Als Flüchtling nach Deutschland Streit über Identität - Der Fall Bakery Jatta

Düsseldorf. · Ist der junge Fußballer aus Gambia mit falschen Papieren eingereist? Und haben deswegen alle Gegner das Recht, gegen Niederlagen gegen den HSV zu protestieren?

 Bakery Jatta vom Hamburger SV sitzt auf dem DFB-Gelände auf einer Mauer zwischen HSV-Vertretern.

Bakery Jatta vom Hamburger SV sitzt auf dem DFB-Gelände auf einer Mauer zwischen HSV-Vertretern.

Foto: dpa/Andreas Arnold

Vor einigen Tagen hat Daniel Thioune etwas zum „Fall Bakery Jatta“ gesagt. Der „Fall Bakery Jatta“: Das ist seit Wochen die Bezeichnung für die vielleicht kurioseste Geschichte im deutschen Fußball. Thioune, dunkelhäutiger Trainer des VfL Osnabrück als Konkurrent des Hamburger SV in der 2. Fußball-Bundesliga, brach eine Lanze für den Fußball spielenden Flüchtling aus Gambia, über dessen Identität und dessen Alter sich gerade der deutsche Fußball streitet.

Trainer Thioune: „Dann könnte ich das moralisch nicht mittragen“

Weil Jatta vielleicht 2015 unter falscher Identität als Flüchtling nach Deutschland eingereist sein könnte, legt fast jeder Club, der gegen den HSV in der 2. Liga verliert, Protest gegen die Spielwertung ein. Weil Jatta mitgespielt hat: Nürnberg, Bochum, schließlich auch Karlsruhe, wo der Flügelstürmer zuletzt übelst ausgepfiffen worden war. Thioune findet das alles falsch. Er kenne, sagte er, „die sportjuristischen Argumente, aber hier geht es für mich um ethische Werte. Wer es nicht schafft, gegen den HSV zu punkten, sollte nicht auf dem Rücken eines Flüchtlings, der niemandem etwas getan hat, versuchen, einen Vorteil herauszuholen, sondern besser auf die eigenen sportlichen Fehler schauen“. Und wenn sein Verein, der VfL Osnabrück, einen solchen Protest einlegen würde? „Dann könnte ich das moralisch nicht mittragen.“ Es gebe keinen Beweis, dass Jatta vorsätzlich gefälscht habe. Und: „Wir müssen uns doch wohl fragen, was wir ihm überhaupt vorwerfen wollen, wenn an der Geschichte irgendetwas dran wäre.“

Jatta bestimmt seit Wochen die Schlagzeilen. Oder das, was aus ihm gemacht wird. Die „Sport Bild“ hatte das Thema aufgeworfen: Jatta könne in Wahrheit „Bakery Daffeh“ heißen und zweieinhalb Jahre älter sein als angegeben. Quelle seien zwei gambische Trainer von Daffeh/Jatta. Beweise? Null.

Nach eigener Aussage wuchs Jatta ohne Eltern in Gambia auf und kam im Zuge der Flüchtlingskrise 2015 durch die Wüste über das Mittelmeer und Italien in eine Jugendhilfe- und Bildungseinrichtung ins niedersächsische Bothel. Weil er gut kicken konnte, absolvierte er bei Werder Bremen in der A-Jugend ein Probetraining, einen Vorvertrag lehnte er ab, weil ihm nur ein festes Arbeitsverhältnis einen Aufenthalt mit Beginn der Volljährigkeit gesichert hätte.

Im Januar 2016 absolvierte Jatta ein Probetraining beim HSV, der damalige Trainer Bruno Labbadia befand ihn für gut. Da eine Erstregistrierung eines minderjährigen Spielers, der nicht Staatsbürger des Landes ist, erst ab Volljährigkeit möglich ist, trainierte Jatta beim Oberligisten Bremer SV, ging tagsüber zur Schule, um Deutsch zu lernen. Sein Glück schien perfekt mit dem Profivertrag eine Woche nach seinem 18. Geburtstag im Juni 2016. Sein Bundesligadebüt gab er im Frühjahr 2017, einen Stammplatz beim HSV hat er seit fast einem Jahr. In der Winterpause verlängerte Jatta seinen zum Saisonende auslaufenden Vertrag bis 2024, wodurch auch sein Aufenthaltstitel in Deutschland verlängert ist. Einen Asylantrag hat er nie gestellt.

Der Hamburger SV hat sich bei der DFL rückversichert

Der Kontrollausschuss des DFB hat Jatta zur Anhörung geladen. Das zuständige Bezirksamt Hamburg-Mitte prüft den Fall ebenfalls. Offiziell sind alle Papiere Jattas gültig: Pass, Aufenthaltsgenehmigung, Spielberechtigung.

„Für Baka ist es eine unsägliche Situation“, sagt Dieter Hecking, sein Trainer in Hamburg. Der HSV hat sich bei der Deutschen Fußball Liga (DFL) rückversichert: Danach könne ein Spieler eingesetzt werden, wenn er behördlich gültige Papiere habe. Auch der DFB schreibt zum Umgang mit Flüchtlingen: „Für Vereine besteht kein Grund, behördliche Dokumente in Zweifel zu ziehen oder die dortigen Angaben selbst zu überprüfen. Dies gilt auch, wenn in den Dokumenten vermerkt sein sollte, dass die dort festgehaltenen Daten auf eigene Angaben des Inhabers zurückgehen.“

Hecking tritt für Jatta ein: Der habe sich vorbildlich integriert. Selbst wenn an seiner Geschichte etwas nicht stimme, sagte der Trainer, „wüsste ich gar nicht, welches Strafmaß wir anwenden sollten“. Aber: Das Blatt scheint sich zu drehen: Das Bezirksamt will die Vorwürfe nochmal prüfen, das DFB-Sportgericht im September den Einspruch der Nürnberger verhandeln. Der Vorsitzende des DFB-Kontrollausschusses, Anton Nachreiner, sagt: „Der Fall Jatta könnte sich zu einer unendlichen Geschichte entwickeln.“ Was, wenn später rauskommt, dass die Zweifel berechtigt sind? Wie damit umgehen? Beim HSV-Gegner Hannover 96 scheint man Wert auf faires Verhalten zu legen. Der Fanclub-Dachverband hat aufgerufen, gegen Jatta nicht zu skandieren, 96-Hauptgesellschafter Martin Kind will auch im Falle einer Niederlage „keinen Protest“ einlegen.

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