Ex-Fortuna-Profi Sergij Titarcuk Ex-Fortune Titarcuk setzt sich für Landsleute in der Ukraine ein

Kiew/Düsseldorf · Drei Jahre hat Sergij Titarcuk für Fortuna gespielt. Jetzt ist der Geschäftsmann in seinem Geburtsland und packt an, wo immer es geht.

 Sergij Titarcuk auf einem Selfie vom vergangenen Wochenende, aufgenommen während einer kurzen Kampfpause vor dem Parlamentsgebäude in der ukrainischen Hauptstadt Kiew.

Sergij Titarcuk auf einem Selfie vom vergangenen Wochenende, aufgenommen während einer kurzen Kampfpause vor dem Parlamentsgebäude in der ukrainischen Hauptstadt Kiew.

Foto: Sergij Titarcuk

Das Gespräch verzögert sich um einige Minuten. „Sorry, lieber Bernd“, schreibt Sergij Titarcuk im Facebook-Messenger, „kannst du es in zehn Minuten noch einmal probieren? Ich muss mich schnell noch um den Bus kümmern, der die Familien meiner Mitarbeiter aus Charkiw herausbringen soll.“ Als ob er danach fragen müsste. Es geht um Menschenleben – wieder einmal. Wie an jedem Tag, seitdem der frühere Fortuna-Profi Sergij Titarcuk in der vergangegen Woche in sein Geburtsland Ukraine gereist ist. Um dort zu helfen, wo immer er es irgendwie kann.

Von 2002 bis 2005 hat Titarcuk für Fortuna gestürmt. In Zeiten, in denen es sportlich schwierig war für die Düsseldorfer. Doch dass sein Leben noch einmal so unglaublich, so unvergleichlich viel schwieriger werden sollte – damit hatte der heute 42-Jährige niemals gerechnet. „Dieser Krieg“, sagt er, als die Leitung zustandegekommen ist, „sprengt alles, was ich mir jemals hätte vorstellen können. Es gibt ja spätestens seit 2014 große Spannungen zwischen Russland und der Ukraine. Aber ich hätte niemals gedacht, dass es so schlimm werden könnte.“

Längst hatte Titarcuk seinen Lebensmittelpunkt nach Deutschland verlegt. Ein erfolgreicher Geschäftsmann ist er geworden, nachdem er im Anschluss an seine Fußballerlaufbahn mit einem kleinen Lieferservice für belegte Brötchen im Ratinger Gewebegebiet angefangen hatte. Inzwischen ist er Financial Director in einem Unternehmen für Vermögensberatung, mit 15 Büros in Deutschland, Österreich und der Ukraine, in denen 120 Mitarbeiter ihr Geld verdienen. Doch als der Krieg begann, da fühlte er: „Ich muss in die Ukraine. Ich muss einfach den Menschen helfen.“

Titarcuk wohnt in einem Vorort 20 Kilometer von Kiew entfernt

Und das tut er nun. Trotz der Gefahr für das eigene Leben. „Anfangs wollte ich nur ein paar Tage bleiben“, berichtet er. „Das Wichtigste organisieren. Aber jetzt weiß ich, dass ich hier bleiben muss.“ Wobei Titarcuk bei allem unglaublichen Mut, den er für diese Entscheidung aufbringen musste, keineswegs lebensmüde ist. So hat er die Hauptstadt, von der aus er in den ersten Tagen den Ankauf und die Verteilung von Hilfsgütern wie Verbandmaterial oder Medikamente organisiert hat, inzwischen verlassen. Er wohnt jetzt in einem Vorort, rund 20 Kilometer von Kiew entfernt. „Es ist einfach vernünftiger. Nur ein paar Häuserblocks von dort entfernt, wo ich anfangs wohnte, ist eine Rakete in ein Haus eingeschlagen. Doch wann immer es möglich ist, fahre ich nach Kiew hinein.“

Es geht längst nicht immer. „In unserem Vorort hat es bis jetzt noch keine direkten Kampfhandlungen gegeben“, berichtet er. „Aber manchmal sehe ich, wie eine Rakete über uns hinwegfliegt, Richtung Hauptstadt. Dort ist im Zentrum schon vieles zerbombt. Die Russen werden immer brutaler. Sie schießen sinnlos auf Gebäude, in denen Zivilisten leben.“

