EM-Tagebuch Bonjour - Der Ost-Westfale und der Chiahuahua

Neun Reporter sind für unsere Zeitung bei der Fußball-EM in Frankreich unterwegs. Tag für Tag wird einer von ihnen sein Tagebuch öffnen.

Zurück in der Heimatbasis auf dem Planeten Balla Balla. Evian-les-Bains. Lille, Paris, Lyon, Genf, eine Zugreise durch Frankreich, angenehmes Arbeiten. Am Abend dann erst das angebliche Superspiel, das keins war und dann der Bitte eines Kollegen gefolgt, der uns etwas ganz Grandioses versprochen hat. Der Kollege Uwe K. kommt aus Bielefeld, ein Ost-Westfale also. Ich weiß trotz vieler gemeinsamer Tage seit Südafrika nicht, warum er das besonders betont, wobei uns allen natürlich noch Heinrich Heines Beschreibung in seinem „Wintermärchen“ (1844) in Erinnerung ist: „Sie fechten gut, sie trinken gut, / Und wenn sie die Hand dir reichen / Zum Freundschaftsbündnis, dann weinen sie; / Sind sentimentale Eichen.“ Also auf zur sentimentalen Eiche Uwe.

Und was hat der zu bieten? Bier, Rosé und ein Fußballspiel. Und eine Prophezeiung, die er seit Wochen mit sich herumschleppt, aber keiner hören wollte: „Die kommen ins Halbfinale.“ Die, das sind die Isländer, die mein Kollege so ins Herz geschlossen hat. Vermutlich weil Bielefeld so groß wie Island ist. Und der Uwe ist Experte, fuhr am vergangenen Donnerstag unter dem mitleidigen Gelächter der Kollegen zur Pressekonferenz der Isländer nach Annecy. Wir alle kennen die DFB-Auftritte im großen Saal mit ausgeleuchtetem Podium, fünfundzwanzig Kameras, Sponsorenwand und mindestens hundert Journalisten. Bei den Isländern? Marke Programmkino. Vorne ein Tisch mit einer übergeworfenen, faltigen weißen Tischdecke. Darauf vier Wasserflachen aus Plastik. Ohne Logo. Dahinter ein souveräner, freundlicher Herr und zwei lässige Fußballer wie aus einem Boygroup-Katalog.

Elmar Bjarnason und Arnor Ingvi Traustason. Der freundliche Herr ist Islands schwedischer Trainer Lars Lagerbäck. Allerdings erweckte er den Eindruck, der umsorgende Vater der zwei zu sein. Väter haben das Leben verstanden. Das isländische Selbstbewusstsein? „Wenn du ein gut organisiertes Team hast, in dem jeder seine Aufgaben kennt, gibt das schon Selbstbewusstsein.“ So einfach ist das manchmal, schreibt der Kollege. Und dann wirft Lagerbäck den wenigen Journalisten noch das Bild vom Underdog zu. „Wir sind der Chiahuahua, die Engländer das Rhinozeros.“ Elmar Bjarnason nickt neben ihm. Er ist Fan von Manchester United, am Montagabend traf er auf dessen Superstar Wayne Rooney. Wie es ausgegangen ist, wissen wir alle. Es war ein schöner Abend beim Ost-Westfalen Uwe, der zu später Stunde immer wieder den besten Spruch vom vergangenen Donnerstag von sich gab. Und wir wollten das immer und immer wieder hören. Was der Elmar Bjarnason nämlich zu Wayne Rooney gesagt hatte: „Wenn er mich fragt, werde ich ihm mein Trikot geben.“

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