England: Verletzungsfluch und Zoff um Ferdinand

London (dpa) - Als hätte Englands neuer Nationaltrainer Roy Hodgson nicht schon genug Probleme. Eine Woche vor dem ersten EM-Match gegen Frankreich sorgt die Wut des ausgebooteten Abwehrstars Rio Ferdinand für zusätzlichen Zündstoff im Mutterland des Fußballs.

Ferdinands Agent Jamie Moralee warf Hodgson „Respektlosigkeit“ vor. „Einen Spieler so zu behandeln, der Kapitän war und 81 Mal für sein Land gespielt hat, ist einfach nur infam“, polterte Moralee in britischen Medien. „Da fehlt es an Respekt. Er will spielen.“

Statt den 33 Jahre alten Routinier für den im letzten EM-Test gegen Belgien (1:0) verletzten Gary Cahill nachzunominieren, zog Hodgson den unerfahrenen Martin Kelly vor. Englands Sportpresse, die angesichts des Verletzungspechs ohnehin ein EM-Fiasko fürchtet, schrieb unisono von einer „Brüskierung“. „Probleme abseits des Rasens verstärken Hodgsons Kopfschmerzen“, kommentierte die BBC die Stimmungslage bei den „Three Lions“.

Der 22 Jahre alte Kelly spielte in der abgelaufenen Saison gerade zwölfmal für den FC Liverpool und gab erst Ende Mai gegen Norwegen sein Debüt für die „Three Lions“. „Aus welchen Gründen???“, twitterte der erneut übergangene Ferdinand umgehend nach Kellys Berufung enttäuscht. Bereits bei der ersten Nominierung des 23er Kaders fehlte Ferdinand. Obwohl Hodgson am Mittwoch ohne zahlreiche verletzte Stammspieler nach Krakau ins EM-Quartier reist, verzichtet Englands neuer Trainer auf Ferdinands Erfahrung.

Offiziell aus „fußballerischen Gründen“. Doch viele Alt-Internationale vermuten ganz andere Gründe und gehen mit Hodgson hart ins Gericht. „Er war über viele Jahre der beste Innenverteidiger; ich würde also diese fußballerischen Gründe gerne kennen“, ätzte etwa Ex-ManUnited-Stürmer Andy Cole.

„Wenn Rio fit ist, aber trotzdem immer noch nicht in den Kader kommt, muss das andere Gründe haben. Die würde ich gern erfahren“, sagte der frühere Angreifer Ian Wright. Englands Idol Gary Lineker weiß anscheinend mehr und twitterte: „Die Gründe für den Verzicht auf Rio Ferdinand werden nun immer deutlicher.“

Viele Engländer spekulieren, dass Hodgson eine Spaltung des Kaders im Fall einer Berufung Ferdinands fürchtete. Champions-League-Sieger John Terry vom FC Chelsea, einer der wenigen verbliebenen Fix-Punkte im englischen Aufgebot, liegt im Clinch mit Ferdinands Bruder Anton. Terry soll den dunkelhäutigen Spieler der Queens Park Rangers rassistisch beleidigt haben, was Chelseas Abwehrspieler bestreitet.

Dennoch ist Hodgsons Nominierung riskant. Dem englischen Kader fehlt es durch das „Verletzungschaos“ („The Sun“) an Erfahrung. „Ich bin extrem sauer, dass wir wenige Tage vor dem EM-Beginn wichtige Spieler aufgrund von Verletzungen verlieren. Das ist ein schwerer Schlag für uns“, sagte Kapitän Steven Gerrard dem „Guardian“ angesichts der Ausfälle von Gareth Barry, Frank Lampard, Torhüter John Ruddy und nun Cahill. „Es ist wie verhext“, klagte das Boulevardblatt „Sun“.

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