Ernstfall für EM-Debütant Island - Portugal wie Holland?

Saint-Étienne (dpa) - Die schöne Erinnerung an zwei Siege über die Niederlande soll Islands EM-Debütanten auch gegen Portugal um Superstar Cristiano Ronaldo beflügeln.

Ernstfall für EM-Debütant Island - Portugal wie Holland?
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„Man kann die Portugiesen durchaus mit den Holländern vergleichen“, sagte Erfolgstrainer Lars Lagerbäck vor dem ersten Endrundenspiel der isländischen Geschichte bei einem Fußball-Großereignis am Dienstag. Seit Wochen fiebern die Bewohner des bevölkerungsärmsten EM-Teilnehmers dem Anpfiff in Saint-Étienne entgegen - nun geht's endlich los.

Heimir Hallgrimsson, neben Lagerbäck gleichberechtigter Coach bei den Insulanern, erkennt darin gar einen historischen Augenblick. „Das ist der größte Moment in der isländischen Fußballgeschichte“, sagte er am Montag. „Die Isländer und die Fans in der Heimat haben lange darauf gewartet“, verriet Hallgrimsson und warnte seine Profis: „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht zu sentimental werden, wenn das Spiel beginnt. Wir müssen bedenken: Es ist nur ein Fußballmatch.“

Die Euphorie ist riesig - da spielt es auch keine große Rolle, dass das Team um die beiden Deutschland-Legionäre Alfred Finnbogason (FC Augsburg) und Jon Dadi Bödvarsson (1. FC Kaiserslautern) in sportlicher Hinsicht nicht viel vorzuweisen hat. Neben Finnbogason spielen nur zwei weitere der 23 Profis in einer der drei großen Ligen Europas: der Ex-Hoffenheimer Gylfi Sigurdsson in der Premier League bei Swansea City, Mittelfeldprofi Emil Hallfredsson bei Udinese Calcio in Italien. Selbst Kapitän Aron Gunnarsson steht nur beim britischen Zweitligisten Cardiff City unter Vertrag.

Doch der ungeheure Zusammenhalt macht die Isländer seit Jahren stark. So gelangen in der EM-Qualifikation gleich zwei bejubelte Erfolge gegen die Niederlande. „Wir haben natürlich einige gute Spieler, aber was wir wirklich geschafft haben, seit ich hier bin, ist ein gutes Zusammenspiel und eine gute Organisation“, kommentierte Lagerbäck und bezeichnete die Geschlossenheit als „die großes Stärke des Teams“.

Pünktlich zum ersten EM-Spiel wird auch das internationale Interesse größer. Mehr als drei Dutzend Medienvertreter erschienen zwei Tage vor dem Match gegen Portugal im isländischen EM-Basiscamp in Annecy - da schaute sich auch Lagerbäck verblüfft um. Sie alle kamen, um dem Geheimnis etwas näher zu kommen, wie es ein Land mit nur 320 000 Einwohnern zu dieser EM geschafft hat.

„Die Anspannung wächst von Tag zu Tag, du schaust das Eröffnungsspiel und irgendwann realisierst du, wo du hier eigentlich bist“, sagte Eidur Gudjohnsen, Ex-Profi des FC Barcelona und einziger isländischer Fußballstar.

Der Champions-League-Sieger von 2009 ist Rekordschütze seiner Nation, mit inzwischen 37 Jahren aber längst nicht mehr auf dem Zenit seiner Leistungsfähigkeit. Er dürfte gegen Portugal auf der Bank sitzen. Als gesetzt im Sturm gilt dafür Kolbeinn Sigthorsson; die Deutschland-Legionäre Finnbogason und Bödvarsson kämpfen um den zweiten Platz im Angriff neben dem Mann vom FC Nantes.

Um gegen die Portugiesen etwas zu holen, wird es aber vor allem auf die Abwehr ankommen. „Wenn wir Cristiano Ronaldo stoppen können, haben wir eine Chance“, urteilte Mittelfeldprofi Johann Berg Gudmundsson. Allerdings gehen die Portugiesen selbstbewusst ins Turnier. Die Vorbereitung verlief gut, im Gegensatz zur verkorksten WM vor zwei Jahren sind diesmal fast alle Spieler fit. Einziger Wackelkandidat für Dienstag ist Ronaldos Sturmpartner Ricardo Quaresma, der Oberschenkelprobleme hat. „Wir werden bis morgen eine Entscheidung treffen“, sagte Trainer Fernando Santos am Montag zu einem möglichen Ausfall des Profis von Besiktas Istanbul.

Hoffnung machen kann den Isländern, dass Portugal zuletzt schon einmal Probleme mit einem kleinen Gegner hatte. Gleich zu Beginn der EM-Qualifikation gab es ein 0:1 gegen Albanien - Trainer Paulo Bento musste danach gehen. „Wären wir in einer Quali-Gruppe mit den Niederlanden gewesen, hätten sie dort als Favorit gegolten, nicht wir. Das dürfen wir nicht vergessen“, sagte Bento-Nachfolger Santos. Es war auch eine versteckte Warnung an seine Profis.

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