Gladbach und Düsseldorf: Das kleine Fußballwunder im Westen

Hier schlägt das Herz des Fußballs: Dortmund und Schalke sind den Bayern auf der Spur. Den größten Sprung nach vorn aber haben Gladbach und Düsseldorf gemacht.

Mönchengladbach/Düsseldorf. Lucien Favre hat einen Traum. Das perfekte Spiel zu schaffen. Er weiß auch, wo man der Realität dieser Vorstellung am nächsten kommt. Beim FC Barcelona. Favre, ein Bewunderer der Spielkultur des Champions-League-Siegers, volontierte einst bei Trainer Johan Cruyff, als der diesem Klub das Kurzpass-Spiel als ultimative Form des Fußballs verordnete.

Wenn man so will, kopiert der Perfektionist Favre gerade dieses Modell ins Niederrheinische. Alles etwas moderater, kleiner natürlich auch, aber nicht minder beachtet. Denn republikweit hat Favres mittlerweile zehnmonatiges Wirken bei Borussia Mönchengladbach viele Phänomene hervorgebracht. Uli Hoeneß, Präsident des FC Bayern München, war jüngst sogar bereit, Favres Mannschaft als ernsthaften Konkurrenten bei der Vergabe des Titels auszurufen. Mehr Anerkennung geht kaum.

Dass derzeit Borussia Dortmund und Schalke 04 erste Bayern-Verfolger sind, komplettiert das Hoch im Westen.

Aber Gladbach? War vor einem Jahr Letzter der Bundesliga-Tabelle. Mit zehn Punkten. Die gleiche Mannschaft hat sich in der Hinrunde der laufenden Saison in der Spitzengruppe aufgehalten. Mit gleichem Personal. Und das irritiert.

Gladbachs Entwicklung zu einer Spitzenmannschaft basiert auf Merkmalen des modernen Fußballs. Direktes Passspiel, schnelle Kombinationen, vertikales Spiel in die Spitze — und alles in höchstem Tempo. Die entscheidenden Bausteine hin zu dieser Entwicklung jedoch sind Vertrauen und Kommunikation. Kaum ein zweiter Trainer in dieser Liga verkörpert diese Merkmale so wie der Schweizer. „Man kann auch mit den Augen und mit Gesten sprechen, denn der andere erkennt so, ob er die Wahrheit erfährt“, sagt Favre. Worte dürften einen Gesprächspartner nie verletzen. Selbst dann nicht, wenn es um kritische Anmerkungen gehe, „wenn ich einem Spieler deutlich machen muss, warum ein anderer aufgestellt wird und er selbst nicht“.

Günter Netzer, Sinnbild der personifizierten Spielkultur der Borussia in der 70er Jahren, war bereits im Sommer angetan von der Entwicklung: „Die Mannschaft hat wesentlich schneller auf Favre reagiert, als man das vermuten konnte. Die Spieler haben dank der Ruhe des Trainers angefangen, wieder an sich zu glauben.“

Die Arbeit des Reformers folgte einer klaren Strategie, einem Plan. Zunächst stabilisierte er sein Team im Abstiegskampf und organisierte die Rettung in der Liga, um der Mannschaft im nächsten Schritt die Kunst der Spielgestaltung zu eröffnen.

Favre handelt nach der Maxime, seine Spieler zu verbessern, individuell und im Kollektiv. „Wenn alle Spieler sich um fünf Prozent steigern, hat man praktisch einen halben Spieler mehr auf dem Platz“, lautet sein Credo.

Jetzt arbeitet Favre am dritten Element seines Entwicklungsplans: schlecht spielen und trotzdem gewinnen. Das mag ihm noch nicht zufriedenstellend gelingen. Und doch bleibt er gelassen: „Dafür haben wir noch Zeit.“

27 Kilometer östlich von Mönchengladbach erlebt das kleine Fußballwunder am Rhein seine Vollendung. Düsseldorf, jahrelang Fußball-Oase, Hochburg für schmerzfreie Fans, die den Kult verfolgen, der mit dem Absturz nur noch größer wird. Bis in die vierte Liga sind die treuesten Anhänger mit der Fortuna gegangen. Und es ist ein Wesensmerkmal von neu begründeter Kontinuität und Solidität, dass in der Saison 2003/2004 ein Spieler 23 Oberliga-Spiele für Fortuna absolvierte, der noch heute zu den Leistungsträgern zählt: Kapitän Andreas Lambertz schickt sich an, seinen dritten Aufstieg mit Düsseldorf zu realisieren.

Die Modestadt erlebte ein glanzvolles Fußballjahr. Zwölf Monate, in denen Fußball „endlich wieder hoffähig geworden ist“, wie Finanzvorstand Paul Jäger das formuliert hat. Zu Recht: Herbstmeister in der 2. Bundesliga, Rekordzahlen, Serien. Bis zum 2:3 gegen Paderborn im zweiten Rückrundenspiel bleiben die Fortunen 27 Pflichtspiele ohne Niederlage. In der heimischen Arena waren sie 22-mal in Folge (21 Siege und 55:11 Tore) und 445 Tage ungeschlagen geblieben. Republikweite Aufmerksamkeit.

Sie alle vereint das Denken von Spiel zu Spiel, eine Philosophie, an deren Spitze sich Trainer Norbert Meier gesetzt hat. Der 54-Jährige ist für Düsseldorf ein Glücksfall. Ohne Hang zur Euphorie und doch fähig, solche zu wecken. Dass Meier Teams bauen kann, hatte er schon in Duisburg bewiesen. In Düsseldorf trieb er es zur Vollendung, hat erfahrene Typen versammelt, Profis mit langer Zweitliga-Erfahrung wie Jens Langeneke oder Sascha Rösler, die diese am Zenit ihrer Karriere auch weitergeben. „In der Tat regeln sie viel unter sich. Da sind gute Mentalitäten vereint“, sagt Co-Trainer Uwe Klein.

Das Geheimnis des Zweitligisten, der schuldenfrei in die Beletage aufstiege — Altlasten an den Vermarkter „Kinowelt“ werden mit steter Zahlung von 30 Prozent der TV-Gelder außerbilanziell geführt — ist so einfach wie effektiv: kompakte Defensive, Lauffreude bis zum Exzess, exzellente Einstellung — und in der Offensive mit Rösler (34) und Maximilian Beister (21) zwei Könner.

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