Brasilien will bei WM das „Maracanaço“ vergessen machen

Rio de Janeiro (dpa) - Die FIFA musste in den vergangenen Jahren viel Geduld mit Brasilien haben. Der WM-Gastgeber ist eine große und stolze Nation, die ihren eigenen Rhythmus hat, und der wurde in der Zentrale des Weltverbandes im fernen Zürich nicht immer verstanden.

Beim Stadienbau waren und sind Verspätungen an der Tagesordnung. Das WM- Gesetz blieb lange im Kongress stecken. Die Frage, ob Bier in Stadien erlaubt ist oder nicht, sorgte für Unmut. Es wurden harsche Worten über den Atlantik gewechselt.

Doch Brasilien hat es immer irgendwie geschafft. Und nun ist es fast da: das Jahr 2014. Das Jahr, in dem die Seleção den Traum einer Nation verwirklichen und zugleich ihr größtes Trauma überwinden soll.

Für die etwa 20 000 deutschen Fans, die schon ein WM-Ticket sicher haben, ist ein Blick auf das, was sich am 16. Juli 1950 in Rios Maracanã-Stadion zutrug, Pflicht. Damals waren 200 000 Menschen voller Freude und Siegesgewissheit zum WM-Entscheidungsspiel in den Fußballtempel gepilgert. Was sie erlebten, war eine unfassbare 1:2-Niederlage gegen Uruguay. Es war eine nationale Tragödie. Schweigend verließen die Massen das Stadion. „Niemals wieder habe ich eine solch' profunde Stille erlebt, in keiner Kirche, auf keinem Friedhof, in keinem Hospital. Die Stille war absolut“, erinnert sich der 78-jährige Marcos Azambuja, der das Spiel damals im Maracanã sah.

Der frühere Botschafter Brasiliens in Buenos Aires und Paris war mit seinem Großvater und seinem Bruder im Stadion. „Was als Krönungszeremonie gedacht war, wurde eine monumentale Enttäuschung“, sagte Azambuja der dpa. Nur wer diesen emotionalen Moment in Brasiliens Fußballgeschichte vor über 60 Jahren vor Augen hat, kann 2014 richtig einordnen. Brasilien sieht seine zweite Chance gekommen. Und auch wenn das Land seitdem fünf Titel gewonnen hat, wiegt die als „Maracanaço“ in die Geschichte eingegangene Niederlage als kollektives Trauma bis heute schwer.

„Wenn wir diese Niederlage von 1950 am selben Ort wieder gut machen können, dann wird das Gefühl da sein, dass Gott seinen einzigen Fehler, den er im Umgang mit Brasilien gemacht hat, korrigiert hat“, beschreibt der Diplomat augenzwinkernd die Grundstimmung, mit der die Fußballnation dem WM-Anpfiff am 12. Juni 2014 entgegenfiebert. Und doch schwingt in seinen Worten auch eine gehörige Portion Ernst.

Die Auslosung brachte dem Gastgeber in der Gruppenphase in Kroatien, Mexiko und Kamerun zunächst machbare Aufgaben. Doch ist der Weg bis ins Finale steinig. Denn spätestens ab dem Achtelfinale drohen Duelle mit Titelverteidiger Spanien oder Vize-Weltmeister Niederlande.

Die Vorbereitungen für das Fußball-Weltereignis 2014 liefen in Brasilien eher holprig, doch werden die sechs noch in Bau befindlichen Stadien der insgesamt zwölf WM-Arenen wohl alle fertig, wenn auch mit Verspätung.

Ärgerlicher ist der Verzug bei WM-Begleitprojekten etwa im öffentlichen Nahverkehr. Nach einer Analyse der Zeitung „O Globo“ sind über 75 Prozent der Projekte ein halbes Jahr vor dem Anpfiff in Verzug oder sie wurden gecancelt. Die Milliarden-Ausgaben und die oft desolaten Zustände im Transport-, Gesundheits- und Bildungswesen hatten schon im Sommer beim Confed-Cup, der WM-Generalprobe, Hunderttausende Brasilianer aus Protest auf die Straße gebracht. Ob sich das 2014 wiederholt, wagt niemand vorauszusagen

Staatschefin Dilma Rousseff jedenfalls verspricht nicht mehr und nicht weniger als die „WM der WMs“, was aus Sicht Brasiliens ganz sicher zutrifft. Ihr Sportminister Aldo Rebelo assistiert und prognostiziert ein „großes Fest“. Sportlich ist sich Fußball- Legende Pelé sowieso sicher: „Wir werden die WM gewinnen.“ Ex-Botschafter Azambuja ist da von Berufs wegen etwas diplomatischer: „Ja, wir werden versuchen zu gewinnen. Aber wenn wir gewinnen, dann wird die Welt Zeuge einer Explosion der Lebensfreude.“

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