Mehr Party als Protest: Seleção lässt Brasilien aufatmen

Rio de Janeiro (dpa) - Randale und Proteste, Tore und Freudentaumel - Brasiliens „Weltmeisterschaft der Weltmeisterschaften“ hat in jeder Hinsicht turbulent begonnen.

Mehr Party als Protest: Seleção lässt Brasilien aufatmen
Foto: dpa

Während der Rekordweltmeister in São Paulos Corinthians-Stadion einen 3:1-Sieg gegen die starken Kroaten schaffte und die „Seleção“-Fans in Ekstase verfielen, gossen die WM-Gegner einige Wermutstropfen in die „WM-Caipirinha“. In São Paulo, Rio, Belo Horizonte, Brasília, Porto Alegre und Fortaleza kam es zu Protesten, von denen einige in Randalen und Ausschreitungen mündeten.

Doch wie von vielen vermutet: Als der „Brazuca“ um 22.00 Uhr (MESZ) endlich rollte, gab es für viele Fans kein Halten mehr. Von Manaus bis Porte Alegre, von Rio bis Fortaleza fieberten Millionen Fans auf der Straße, bei FIFA-Fanfesten und zu Hause vor den Fernsehern mit. Das erste Tor der 20. Fußball-WM schoss ein Brasilianer. Doch statt Jubel folgte kollektive Schockstarre: Marcelo, der Unglückliche, sorgte für ein Eigentor. Dann 18. Minuten später die pure Freude als Superstar Neymar, den Anschluss sicherte.

Es krachten Böller, Raketen stiegen in den Himmel. Auch Neymars Treffer nach dem umstrittenen Elfmeter wurde umjubelt. Als dann Oscar noch traf, feierten die Brasilianer, als wäre das Finale schon gewonnen. „Der Glanz der beiden Helden“, schrieb die Zeitung „O Globo“. An Rios Copacabana und im São Paulo Corinthians Arena stimmte die Fans „O Campeão voltou“ (Der Champion ist zurück) an. In diese Euphorie wollte Brasiliens bekanntester TV-Moderator „Galvão“ bei TV Globo nicht einsteigen: „Calma (Ruhig)! Es ist erst der erste Schritt von sieben (bis zum Finale).“ Das Endspiel wird am 13. Juli in Rio ausgetragen.

Im heißesten WM-Spielort Manaus herrschte schon lange vor dem Anstoß ausgelassene Stimmung. Im Grilllokal „Rei do Churrasco“ reichten schon die ersten Szenen von Neymar & Co. beim Aufwärmen, um die brasilianischen Fans zwischen gebratenem Huhn und Fleisch zu verzücken. 20 000 Menschen waren an Fan-Meile an Rios Strand, darunter viele „Gringos“, also ausländische Fans, die mit Tröten und Nationalflaggen angereist waren.

Das Weltturnier wurde mit einer Show eröffnet, an der über 600 Tänzerinnen und Tänzern teilnahmen, die künstlerisch die drei Schätze Brasiliens darstellten: Natur, Menschen und Fußball. Zum Schluss der 25-minütigen Show sangen US-Sängerin Jennifer Lopez, den US-Rapper Pitbull und die brasilianische Sängerin Claudia Leitte vor 62 000 Zuschauern den offiziellen WM-Song „We are one“. Das Echo fiel gemischt aus. „Einfach und schnell: Eröffnungsfest begeistert Brasilien“, befand die Zeitung „Estado de São Paulo“.

Anders die Zeitung „O Globo“, die die Zeremonie eher „lau“ fand: „Viel Freude und wenige gute Ideen“. Die „Folha de São Paulo“ hatte nach der Show das Gefühl eines unvollendeten Werks. Es sei eine „schlecht gemachte Parade nationaler Klischees“ gewesen. Das Fehlen offizieller Reden bemängelte indes keiner. Präsidentin Dilma Rousseff und FIFA-Präsident Joseph Blatter hatten bewusst darauf verzichten. Sie wollten sich eine Erfahrung wie bei der Confed-Cup-Eröffnung 2013 in Brasília ersparen, als sie vom Publikum ausgepfiffen wurden.

Der Rasen in der nagelneuen Corinthians-Arena schien perfekt. Nur die Beleuchtung schwächelte. Etwa 25 Prozent der Flutlichtstrahler fielen kurzzeitig aus. Die Milliarden-Kosten für die WM-Stadien sorgten indes für Proteste und Ausschreitungen am WM-Eröffnungstag. Vor dem WM-Anpfiff gingen Bilder von Straßenschlachten in São Paulo um die Welt. Die Proteste begannen an der Metro-Station Carrão etwa zehn Kilometer vom WM-Eröffnungsstadion entfernt.

Maskierte Randalierer knickten Straßenschilder um, rissen Mülleimer aus den Halterungen und setzten den Müll in Brand. Zudem bewarfen sie Polizisten mit Steinen, die ihrerseits mit Tränengas, Gummigeschossen und Schlagstöcken gegen Demonstranten vorging. Die Aktion wurde von zahlreichen Journalisten begleitet, die mit Helmen und Schutzmasken ausgestattet waren. Zehn Menschen wurden verletzt, darunter zwei CNN-Journalistinnen. Ihnen geht es aber gut, wie der Sender versicherte.

Proteste gab es auch in Rio, wo die WM-Gegner zunächst im Zentrum demonstrierten und eine Straße teilweise blockierten. Nach örtlichen Medienangaben nahmen etwa 2000 Menschen an dem Protest teil. Eine Gruppe zog direkt zum FIFA-Fanfest an der Copacabana. Auch im WM-Spielort Belo Horizonte setzten Polizisten Gummigeschosse und Tränengas gegen Demonstranten des sogenannten Schwarzen Blocks ein. In Porto Alegre stürzten Randalierer ein Polizeiauto um. Auch aus Fortaleza und Brasília wurden Proteste gegen die WM gemeldet.

Wichtig für die Stimmung im Land wird das Abschneiden der Gastgeber sein. Rund 70 Prozent der Brasilianer glauben Umfragen zufolge, dass ihre Seleção den Traum vom sechsten WM-Titel wahr machen wird. Und diese Überzeugung dürfte sich nach dem Auftaktsieg gefestigt haben. Fußballverbandschef José Maria Marin hatte die Latte Anfang der Woche ziemlich hoch gehängt: „Wenn wir die WM gewinnen, kommen wir alle in den Himmel. Wenn wir verlieren, landen wir in der Hölle.“

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