Bundesliga Der Mann, der lächelnd Gelb zeigt

WÜRZBURG. · Im Interview spricht Aytekin über seine Prinzipien, den Videobeweis, Fußball ohne Zuschauer – und warum die Schiedsrichterei nur eines seiner beruflichen Standbeine ist.

 Schiedsrichter Deniz Aytekin zeigt Christoph Kramer von Mönchengladbach die Gelbe Karte.

Schiedsrichter Deniz Aytekin zeigt Christoph Kramer von Mönchengladbach die Gelbe Karte.

Foto: picture alliance/dpa/Marius Becker

Mit seinem lustig-lockeren Auftritt in der ARD-Talkshow „Inas Nacht“ hat Deniz Aytekin etwas für das Bild der Fußball-Schiedsrichter in der Öffentlichkeit getan. Auch auf dem Platz agiert er anders als andere. Er duzt die Spieler und staucht sie schon mal zusammen, andererseits entkrampft er Situationen auch gerne mit einem Lächeln und einem Handshake. Im Interview spricht Aytekin über seine Prinzipien, den Videobeweis, Fußball ohne Zuschauer – und warum die Schiedsrichterei nur eines seiner beruflichen Standbeine ist.

Herr Aytekin, einen Tag vor dem Start der aktuellen Bundesliga-Saison wurden Sie an der Achillessehne operiert.

Deniz Aytekin: Ich hatte schon länger Probleme. In der Trainingsvorbereitung auf die Saison sind sie schlimmer geworden. So wollte ich nicht in die Saison gehen. Die Operation war die richtige Entscheidung. Ich bin schmerzfrei und zuversichtlich, dass ich zur Rückrunde wieder fit bin. Ich trainiere fast täglich mit einem Personal Trainer, die Achillessehne wird dabei aber noch nicht belastet.

Ihr Schiedsrichter-Kollege Patrick Ittrich hat gerade ein Buch veröffentlicht mit dem Titel „Die richtige Entscheidung – Warum ich es liebe, Schiedsrichter zu sein“. Haben Sie es schon gelesen?

Aytekin: Ja. Ich war einer der Ersten, der es gelesen hat, noch vor der Veröffentlichung.

Und wie finden Sie es?

Aytekin: Ich finde es großartig. Es stellt uns Schiedsrichter transparent dar. Wir sind ganz normale Leute, die einfach ihrer Leidenschaft nachgehen, menschlich sind, Fehler machen, aber auch Glücksgefühle haben. Dass Patrick das Buch als Aktiver geschrieben hat, das machen nicht viele. Ich habe ihn dazu beglückwünscht.

Auch Ihnen ist es wichtig, zu zeigen, dass das Klischee, Schiedsrichter seien Streber und gingen zum Lachen in den Keller, nicht stimmt.

Aytekin: Ich stehe dafür, dass wir als Persönlichkeit wahrgenommen werden – mit Emotionen und Leidenschaft. Ich möchte nicht wie ein Roboter rüberkommen, weil ich so einfach nicht bin. Nur wenn ich authentisch sein kann, fühle ich mich wohl. Besonders für Nachwuchs-Schiedsrichter ist es wichtig, sich nicht zu verstellen. Mit ihrer natürlichen, persönlichen Art kommen sie eher zum Ziel.

Sie waren die Hauptfigur einer ARD-Dokumentation, Sie waren als erster Schiedsrichter zu Gast bei der Talkshow „Inas Nacht“. Damit sind Sie in diesem Jahr auch über die Fußball-Szene hinaus populär geworden. Können Sie noch joggen gehen, ohne dass hinter jedem Busch ein Autogrammjäger lauert?

Aytekin: Ich bin als Person markant und auffällig mit meiner Größe und meinen vielen Falten. Von daher wissen viele schon länger: Das ist der Schiedsrichter. Je wichtiger und öffentlichkeitswirksamer die Spiele, die man leitet, sind, desto mehr rückt man in den Fokus. Aber das ist alles immer noch sehr angenehm und freundlich, es nervt nicht.

2019 sind Sie vom Deutschen Fußball-Bund zum Schiedsrichter des Jahres gekürt worden. In diesem Jahr haben die Bundesliga-Profis Sie zum beliebtesten Schiedsrichter der Rückrunde gewählt, sehr klar mit 42 Prozent der Stimmen. Was schätzen die Spieler an Ihnen?

Aytekin: Entscheidend ist die Art, wie man mit Menschen umgeht. Man kann fachlich perfekt sein, viel laufen und viele richtige Entscheidungen treffen. Aber das muss nicht reichen, um akzeptiert zu werden. Ich glaube, dass ich über die Jahre einen guten Weg gefunden habe, mit den Spielern zu interagieren, aber trotzdem konsequent zu sein. Ich trage keinen Diplomatenkoffer durch die Gegend, ich bin sehr direkt in der Ansprache. Ich werde auch mal laut, aber nie respektlos. Wenn das die Spieler so wahrnehmen, dann fühlen sie sich ernst genommen und wertgeschätzt.

Sie sind schon lange dabei. Steigt Ihr persönlicher Stressfaktor trotzdem noch mit der Bedeutung eines Spieles?

Ayketin: Natürlich. Je größer die Aufgabe, je öffentlichkeitswirksamer das Spiel, desto angespannter bist Du, weil Du weißt: Da gucken besonders viele hin. Trotzdem muss man bei jedem Spiel funktionieren und  abliefern. Mit zunehmender Erfahrung kann man damit besser umgehen, aber entspannt wird man nie in ein Spiel gehen. Das hat auch mit Demut vor der Aufgabe zu tun.

