Empfang in Berlin: „Wir sind alle Weltmeister“

Feierbiester und Fußballgötter bieten den Massen auf der Berliner Fanmeile einen ausgelassenen Bühnenauftritt.

Der siegestrunkene Abwehrhühne Per Mertesacker schreit seine Freude üben den vierten Weltmeistertitel vor dem Brandenburger Tor heraus.

Der siegestrunkene Abwehrhühne Per Mertesacker schreit seine Freude üben den vierten Weltmeistertitel vor dem Brandenburger Tor heraus.

Foto: Daniel Naupold

Berlin. Per Mertesacker hat noch Kraft. Er gehört zu den Feierbiestern auf dem Truck des Weltmeisters. Hinter der Bühne am Brandenburger Tor angekommen, rutscht Mertesacker auf dem Geländer einer kleinen Treppe vom Lkw herunter — und jubelt inbrünstig dabei.

Empfang in Berlin: „Wir sind alle Weltmeister“
Foto: Alex Grimm

Neben ihm taucht Lukas Podolski auf, er reißt die Faust hoch. „Jaaaaaaa“, ruft er. „So sehen Sieger aus“, singen die Fans, die es an der Polizeisperre vorbei auf den Pariser Platz geschafft haben und hautnah bei der Mannschaft sind.

Hunderttausende feiern die Weltmeister in Berlin
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Hunderttausende feiern die Weltmeister in Berlin

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Die mit dem vierten Stern sind endlich an der Berliner Fanmeile angekommen — nach triumphaler Fahrt durch die Stadt. Heute dürfen alle alles. Die Hauptstadt ist dicht, die meisten Straßen in der City sind abgesperrt, und schon seit sechs Uhr strömen die Massen zur Fanmeile.

„Deutschlaaand, Deutschlaaand“ singen sie. So viel Schwarz-Rot-Gold hat man rund um Angela Merkels Regierungszentrale noch nie gesehen. Von der Fanmeile dröhnt Partymusik: „Die Hände zum Himmel.“

Einige Fans haben die Nacht im Tiergarten oder im Auto verbracht. Aus ganz Deutschland sind sie angereist. Vor dem Hauptbahnhof parken die Kapitäne der Weißen Flotte auf der Spree und warten auf die Mannschaft, die hier entlangkommt. Es ist ohrenbetäubend, als sie ihre Schiffshupen dröhnen lassen.

Der Lokomotivführer einer Regionalbahn stoppt seinen Zug auf der Eisenbahnbrücke, als der Triumphzug sich unten gerade durch die johlende Menge windet. Er winkt aus seinem Kommandostand und fährt dann langsam Wagen um Wagen vor, damit alle seine Passagiere gucken können.

Um genau 10 Uhr taucht wie aus dem Nichts der riesige Jumbo der „Fanhansa“ LH 2014 über dem Berliner Zentrum auf. Sehr tief. „Siegerflieger“, das ist von unten zu sehen. Der Pilot lässt die Tragflächen wackeln, dann dreht der Jet eine Ehrenrunde über der Fanmeile. Unten probt Helene Fischer gerade ihr „Atemlos“, der Lieblingssong der meisten Weltmeister-Kicker. 400 000 Menschen schauen jetzt gen Himmel und jubeln. Die Mannschaft ist im Anflug.

Nach der Landung auf dem Flughafen Tegel öffnet der Pilot die Luke an seiner Kanzel und hisst die Deutschland-Fahne. Er schließt das Fenster schnell wieder, als die Flughafenfeuerwehr das Wasser für ihre Begrüßungsfontäne marschieren lässt. Die Aussichtsterrasse ist proppevoll. Einer ist um fünf Uhr morgens in Düsseldorf losgefahren, um jetzt hier zu sein. „Die Jungs haben Geschichte geschrieben. Da will ich dabei sein“, sagt er.

Für das Team geht es zunächst mit dem Bus weiter, bevor es dann in Moabit auf den Truck umsteigt. Eine Bundestagsmitarbeiterin steht auf der Kronprinzessinnenbrücke im Regierungsviertel und wartet mit Zigtausenden auf die Elf. Sie hat sich die Deutschlandfahne um den Bauch gebunden.

„Damit bin ich im Reichstag schief angeguckt wurden“, sagt sie. „Ist mir aber egal.“ Sie schimpft auf Linke und Grüne, die just zu dieser Zeit eine Sondersitzung des Innenausschusses wegen der Spionageaffäre angesetzt haben. „Humorloses Volk“, sagt sie. Wie zum Beweis kommt Renate Künast vorbei, vollbepackt mit Akten. Die Grünen-Politikerin passiert die Polizeisperre mit ihrem Ausweis, guckt mürrisch und eilt in Richtung Reichstag, ohne einen Blick zurück.

Immer wieder hält die Mannschaft auf dem Weg zur Fanmeile ihre Medaillen und den Pokal hoch. Er glänzt in der Sonne. „Oh, wie ist das schön“ wird am Straßenrand gesungen. Für die Präsentation auf der Bühne haben sich die Spieler etwas einfallen lassen: Kapitän Philipp Lahm trägt den Goldpokal versteckt hinter den breiten Schultern von Mats Hummels, Thomas Müller, Erik Durm und Christoph Kramer aus Solingen. Plötzlich lassen sich alle zur Seite fallen, Lahm reckt „das Ding“ in den Himmel.

Unbeschreiblicher Jubel. Es wird getanzt, gehüpft, gegrölt, Finalgegner Argentinien ein wenig verspottet. „So gehen die Gauchos, die Gauchos gehen so“, rufen einige Kicker, als sie tief gebückt auf die Bühne laufen. „Wir genießen das sehr“, beschreibt Bastian Schweinsteiger die Stimmung im Team. „Geilster Moment in der Karriere“, brüllt Podolski. Als WM-Rekordtorschütze Klose vor die Fans tritt, johlt die Menge: „Klose Fußballgott.“

Besonders beeindruckend ist eine Szene: Jogi Löw muss von seinem Trainerteam förmlich nach vorne an den Bühnenrand geschoben werden, damit die Massen ihn bejubeln können. Der Bundestrainer wirkt bewegt, fast schüchtern. Und sagt den Satz, der an diesem historischen Tag alles zusammenfasst: „Wir sind alle Weltmeister.“

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