Pikanter Wechsel: Gullit Trainer in Tschetschenien

Moskau (dpa) - Das „Abenteuer Tschetschenien“ beginnt für Ruud Gullit in der Türkei. Statt unter den Schneegipfeln des Nordkaukasus bereitet der niederländische Ex-Fußball-Nationalspieler seine neue Mannschaft Terek Grosny im milden Antalya auf die Erstligasaison in Russland vor.

Nach seiner überraschenden Entscheidung für den Trainerjob im ehemaligen Kriegsgebiet wollte sich der 48-Jährige eigentlich in Moskau der Presse vorstellen - doch das Visum traf nicht rechtzeitig ein. Der konsularische Lapsus dürfte eine Lappalie sein im Vergleich zu den Problemen, die ihn erwarten.

Für Gullit, der als Trainer noch kaum Erfolge vorzuweisen hat, liegt die Latte hoch: Die Vereinsspitze gab einen Europapokal- Startplatz als Saisonziel aus. In der zurückliegenden Spielzeit wurde Grosny nur Elfter von 16 Teams. Terek ist eine Mannschaft ohne Stars, aber das soll sich ändern. Zum Saisonstart gegen Meister Zenit St. Petersburg wird im März bereits ein neues Stadion für 30 000 Besucher eröffnet. Das Geld dafür - und auch indirekt Gullits Grundgehalt von angeblich 3,7 Millionen Euro - kommt aus Moskau: Rund 80 Prozent des Budgets bezieht Tschetschenien aus dem Staatshaushalt.

Gullit in Grosny, das hat für viele auch eine politische Note. Pikanteste Personalie dürfte Ramsan Kadyrow sein - das Oberhaupt der Teilrepublik ist gleichzeitig Präsident von Gullits neuem Arbeitgeber Terek. Menschenrechtler werfen dem 34-Jährigen Staatsterror vor, doch für seine persönliche Beteiligung an Folter oder gar Mord fanden sich bisher keine Beweise. Kadyrow will nach dem Blutvergießen der Kriege das Negativimage der Unruheregion abschütteln - da kommt der einstige Weltfußballer und Europameister Gullit als Werbeträger gerade recht. Doch der Nordkaukasus bleibt gefährlich: Allein 2010 starben in der Region bei Feuergefechten 754 Menschen, weitere 956 wurden verletzt.

Wohnen wird Gullit nicht in Tschetschenien. Der wegen seiner Wurzeln in Südamerika „schwarze Tulpe“ genannte Coach wird sein Lager in der früheren Festungsstadt Kislowodsk rund 300 Kilometer nordwestlich von Grosny aufschlagen. Seine Frau Estelle, eine Nichte der Fußball-Ikone Johan Cruyff, zieht erst gar nicht mit um. Mit Gullits Verpflichtung findet auch eine erfolgreiche russisch- niederländische Zusammenarbeit ihre Fortsetzung. Landsmann Dick Advocaat betreut derzeit die Fußball-Nationalmannschaft des WM- Gastgebers von 2018 und hatte zuvor St. Petersburg an die europäische Spitze herangeführt. Vor ihm trainierte Guus Hiddink die Sbornaja.

Hiddink habe ihm geraten, das Angebot anzunehmen, sagte Gullit nach der Unterzeichnung des Vertrags für zunächst 18 Monate. Die russische Liga, in der auch der deutsche Ex-Nationalspieler Kevin Kuranyi spielt, „sei stärker als die niederländische Liga“, lobte er. Jedenfalls sei das Geld „nicht ausschlaggebend“ gewesen für seine Entscheidung. „1988 wurde Gullit gegen die Sowjetunion Europameister, heute trainiert er Grosny. 1987 widmete er seinen Titel als Weltfußballer dem politischen Häftling Nelson Mandela, heute arbeitet er mit Ramsan Kadyrow“, kommentierte die russische Zeitung „Sport Express“ den Transfer. Es gebe im Leben „schon seltsame Fügungen“.

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