Was wollen Sie als Schiedsrichter noch erreichen? Ein internationales Finale pfeifen, an einer EM oder WM teilnehmen?

Aytekin: So etwas kann man nicht planen. Das Geschäft ist schnelllebig. Schon die ein oder andere schlechte Spielleitung oder eine Verletzung, wie ich sie jetzt hatte, können einen zurückwerfen. Ich bin wirklich dankbar, dass ich in der Bundesliga als Schiedsrichter tätig sein darf. Ich bin nicht davon getrieben, immer mehr und mehr zu erreichen. Außerdem bin ich mit 42 nicht mehr der Allerjüngste, international kann ich nur noch drei Jahre pfeifen, dann habe ich dort die Altersgrenze erreicht.

Wie viel Kontakt haben Sie als Elite-Schiedsrichter noch mit der Basis?

Aytekin: Wenn ich bei den Spielen meines Sohnes zusehe, dann sprechen mich schon mal Schiedsrichter an und wir unterhalten uns. Ohne die Basis würde der Fußball nicht funktionieren. Ich kann mich noch gut an die Zeit erinnern, als ich teilweise drei Spiele am Wochenende gepfiffen habe.

Drei Spiele an einem Wochenende?

Aytekin: Ja, das habe ich früher gemacht, würde ich jetzt aber nicht mehr hinkriegen. Es war halt mein Hobby und meine große Leidenschaft.

Thema Videobeweis. Viele Schiedsrichter haben sich von der Einführung eine größere Entscheidungssicherheit versprochen. Ist es so gekommen?

Aytekin: Wenn man die Fakten anschaut, dann ja. Ganz krasse Fehlentscheidungen passieren nicht mehr. Über Abseits wird nur noch selten diskutiert, weil es eine Schwarz-oder-Weiß-Entscheidung ist. Entweder der Spieler steht mit dem Fuß im Abseits oder nicht, das löst die Technik auf. Es gibt aber auch Situationen, die nicht schwarz oder weiß sind. Dazu zählt das Handspiel, das immer wieder eine Grauzone beinhaltet. Das führt dazu, dass der Video-Assistent von Fußball-Romantikern negativ dargestellt wird. Ich finde aber, dass die Technik eine absolute Daseinsberechtigung hat. Und das wird noch besser.

Bei strittigen Situationen haben Schiedsrichter die Möglichkeit, sie auf dem am Spielfeldrand aufgebauten Bildschirm zu überprüfen. Täuscht der Eindruck, dass manche Schiedsrichter die Beurteilung lieber dem Video-Assistenten überlassen?

Aytekin: Die Entscheidung trifft immer der Schiedsrichter auf dem Platz. Ich hatte in der letzten Saison keine einzige korrigierte Entscheidung. Grundsätzlich pfeife ich so, wie ich es wahrnehme. Ich denke da nicht an den Video-Assistenten. Aber wenn es absolut falsch war, was ich entschieden habe, dann wird er sich schon melden.

Sie setzen bei der Spielleitung auch ganz ausdrücklich auf Teamwork. Ihre Bundesliga-Assistenten Christian Dietz und Eduard Beitinger sind dazu aufgefordert, ihre Beobachtungen und Einschätzungen ständig mitzuteilen. Bei Ihnen herrscht reger Funkverkehr.

Aytekin: Ja, für mich ist das zwingend nötig. Die Aufgabe, die wir lösen müssen, funktioniert nur im Team.

Fußball in Corona-Zeiten, Fußball ohne Zuschauer: Sie waren im März bei der Partie Mönchengladbach – Köln der erste Schiedsrichter, der ein Geisterspiel geleitet hat. Sie haben danach gesagt: „Das hat mit Fußball nichts zu tun.“

Aytekin: Ich habe es zum damaligen Zeitpunkt exakt so empfunden. Mittlerweile hat sich meine Denke da massiv geändert. Weil ich einfach nur dankbar sein kann, dass wir nach der Unterbrechung der Saison überhaupt wieder Fußball spielen können und dürfen. Nach dem ersten Geisterspiel konnte man die Konsequenzen, die Covid-19 für die Gesellschaft hat, gar nicht einschätzen. Nun sage ich, der Fußball ist anders ohne Fans. Es fehlen Komponenten, die das Spiel leidenschaftlicher und emotionaler machen.

Sie haben Kollegen, die sich ausschließlich auf die Schiedsrichterei konzentrieren. Bei Ihnen ist das ganz anders. Sie sind als ein sehr vielseitiger Unternehmer tätig. Wie bekommen Sie das unter einen Hut?

Aytekin: Indem ich um 5 Uhr aufstehe (lacht). Mir war immer wichtig, nicht vom Fußball abhängig zu sein. Dass ich auch andere Dinge mache, heißt nicht, dass ich weniger professionell bin. Ich trainiere genauso viel wie alle anderen.  Natürlich leidet das eine oder andere, zum Beispiel die private Zeit. Bisher habe ich das durch gute Leute und die Familie, die mich unterstützen, leisten können. Deswegen fühle ich mich in dieser Vielschichtigkeit ganz wohl.

Was machen Sie genau?

Aytekin: Eines meiner Kernprojekte ist der größte deutsche Online-Marktplatz für Fitness- und Therapiegeräte. Immer mehr trete ich als Keynote Speaker (Vortragsredner, Red.) auf. Wenn es für Unternehmen darum geht, Entscheidungen in Drucksituationen zu treffen und dabei Akzeptanz zu erzielen, ist das mein Thema.

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