Fußball Als der WSV mit Bayern auf Augenhöhe war

Das legendäre 1:1 im ersten WSV-Bundesliga-Jahr ist Grundlage eines Hörfußballspiels im Herbst im Stadion am Zoo.

 WSV-Torwart Manfred Müller fängt vor 40 000 Zuschauern im Spiel gegen Bayern einen Ball ab, rechts schaut WSV-Torschütze Jürgen Kohle zu.

WSV-Torwart Manfred Müller fängt vor 40 000 Zuschauern im Spiel gegen Bayern einen Ball ab, rechts schaut WSV-Torschütze Jürgen Kohle zu.

Foto: Kurt Keil

Es war ein Oktoberabend im Jahr 1972, und das schummrige Flutlicht im Stadion am Zoo hatte Mühe, die Szenerie auf dem Rasen zu erhellen, geschweige denn die unglaublichen 40 000 Zuschauer, die sich auf den Rängen, der Radrennbahn und dem Hang hinauf zum Zoo drängten. Der amtierende Deutsche Meister FC Bayern München mit seinen frisch gekürten Europameistern Franz Beckenbauer, Gerd Müller, Sepp Maier, Uli Hoeneß, Paul Breitner und Hans-Georg Schwarzenbeck war zu Gast beim Wuppertaler SV. Der war als Top-Aufsteiger mit seinem modernen Fußball damals in Fußballdeutschland in aller Munde und seit 49 Spielen zu Hause ungeschlagen.

Die Erinnerungen daran will jetzt Regisseur Michael Uhl mit einem Hörfußballspiel erlebbar machen, das im Herbst an gleicher Stelle zur Aufführung kommen soll. Dafür interviewt er derzeit Zeitzeugen wie die ehemaligen WSV-Spieler Günter Pröpper, Emil Meisen und Manfred Kremer, ihre Münchner Kollegen Franz Krauthausen und Edgar Schneider, aber auch Reporter von damals, wie die WZ-Fotografen Kurt Keil und Otto Krschak oder Ex-WZ-Mitarbeiter Manfred Osenberg.

Die besondere Idee: Um das Hörspiel interaktiv zu machen, sollen 60 bis 80 Zuschauer unterteilt in zwei Mannschaften nach Regieanweisung und mit dem Radio am Ohr die Szenerie auf dem Rasen abschreiten können. Vom Anstoßpunkt zu den Strafräumen, wo Erich Miß auf WSV-Seite und Georg Schwarzenbeck die jeweiligen Torjäger Gerd Müller und Gunter Pröpper gut im Griff hatten, zur Stelle, von wo aus WSV-Scharfschütze Jürgen Kohle damals per Freistoß das 1:0 erzielte, oder dorthin wo Bernd Dürnberger das Tor zum 1:1-Endstand gelang. Damals ein ungeheures Ergebnis, denn der mit 4:4-Zählern ordentlich gestartete Aufsteiger knöpfte dem Münchner Starensemble am fünften Spieltag den ersten Punkt ab, und wird von Zeitzeugen als die bessere Mannschaft beschrieben.

Die drei Aufführungstermine, die Uhl mit dem Wuppertaler Fanprojekt und dem Bürgerradio plant, sollen um die Jahreszeit vor 47 Jahren herum liegen, als sich die Vorlage ereignete, also Ende September/Anfang Oktober. „Es wäre schön, wenn wir dann auch ein paar Bayern-Fans ins Stadion bekämen“, so Uhl, der noch in der Terminabstimmung ist. Für jedermann werde das Hörspiel auf jeden Fall auch live im Wuppertaler Bürgerradio - Sendezeit 20 bis 21 Uhr - zu hören sein.

Fanprojekt will die jungen Anhänger von heute einbinden

Zum ersten Mal mit Fußball-Historie in Berührung gekommen war Uhl, als er in Oldenburg, wo er von 2009 bis 2016 Leitender Regisseur des Niederdeutschen Schauspiels am Staatstheater war, nach ähnlicher Machart die Hölle von „Donnerschwee“ aufführte. Ein Stück aus der Zeit, als der VfB Oldenburg ans Tor zur Bundesliga anklopfte. Da das Stadion im Stadtteil Donnerschwee inzwischen einem Supermarkt gewichen ist, wurde an gleicher Stelle auf dem Parkplatz „gespielt“. „Die 20 Aufführungen waren ausverkauft“, so Uhl. In Wuppertal wird er nun mit seinem Projekt „Hörfußballspiele erstmals in ein Stadion gehen. Das ermöglicht durch die Tribüne Zuschauern, an dem „Flashmob“ teilzuhaben.

Uhl war schnell Feuer und Flamme, als ihn Thomas Lükewille vom Wuppertaler Fanprojekt in Fankfurt bei der Ideenwerkstatt „Innovative Fußballprojekte“, wo er seine Idee „Hörfußballspiele“ vorstellte, fragte, ob er das nicht mit dem WSV als Objekt aufziehen könne. Zumal, als er die damalige und die heutige Konstellation schilderte. „In der jetzigen Krise das Vereins lechzt doch jeder nach guten Nachrichten. Jeder weiß zwar, dass der WSV mal in der Bundesliga war, und die meisten der Spieler von damals leben ja auch noch. Doch die jungen Fans haben davon ansonsten keine Vorstellung“, sagt Lükewille.

Er sieht dadurch die Möglichkeit, die Bindung zwischen Verein und Fans zu stärken und rennt bei WSV-Vorstandssprecher Alexander Eichner offene Türen ein. „Wir versuchen derzeit, an vielen Fronten, deutlich zu machen, dass der WSV lebendig ist. Da spielt uns das Projekt natürlich in die Karten, und wir unterstützen es, wo wir können“, so Eichner. Auch das Fanprojekt München hilft bei der Realisierung.

Uhl war inzwischen mehrmals sowohl in München als auch in Wuppertal, hat seine Interviews in der heutigen Regiekanzel geführt, mit Blick auf den Rasen, um auch bei den Interviewpartnern die Erinnerungen zurückzuholen, die nach 47 Jahren natürlich manchmal verschwimmen. Das Skript will er im August fertigstellen, um dann an den Schnitt gehen zu können. Generell werde es nicht nur um das Spiel gehen, sondern darum, wie sich diese besondere Konstellation damals aufgebaut habe (u.a. die Rekordaufstiegssaison des WSV mit 52 Pröpper-Toren), das Torjäger-Duell Pröpper - Gerd Müller, von denen beim 1:1 keiner traf, das Gefühl der Fans damals und auch das, was aus dem Spiel folgte. „Als eine der Konsequenzen wurde die Blockbildung in den Stadien eingeführt“, erzählt Uhl. Das Gedränge damals muss unbeschreiblich gewesen sein. Das habe auch bei seinen Gesprächspartnern einen bleibenden Eindruck hinterlassen. „Viele haben mir geschildert, wie die Menschen ums Stadion herum wie Trauben in den Bäumen hingen.“ Aufgerüstet wurde danach auch das schwache Flutlicht, von dem unser Fotograf Kurt Keil meinte: „Das waren Funzeln“. Auch da soll das Hörfußballspiel Licht ins Dunkel bringen.

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