Kolumne Marcel Reif über Messi und Co. - kein Benehmen mehr bei der WM

Sie wollen was hören zur deutschen Mannschaft? Tut mir leid, da muss ich sie noch etwas vertrösten. Denn es gibt Wichtigeres. Reden wir über Benehmen im Fußball.

 Fußballkommentator Marcel Reif.

Fußballkommentator Marcel Reif.

Foto: Foto: Paul Zinken/dpa

Fangen wir gleich mit einem der ganz Großen an. Lionel Messi hat mich enttäuscht. Man darf verlieren und schlecht spielen, aber so darf man nicht vom Platz gehen: Ohne eine Gratulation an den — besseren — Gegner, ohne Geste der Anerkennung.

Nein, Señor Messi, das geht nicht. Ein Weltstar dieses Kalibers, dessen Image darauf ausgerichtet ist, rund um den Globus die Sympathien junger Fußballer einzusammeln, deren Augen leuchten, wenn sie den Namen Messi nur hören — von einem solchen Idol darf und muss man mehr verlangen.

Wenn wir das geklärt haben, können wir uns gleich den nächsten vorknöpfen, der noch keiner von den Größten ist, sich aber gleichwohl für einen zu halten scheint. Wie Neymar mit Gegnern und Mitspielern umgeht, reicht schon fast als Nachweis einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung.

Der Tiefpunkt waren seine verbalen Ausfälle gegen Mitspieler Thiago Silva, der den Ball den Costa Ricanern überließ, weil die ihn vorher absichtlich ins Aus gespielt hatten. Wer selbst mit diesem ungeschriebenen Gesetz, dessen Anwendung selbst in den hitzigsten Spielen selbstverständlich befolgt wird, brechen will, dem ist nun gar nicht mehr zu helfen.

Bescheiden im Sieg, neidlos in der Niederlage — so sollte es sein. Klingt vielleicht altmodisch, ist aber moderner denn je. Gerade bei einer Weltmeisterschaft, wenn auch die auf den Fußball schauen, denen er sonst nicht so wichtig ist.

Wenn zweitrangige Chargen auf der deutschen Bank einen in der letzten Minute bezwungenen Gegner verhöhnen und provozieren, dann ist das schlicht unwürdig. Dass die beiden sich auf die emotionale Kraft des Fußballs berufen, ist allzu billig. Dann muss man Spielern, die unter größerem persönlichen Druck stehen, noch viel mehr durchgehen lassen.

Wer das nicht aushält, der ist hat im Innenraum und auf der Bank der deutschen Mannschaft nichts verloren. Immerhin: Der DFB hat sich prompt entschuldigt, und auch seine Mitarbeiter haben das persönlich getan. Das sollte man nicht unterschlagen.

So leid es mir tut, aber jetzt wird es richtig ernst. Wenn ein gestandener Trainer, ein erwachsener Mann sich zu einer solchen Äußerung hinreißen lässt wie der serbische Trainer Mladen Krstajic gegen Schiedsrichter Thomas Brych, dann ist jedes Maß verloren.

Der Mann gehöre vor das Kriegsverbrecher-Tribunal in Den Haag, hat Krstajic gesagt — das kann man ihm nicht durchgehen lassen, und dass es da keine deutlichere Strafe als 4000 Euro Geldbuße gegeben hat, bringt die FIFA mit ihren ganzen Kampagnen zu Fair Play in höchsten Erklärungsnotstand.

Verrohen da vollends die Sitten? Drehen wir durch wegen Fußball? Falls das so ist, sollte mal dringend jemand eingreifen und verhindern, dass dieser wunderbare Sport derart aufgeladen wird mit Hass und Häme, mit Nationalismus und Chauvinismus, mit Exzentrik und Egomanie. Freunde, bitte: Es ist Fußball — mehr nicht.

Das haben auch Granit Xhaka und Xherdan Shaqiri leider nicht begriffen. Da spielt die Schweiz ein tolle Vorrunde, bietet eine leidenschaftliche und starke Mannschaft auf, feiert einen tollen Wendesieg gegen Serbien — und worüber wird geredet? Über den Jubel der beiden Schweizer mit kosovarischen Wurzeln.

Egal, was die beiden jetzt erzählen: Die Jubelgeste mit dem albanischen Doppeladler war eine bewusste Provokation der serbischen Fans, die beiden haben ein Streichholz an ein Pulverfass gehalten. Mit Patriotismus, mit Heimatliebe hat das nichts zu tun.

Wenn da jemand Parallelen zur Erdogan/Özil/Gündogan-Affäre sieht: Bitte, drängt sich ja auf. Vielleicht noch dieser kleine Hinweis an Xhaka und Shaqiri: Der Form von Özil und Gündogan war die Sache nachweisbar nicht zuträglich.

Man würde sich womöglich kopfschüttelnd und am Menschenverstand zweifelnd abwenden von dieser Bühne der WM, wenn da nicht unsere Freunde aus dem hohen Norden wären. Die Grußbotschaft der Isländer an den leukämiekranken nigerianischen Torwart war eine große, echte Geste. Solche Vorbilder brauchen wir — bitte mehr davon.

Und auch, wie sich die Schweden im Wortsinn hinter ihren Teamkollegen Durmaz gestellt haben, als der von Fans in den asozialen Netzwerken auf übelste Art beleidigt worden war — das hatte was und das macht einen ergrauten Fußball-Romantiker wie mich froh.

Ach ja, die deutsche Mannschaft. Die gewinnt gegen Südkorea und geht ins Achtelfinale. Und dann geht die WM richtig los.

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