Deutsch-deutsches Duell 1973, Teil 2 Fortuna als Spielball der Politik

Serie | Düsseldorf/Leipzig · Der Eiserne Vorhang spaltete die Welt in Ost und West. Fortunas Uefa-Pokalspiele gegen Lok Leipzig brachten beide Welten 1973 zusammen, unter dem Schatten der Stasi-Überwachung.

 Fortuna-Anhänger begrüßen Fans aus Leipzig im November 1973 mit Fahnen.

Fortuna-Anhänger begrüßen Fans aus Leipzig im November 1973 mit Fahnen.

Foto: Horstmueller/HORSTMUELLER GmbH

Der heutige Fußball-Zweitligist spielte einst im Europapokal. Das mag für junge Fanohren fremd klingen, aber in der Bundesliga-Spielzeit vor genau einem halben Jahrhundert, 1972/73, erreichte die Mannschaft von Trainer Heinz Lucas den dritten Platz. Dieser berechtigte zur Teilnahme am Uefa-Pokal, dem Vorgänger der heutigen Europa League. Die ersten beiden Runden überstand die Elf gegen die Dänen von Naestved IF (1:0/2:2) und Admira/Wacker Wien aus Österreich (1:2/3:0) recht souverän. Dann kam der 9. November 1973. Das Los bescherte als Gegner in der dritten Runde ausgerechnet Lokomotive Leipzig aus der DDR.

Wie Fortuna damit zwangsläufig in den deutsch-deutschen Konflikt hineingeriet, davon zeugen Aktenberge im Stasi-Unterlagen-Archiv, das inzwischen im Bundesarchiv integriert ist. Unsere Redaktion durfte 1001 Seiten in Kopie rund um die gewaltige Überwachung des Hin- und des Rückspiels durch das Ministerium für Staatssicherheit („Stasi“) einsehen und auswerten. Zur Verfügung stellte die Dokumente die Dienststelle Leipzig.

Nach der Auslosung 1973 sammelte die Stasi fleißig alle bundesdeutschen Zeitungsartikel. Darin freute sich Fortuna-Coach Lucas über den bevorstehenden Kontakt mit den Sportlern und Menschen in der DDR, die kurze Anreise und den erwarteten Geldsegen durch viele Zuschauer. Er rechnete zum Hinspiel am 28. November 1973 mit 40.000 bis 50.000 Besuchern im Rheinstadion.

Ost und West waren bemüht, nach außen hin den „unpolitischen“ Charakter der beiden Partien zu betonen. Leipzigs Vorstandsmitglied Heinz Hering wird in der westdeutschen Presse zitiert: „Düsseldorf ist für uns ein Gegner wie jeder andere.“ Doch hinter den Kulissen hörte sich das anders an: „Die Klassenschlacht wird geschlagen.“ Das schrieb ein Oberst der Bezirksverwaltung Leipzig der Stasi handschriftlich auf seinen Vortragsentwurf für den Einsatz zum Rückspiel in Leipzig am 12. Dezember 1973.

Auch Minister Erich Mielke hob in seinem Befehl 35/73 „zur Sicherung der Fußball-Europacup-Spiele mit Beteiligung von DDR-Mannschaften“ die „hohe politische Bedeutung“ hervor. Der Einsatzbefehl bezog sich ursprünglich auf den Europapokal-Vergleich Dynamo Dresden gegen Bayern München im Oktober/November 1973, wurde aber durch die BV Leipzig auf das neue deutsch-deutsche Duell übertragen. Intern war sich der Staatsapparat sehr wohl der politischen Dimension des sportlichen Vergleichs bewusst.

Fortuna wollte sich gegenüber den Menschen in der DDR volksnah und nahbar geben – anders als die Münchner Bayern, die auch aus Angst vor Überwachung lieber auf bundesdeutscher Seite übernachtet hatten. Noch am Auslosungstag begann die diplomatische Annäherung zwischen beiden Delegationen. F95 sollte zuerst in Leipzig, dann in Düsseldorf antreten. Da aber auch die Uefa-Pokalteams aus Köln und Stuttgart zuerst auswärts anzutreten hatten, tauschte der Verband „aus wirtschaftlichen Gründen“ das Heimrecht. Am nächsten Tag schrieb ein Hotel aus Mettmann dem Leipziger Verein und bot sich der DDR-Mannschaft als Unterkunft an: „Wir würden uns über Ihren Besuch sehr freuen.“ Der Brief findet sich in den vorliegenden Akten, die Stasi las Wort für Wort mit.

Die Leipziger bevorzugten letztlich jedoch mit Hotel Altenkamp eine Unterkunft in Ratingen. In den Akten heißt es: „Das Hotel hat eine ruhige Lage, es gibt keinen Fahrzeugverkehr.“ Es diente im Jahr darauf auch der DDR-Nationalmannschaft während der WM 1974 als Quartier. Eine Woche nach der Uefa-Pokal-Auslosung reisten Lok-Vorsitzender Horst Kühn und Trainer Horst Scherbaum für zwei Tage nach Düsseldorf und schlossen im Hotel Uebachs an der Leopoldstraße mit Fortunas Spielerobmann Hans-Georg Noack eine elf Punkte umfassende „offizielle Vereinbarung“.

Dieses Dokument enthüllt über den Aufenthalt der Lok-Delegation in Düsseldorf (neben üblichen Absprachen zur Bezahlung sowie Absicherung von Hotel und Training durch den jeweiligen Gastgeber) auch Konflikte: Danach sollte es vor den Spielen einen offiziellen Empfang geben, nicht jedoch im Düsseldorfer Rathaus. Das lehnte Lok ab. Für das Hinspiel in Düsseldorf wollte der DDR-Klub den Zeitpunkt der Pressekonferenz vor dem Spiel festlegen. Auch die Medienberichterstattung zum Rückspiel sollte kontrolliert ablaufen. Danach sollten westdeutsche Journalisten nur mit Genehmigung durch das DDR-Außenministerium einreisen.

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