FIFA-Reformer Pieth greift Funktionäre an

Paris (dpa) - Nähe zu Diktatoren, Sexismus und kein Wille zu umfassenden Reformen: Mit schwerwiegenden Anschuldigungen hat der Schweizer Top-Jurist Mark Pieth südamerikanische Spitzenkräfte der FIFA attackiert und den Erneuerungsprozess beim Fußball-Weltverband grundsätzlich infrage gestellt.

Auch die UEFA und der Deutsche Fußball-Bund kamen bei der Generalabrechnung des Basler Professors nicht ungeschoren davon. DFB-Chef Wolfgang Niersbach und sein Amtsvorgänger Theo Zwanziger wiesen die Anschuldigungen aber umgehend zurück.

Die FIFA reagierte erst am Abend auf Pieths Kritik: „Wir nehmen die Aussagen von Prof. Pieth mit Erstaunen zur Kenntnis und werden zum gegebenen Zeitpunkt Stellungen nehmen“, ließ die Medienabteilung auf dpa-Anfrage wissen.

Pieth sieht die Gefahr, dass die FIFA bei ihren Bemühungen um mehr Transparenz und Demokratie „noch einmal zehn Jahre verliert“, sagte der Vorsitzende der Kommission für Good Governance in einem Interview der „Süddeutschen Zeitung“. Auch die Rolle der europäischen Führungsfiguren - inklusive deutscher Vertreter - im Reformprozess wurde von Pieth erstaunlich harsch kritisiert. „Die denken nur an ihre eigene Macht, die denken nicht über ihre eigene Nasenspitze hinaus“, sagte der Professor für Kriminalrecht. Von der UEFA habe er sich mehr Unterstützung erhofft. „Ich bin enttäuscht von dem, was die UEFA hervorgebracht hat - mit der Hilfe der Briten und Deutschen“, sagte Pieth der Nachrichtenagentur AP.

Diese Vorwürfe wurden von Niersbach und FIFA-Exekutivmitglied Zwanziger sofort zurückgewiesen. „Der DFB und sein Präsident Wolfgang Niersbach haben bei der Präsentation der Reformen bei der UEFA eine sehr gute Rolle gespielt. Das muss ich ausdrücklich sagen. Die Vorwürfe von Professor Pieth sind für mich unverständlich. Das sind Entscheidungen in demokratischen Prozessen. Die muss man auch akzeptieren“, sagte Zwanziger der Nachrichtenagentur dpa.

Auch Niersbach verwahrte sich persönlich: „Von einer Blockadehaltung gegenüber Reformbestrebungen kann überhaupt keine Rede sein“, sagte er der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. „Tatsache ist, dass ein Großteil der Reformvorschläge die Zustimmung der europäischen Verbände gefunden hat“, betonte Niersbach.

Die englische FA und der Deutsche Fußball-Bund gelten als Motoren für einen Demokratisierungsprozess im Fußball. Die Präsidenten der 53 europäischen Verbände waren kürzlich aber mit ihren Beschlüssen hinter den FIFA-Vorschlägen zu Amtszeitbeschränkungen und Leumundsprüfungen von Funktionären zurückgeblieben. „Da ist es sehr, sehr suboptimal, dass jetzt ausgerechnet die Vertreter Europas sagen: Wir brauchen gar keine Reform!“, sagte Pieth.

Ein geradezu vernichtendes Zeugnis bekamen südamerikanische FIFA-Top-Leute von Pieth, der manchen sogar unumwunden die politische Integrität absprach. „Wenn Sie die Leute im FIFA-Vorstand anschauen, waren viele verbandelt mit ehemaligen Diktatoren“, sagte er. Diese Verbindungen hätten die Personalwahl für den laufenden Reformprozess des skandalumwitterten Weltverbandes behindert, meinte Pieth. Er hat noch ein FIFA-Mandat bis Ende Mai und will mit seinen Aussagen offenbar jetzt schon verdeutlichen, dass er bei einem möglichen Scheitern des Reformprogramms keine persönliche Verantwortung trägt.

Konkret habe der argentinische FIFA-Vizepräsident Julio Grondona eine Berufung von Pieth-Favorit Luis Moreno Ocampo zum Chefermittler der neuen FIFA-Ethikkommission im Weg gestanden. Ocampo hatte vor seiner Aktivität am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag unter anderem Ex-Diktatoren in Argentinien vor Gericht gebracht. „Wenn Sie Grondona nehmen, oder (FIFA-Vorstand) Nicolas Léoz aus Paraguay, und dazu die Vergangenheit der Region mit den Diktatoren Strössner und Banzer, können Sie sich den Rest zusammenreimen. Mehr will ich gar nicht sagen, sonst kriege ich ein Problem“, sagte Pieth.

Sein zweiter Personalvorschlag, die Schottin Sue Akers von Scotland Yard, sei wegen sexistischer Motive der FIFA-Funktionäre abgelehnt worden. Da hätten die „älteren Herren in der FIFA“ gesagt: „Bei einer Frau sollen wir beichten, dass wir etwas Böses getan haben? Nein! Da verlangt ihr zu viel!“, berichtete Pieth und fügte an: „Natürlich ist das Mittelalter.“ Stattdessen bekam der von Pieth nicht vorgeschlagene Amerikaner Michael Garcia den Job.

Von Garcia erwartet auch Zwanziger rasche Ergebnisse seiner Arbeit in FIFA-Untersuchungen. „Es ist richtig, dass FIFA-Chefermittler Michael Garcia langsam zu Potte kommen muss. Bei den Untersuchungen zur ISL-Affäre und auch zur WM-Vergabe 2022 an Katar. Er muss langsam liefern, denn es stehen Anschuldigungen gegen Personen im Raum und die Öffentlichkeit will Antworten haben“, sagte er.

Die Aufarbeitung der Korruptionsvorwürfe gegen den ehemaligen Herausforderer von FIFA-Präsident Joseph Blatter und FIFA-Vize Mohamed bin Hammam aus Katar war für Pieth nicht sauber. „In meinem Strafprozess-Lehrbuch sage ich: Der Deal verstößt gegen alle strafprozessualen Grundsätze“, sagte er. „Beide Seiten sind sich entgegengekommen: Er hat gesagt, genug ist genug, ich trete zurück, nennt mich nicht korrupt - dafür ist der Fall vom Tisch.“

FIFA-Chef Blatter will beim Kongress am 31. Mai auf Mauritius über das umfassende Reformpaket für mehr demokratische Strukturen im Weltverband abstimmen lassen.

„Im Exekutiv-Komitee sind sie alle zwanzig Jahre zurück. Und jetzt gilt es, sie in die Gegenwart zu holen“, forderte Pieth ein radikales Umdenken in der Fußball-Weltregierung. Auch zu Blatter geht Pieth klar auf Distanz: „Blatter soll erst mal froh sein, wenn er die Reform durchkriegt. Das ist das Stück des Weges, den wir zusammen gehen. Der Rest ist seine Sache, nicht meine.“

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