Ein Fortuna-Musical fast ohne Fortuna

„95 olé — Heimspiel“ ist ein Stück über das Heranwachsen. Ein gutes. Aber mit Fußball hat es so gut wie nichts zu tun.

Ein Fortuna-Musical fast ohne Fortuna
Foto: Sebastian Hoppe/Schauspielhaus

Düsseldorf. Es ist etwa zehn Jahre her: Die Fortuna kickte in der vierten Liga, und die öffentliche Begeisterung war kaum noch existent. Heute — mehrere Auf-, aber nur ein Abstieg später — wirkt diese Zeit wie ausgedacht. Das „F95“-Wappen prägt das Stadtbild, es gibt Kinofilme, der Bürgermeister steht im Fanblock und im Stadtmuseum wird die Clubgeschichte erzählt. Nun gibt es gar ein Musical, das bei der Premiere im Schauspielhaus das Publikum von den Sitzen riss.

Was nicht verwundert, da Kinder und Jugendliche auf der Bühne standen, die ihre Sache außerordentlich gut machten. Weil im Publikum vor allem Verwandte und Freunde saßen. Und weil in dieser Stadt derzeit alles funktioniert, das auf das „F“, die „9“ und die „5“ Bezug nimmt.

Ob eingefleischte Fortunen, die ein Stük über ihren Verein erwarten, ebenso begeistert sein werden, darf bezweifelt werden. Der spielt in „95 olé — Heimspiel“ nur die Trägermasse für eine andere Geschichte. Bis auf den Verweis auf das 7:1 gegen die Bayern von 1978 kümmert sich Autorin und Regisseurin Ines Habich nicht im Ansatz um die Vereinshistorie. Es rollt auch kein Ball. Habich erzählt vielmehr eine Geschichte übers Heranwachsen.

Gleich zu Beginn darf Hauptfigur Jakob, gespielt von Simon Welling, erbost darauf hinweisen, dass auch Zehnjährige Menschen sind. Und so geht es weiter mit den Problemen vor, während und nach der Pubertät: Verbote. Nervige Eltern. Schulstress. Streitereien mit Geschwistern. Die erste Liebe. Hänseleien. Rebellion. All das wird von verschiedenen Gruppen verkörpert und thematisiert.

Die Fortuna selbst kommt kaum konkret vor. Am ehesten noch beim Training eines Jugendteams, das zeigt, wie hart schon das Leben eines heranwachsenden Leistungssportlers ist, der auf eine aufregende Partyjugend verzichten muss.

Es ist nicht die einzige Kritik, die Autorin Habich in dem sonst heiteren Stück versteckt. Auch die herzlose Seite Düsseldorfs ist Thema. Ausgrenzung, vergessene Obdachlose, das individualistische Gewinnstreben. Was aber nicht nur für die Erwachsenen gilt. Auch die pubertierenden Mädchen sind nicht mit viel Empathie gesegnet. Ihre Themen: hübsch sein und einen Freud, einen „Beschützer“ finden. Nicht der einzige Moment, in denen die Emanzipation Pause hat.

Weil ihre Clanchefin Valerie (Charlotte Poos) aber dann mit einem Jugendspieler der Fortuna anbandelt, die Strebergruppe irgendwann das Lernen aufgibt, die kritischen Jugendlichen die Massen am Stadion für ihre Anliegen begeistern wollen und Jakobs Freunde ohnehin beim Spiel sind, treffen sich am Ende alle an der Arena. Fortuna vereint die Stadt, lautet die Kernbotschaft des Stücks. Die mit Blick auf die Realität im Mittelschicht-Event Profifußball arg romantisierend daher kommt.

Vielleicht wäre die Geschichte realistischer über ein Schützen-, Stadtteil-, Dorf- oder Schulfest zu erzählen gewesen. Aber dann wäre die öffentliche Aufmerksamkeit ungleich geringer gewesen als bei einem vermeintlichen Fortuna-Musical.

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