.

Wie schwer wiegt der Ausfall von Martin Strobel?

Der 32-Jährige war Prokops Nummer eins auf Rückraum Mitte. Von daher entsteht ein Vakuum, das aber gefüllt werden kann. Weniger von dem am Dienstag nachnominierten Tim Suton als von Paul Drux und Fabian Wiede, die noch mehr in die Verantwortung genommen werden. Strobel überraschte viele Kritiker, hatte aber mit Ausnahme des Frankreich-Spiels keine außergewöhnlichen Leistungen abgeliefert, die ihn nun unersetzbar machen würden. Fehlen wird er sicherlich als Charakterkopf. Am Montagabend, als er mit der Diagnose Kreuzbandriss aus dem Krankenhaus zurück ins Hotel kam, hielt er beim Abendessen eine bemerkenswerte Ansprache an die Teamkollegen. „Er hat absolute Größe in einem schweren Moment gezeigt“, sagte Prokop. „Mir sind Tränen in die Augen geschossen“, gab Bob Hanning zu.

Wer ist der Gegner im Halbfinale?

Das steht noch nicht fest. Es wird in jedem Fall ein skandinavisches Team sein: Dänemark, Schweden oder Norwegen. Alle drei spielen ein gutes Turnier, wobei die Dänen noch etwas mehr herausragen. Doch die Deutschen haben Selbstbewusstsein getankt. „Gegen uns zu spielen, würde mir an ihrer Stelle keinen Spaß machen“, frotzelte Hanning schon am Montagabend. „Wir nehmen es so, wie es kommt“, betonte Prokop, der die möglichen Kontrahenten bislang nicht detailliert analysiert hat.

Wie geht die deutsche Mannschaft das Hauptrundenfinale gegen Spanien an?

Christian Prokop redete nicht lange drumherum: „Für uns ist das entscheidende Spiel das Halbfinale.“ Will heißen: Gegen Spanien werden die Kräfte geschont. Jeder kommt zum Einsatz – egal, wie das Spiel steht. Der Bundestrainer betonte aber auch: „Wir wollen eine gute Verabschiedung in Köln.“ Er wird versuchen, den Spagat zu schaffen, aber eben nicht um jeden Preis.

Welchen Stellenwert hat der Halbfinal-Einzug für die Sportart Handball in Deutschland?

Auch wenn das Turnier schon fast zwei Wochen läuft, „jetzt geht es los“, wie Bob Hanning betonte. Denn nach diesem Erfolg weckt die Mannschaft ein weitaus größeres öffentliches Interesse. „Wir sind da, wo wir hinwollten“, freute sich der DHB-Vizepräsident.

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