Nations League Achsenbruch in Amsterdam: Die fortlaufende Krise der DFB-Elf

Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft verliert 0:3 in den Niederlanden und hat jetzt ein echtes Problem. Gegner Frankreich scheint am Dienstag unüberwindbar.

Die deutschen Spieler um Mats Hummels (2.v.l.) gehen nach der 0:3-Niederlage enttäuscht vom Platz.

Die deutschen Spieler um Mats Hummels (2.v.l.) gehen nach der 0:3-Niederlage enttäuscht vom Platz.

Foto: dpa/Ina Fassbender

Als draußen in der Arena von Amsterdam noch Rafael van der Vaart und Dirk Kuyt in den niederländischen Fußball-Ruhestand verabschiedet wurden und manch einer scherzte, sie würden beim deutschen Bundestrainer Joachim Löw längst nicht abgeschrieben sein, hatte Löw im Bauch des Stadions mit einem niederländischen Fragesteller zu kämpfen. Ob das denn nun eines seiner letzten Länderspiele gewesen sei, fragte der Niederländer in englischer Sprache etwas ungelenk nach dem 3:0 (1:0)-Sieg von Oranje in der Nations League. Löw verstand nicht recht, fragte dann seinen Pressemann Jens Grittner, ob er nach dem „schwächsten Länderspiel“ gefragt worden sei. Und dann musste Grittner ihn sichtbar unter eigenen Schmerzen berichtigen. So direkt, das stand fest, ist Löw noch niemand gekommen, das Ganze war ein etwas unwürdiges Schauspiel, aber dann rang sich der blasse Löw zu Haltung durch: Da müsse er jemanden anderen fragen, sagte er höflich, das habe er nicht zu entscheiden. Es war einer jener Momente, in denen das Denkmal des Bundestrainers bröckelte, dass man die Teile auf dem Boden aufschlagen hörte.

Jene Spieler, die Löw und allen jungen deutschen Fußballern Stütze sein sollten, äußerten sich ähnlich angegriffen. Mats Hummels diagnostizierte zum Beispiel, dass man „rein spielerisch Vieles gut gemacht“ habe, und: „Es war nicht sehr gut, es war auch nicht perfekt, bei Weitem nicht. Aber es war auch nicht schlechter als der Gegner.“ Aussagen, die wirklich niemandem weiterhelfen werden.

Vielleicht ist es menschlich, in Abwehrhaltung zu gehen, vielleicht ist es auch normal, dass man als Weltmeister mehr Respekt erwartet, aber niemals sind die Entwicklungen im Weltfußball schneller vorangeschritten als in diesen Monaten. Dass daraus nichts erwachsen soll, ist naiv. Kein Plan B, immer noch nicht. Und die Entwicklung der jungen deutschen Spieler wie Leroy Sané, Julian Brandt oder Julian Draxler stagniert derzeit auch, weil sie keinerlei Vertrauen vom Bundestrainer erhalten. Der betonte auch nach dem 0:3 in Amsterdam, bei dem sie allesamt Einwechselspieler waren, wie wichtig die Achse der Erfahrenen sei. Dass ihm diese Achse mit Neuer, Hummels, Boateng, Kroos und Müller ein weiteres Mal komplett weggebrochen war, erwähnte Löw nicht. Stattdessen verkündete er Weisheiten, die andere Nationen im Monatsrhythmus ad absurdum führen: „Wir dürfen nicht von den jungen Spielern, die 20, 21, 22 Jahre alt sind, Wunderdinge erwarten.“ Zudem die Rüge, dass deren Chancenverwertung und Qualität eben noch nicht ausreiche. Fast ist es bösartig, einem Spieler wie Sané nur Kurzeinsätze zu gewähren und dann bei aller erkennbarer Spiellust das Schlechte herauszufiltern. Und: Eigentlich war es nur ein Arbeitsauftrag von Löw an sich selbst. Nicht nur Kimmich lobte Sané: „Wir haben die Qualität von Leroy gesehen, dass er ein absoluter Unterschiedsspieler sein kann.“

Dass ausgerechnet Bondscoach Ronald Koemann, der sich bei der EM 1988 als Nationalspieler mit einem deutschen Trikot den Allerwertesten poliert hatte, danach von der neuen Generation der Niederländer schwärmte, schmerzte doppelt. Zwei Turniere (EM 2016, WM 2018) verpasste Oranje, um zu begreifen, dass die Generation um Arjen Robben (34) und Wesley Sneijder (34) die Vergangenheit verkörperte. Jetzt stellte Koemann vier Akteure unter 23 Jahre in seine Startelf und strahlte nach seinem größten Sieg: „Unsere Zukunft schaut gut aus. Es sind wahnsinnig gute Spieler auf dem Weg nach oben.“

Den Deutschen droht nun vor dem Spiel am Dienstag in Paris (20.45 Uhr) gegen Frankreich der Abstieg aus der höchsten Klasse der Nations League, der Druck ist gewaltig, die Depression groß, der neue Wettbewerb fordert der strauchelnden Elf alles ab. Und niemand da, der Halt gibt. Frankreich scheint plötzlich wie ein völlig unüberwindbares Hindernis. „Die haben richtig Bock, gegen uns zu zocken. Und sie sind besser als die Niederlande“, drohte Julian Draxler, der engagiert spielte, aber auch engagiert patzte vor den Konter-Gegentoren zwei und drei durch Georginio Wijnaldum und Memphis Depay.

Vor dem Hintergrund, dass das Leistungsprinzip beim suchenden Trainer Löw längst außer Kraft gesetzt ist, fehlt jeder Halt in einer ziemlich strukturschwachen Mannschaft ohne echten Anführer: Neuer, der vor dem 0:1 durch Virgil van Dijk patzte, ist es nicht, Kroos und Hummels („Das Resultat passt nicht ansatzweise zum Spiel. Nullkommanull. Wir bekommen jetzt wieder auf die Fresse“) sind dafür ungeeignet, Boateng (der gegen Frankreich wegen einer Verletzung ausfallen wird) und der inzwischen chronisch torlose Müller haben zu viel mit sich selbst zu tun. Was am schlimmsten ist: In dieser Mannschaft spricht kaum jemand mit dem anderen auf dem Rasen – keine Anfeuerung, kaum Abklatschen. Das Werk eines Erneuerers kommt für gewöhnlich freudvoller daher. Oder ist der Trainer eben gar keiner? Bis zur WM 2022 in Katar läuft Löws Vertrag. Laut „Süddeutscher Zeitung“ gibt es eine beiderseitige Ausstiegsklausel nach der EM 2020, für die aber erst einmal die Qualifikation her muss. Von solchen Selbstverständlichkeiten sollte niemand mehr ausgehen. Das scheint ja ohnehin eines der größeren deutschen Fußballprobleme zu sein: Dass sich einige Spieler dort wähnen, wo sie einmal waren - und daraus ein Gewohnheitsrecht an Weltklasse abgeleitet haben. Sie werden gerade gnadenlos überholt.

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