Generation Lahm: Führung ohne Macho-Gehabe

München (dpa) - Die Zeit der einsamen Leitwölfe ist im modernen Fußball nicht mehr zeitgemäß. Die Generation Lahm lehnt Macho-Gehabe ab. Trainer wie Joachim Löw oder Jürgen Klopp verteilen die Verantwortung - Ende der One-Man-Show.

Wenn Oliver Kahn früher auf dem Fußballplatz der Kragen platzte, dann schüttelte er auch schon mal einen Mitspieler wie Andreas Herzog ordentlich durch. Oder er stürmte im Kungfu-Stil aus seinem Tor heraus. Auch verbal konnte der einstige „Titan“ seinen Teamkollegen gehörig die Meinung geigen, wenn sie auf dem Spielfeld nicht wie wahre Männer gekämpft hatten. „Wir brauchen Eier“, polterte der einstige Bayern- und Nationalmannschafts-Kapitän dann.

Mit diesem Macho-Gehabe kann die junge Spielergeneration nicht mehr viel anfangen. „Die Zeiten, in denen Oliver Kahn seine Mitspieler noch körperlich durchgerüttelt hat, sind definitiv vorbei“, erklärte Philipp Lahm kürzlich, bevor Kahn in seiner neuen Funktion als Blogger die aktuelle Führungsspielerdebatte auslöste.

Kahn unterstellte Lahm und Bastian Schweinsteiger, dass ihnen ihr Image wichtiger sei als der Erfolg. Internationale Titel aber - auf die der deutsche Fußball seit zehn Jahren wartet - seien nur mit „echten Führungsspielern“ zu gewinnen. Zuletzt triumphierten die Bayern 2001 in der Champions League - angeführt von Kahn und Stefan Effenberg, die damals auf dem Platz die Zeichen setzten.

„Was irgendein ehemaliger Spieler in irgendeinem Blog von sich gibt, interessiert uns nicht“, lautete Lahms spöttische Replik auf Kahn vor dem wichtigen Champions-League-Qualifikationsspiel gegen den FC Zürich. Der nur 1,70 Meter große Abwehrspieler wird sich niemals künstlich vor einem Mitspieler oder Gegner aufplustern.

Lahm ist lieber eine „stille Macht“, wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ schrieb. Er zieht hinter den Kulissen die Fäden. Sein Machtbewusstsein bekam auch ein Michael Ballack zu spüren, als der „Capitano“ geschwächt war. „Man muss nicht nach außen poltern“, erklärte Bayern-Trainer Jupp Heynckes. Seine Kapitäne Lahm und Schweinsteiger würden aber „intern auch mal dazwischenhauen“.

Seit Ballack von Bundestrainer Joachim Löw aufs Altenteil geschickt worden ist, hat der Leitwolf klassischer Prägung wohl endgültig ausgedient. Lahm, mit 26 Jahren 2010 in Südafrika der jüngste deutsche WM-Kapitän, führt in der EM-Saison die beiden bedeutendsten deutschen Mannschaften an - den FC Bayern und die DFB-Elf. Der 27-Jährige sieht sich als Bindeglied zwischen Team und Trainer. Er setzt auf Kommunikation. „Ich fülle die Ämter so aus, wie es meiner Meinung nach am besten für die Mannschaften ist.“

Flache Hierarchien sind in Mode gekommen. Moderne Trainer wie Löw oder Dortmunds Meistercoach Jürgen Klopp verteilen die Verantwortung bewusst auf mehrere Schultern. Kollektiv statt One-Man-Show. Löw machte Lahm zum Kapitän und Schweinsteiger zum „emotionalen Leader“.

Ob das Duo beim FC Bayern einen „Aggressiv-Leader“ wie Mark van Bommel tatsächlich auf seine leise Art ersetzen kann, ist eine Frage, die in den wichtigen Spielen beantwortet werden muss. Am wichtigsten ist, „dass der Kapitän vorbildlich Leistung abliefert“, findet Lahm.

Mit einer bemerkenswerten Fundamentalkritik am FC Bayern, die er vor zwei Jahren in einem Zeitungs-Interview äußerte, hat Lahm bewiesen, dass er auch die Konfrontation mit seinen Vereinsbossen nicht scheut. Eine Geldstrafe von 25 000 Euro nahm er in Kauf.

„In eine Führungsrolle muss man hineinwachsen“, findet Heynckes. Laut oder leise sei eine Charakterfrage. Die Profis-Teams von heute funktionieren anders. Beim Champions-League-Sieger FC Barcelona ist der stille Xavi der unumstrittene Chef auf dem Platz.

Heynckes traut der „Generation Lahm“ zu, die deutsche Titelflaute zu beenden. „Wir haben eine Fülle von jungen, talentierten Spielern wie nie zuvor. Es ist ein Wahnsinn - vor allem von der fußballerischen Klasse her“, schwärmte er über die junge Löw-Truppe. Eine Nationalmannschaft wie die aktuelle habe Deutschland selten gehabt - „vielleicht von 1972 bis 1974 und 1990 noch“. Lange vor Kahn.

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