Wenn dann wieder etwas Ruhe einkehrt, macht er weiter. Und hört sich um, was gerade besonders benötigt wird. Versucht, es über seine Kontakte in Deutschland zu besorgen. Medikamente sowieso, kürzlich aber auch Material, um Panzersperren zu bauen. „Und Nachtsichtgeräte“, erklärt Titarcuk. „Die brauchen wir hier dringend. Von denen habe ich gerade von den ersten 3000 Euro, die als Spenden aus Deutschland auf meinem Konto eingegangen sind, einige gekauft.“

Die Hilfsbereitschaft in seiner eigentlichen neuen Heimat Deutschland berührt den früheren Profi zutiefst. „Das ist so eine unglaubliche Unterstützung für die Menschen hier“, versichert er. „Dass fast die ganze Welt hinter uns steht in diesem wahnsinnigen Krieg, das hilft uns enorm. Wenn die Sirenen heulen beim nächsten Luftangriff, dann kann man seine Gefühle kaum im Zaum halten. Aber dann hört man wieder etwas von den Freunden in Deutschland, von meinem alten Trainer Klaus Täuber aus meiner Zeit bei Schalke 04, von meinen ganzen Fortuna-Jungs. Wie auch am Sonntag, als die Fans beim 0:0 in Regensburg die ukrainischen Farben gezeigt und Sprechchöre gegen Putin gerufen haben. Und dann ist die Hoffnung wieder da.“

Sergij Titarcuks Hoffnung richtet sich vor allem darauf, dass alles nicht mehr lange dauert. „Weil die ganze Welt auf unserer Seite ist“, sagt er. Das müsse doch einfach Wladimir Putin stürzen. Wobei er schon sehr nachdenklich wird, wenn er an die Stimmung in Russland denkt. „Ich hätte nie für möglich gehalten, dass die Russen so blind sein könnten“, sagt er, „dass sie dieser verlogenen Propaganda vertrauen und diesem Irren an der Spitze glauben.“

Ein schlimmes Beispiel dazu nennt er aus seinem – in diesem Fall früheren – Freundeskreis. „Dimitri Bulykin hat ja auch einmal für Fortuna gespielt“, erinnert Titarcuk. „Ich habe ihm damals in Deutschland sehr geholfen, bei vielen Dingen. Er ist jetzt in einer Partei in Russland tätig, und ich habe ihn am Telefon gebeten: ,Geh raus bitte, und erzähle den Leuten in Russland, was hier los ist.‘ Es hat nicht funktioniert. Bulykin hat mir gesagt, es gebe doch gar keine Angriffe auf ukrainische Städte, nur die Befreiung der russischen Gebiete ganz im Osten. Das sagt er mir, der die Einschläge der Bomben und Raketen erlebt hat. Für mich ist Bulykin gestorben.“

Seine Mutter möchte
unbedingt in der Ukraine bleiben

Viele andere seiner früheren Weggefährten spürt er aber an seiner Seite. Sie schicken Geld auf Titarcuks Konto, „das ist eine Hilfe, die direkt ankommt“, versichert er, „da geht nichts verloren für irgendwelchen Verwaltungsaufwand“. Und es gibt noch so viel zu tun. Jetzt erst einmal die Familien seiner Mitarbeiter aus dem umkämpften Charkiw herausbringen, in einem Bus direkt nach Deutschland. Die Männer selbst kann er nicht retten, sie kämpfen an der Front.

Auch seine Mutter kann er nicht evakuieren. Weil sie nicht möchte, weil sie unbedingt in der Ukraine bleiben will. Mit Sergijs Bruder und dessen Kindern, neun Personen insgesamt. „Im Moment sind sie in Sicherheit“, sagt er – und weiß, dass das nicht für immer gelten muss. Aber auch er selbst bleibt ja, weiß wenigstens seine engste Familie zu Hause in Deutschland außer Gefahr. Zu Tränen gerührt sei er gewesen, als seine Tochter ihm ein Gemälde geschickt hat, in den ukrainischen Farben Blau und Gelb mit Zuspruch in der Landessprache: „Dabei reicht ihr Ukrainisch gar nicht dafür, sie brauchte ein Übersetzungsprogramm“, erzählt er lachend.

Diese Unterstützung aus Deutschland, aus der ganzen Welt, sei so unfassbar wichtig für die Ukrainer, betont Titarcuk. „Sie gibt uns die Kraft, in diesem irren Krieg durchzuhalten und am Ende Putin zu stürzen.“ Dass dies am Ende gelingt, ist seine große Hoffnung. Nein, mehr als das: seine Überzeugung. „Das Wichtigste ist“, sagt er, „den Glauben nicht zu verlieren.“ Und dabei könnten auch seine Freunde in Deutschland weiter sehr viel helfen.

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