Interview Dieter Hecking: „Man muss eine dicke Haut bekommen“

Mönchengladbach · Dieter Hecking spricht im Interview über den Trainerberuf, seine Pläne nach der Zeit in Gladbach und die „Geldmaschine“ Fußball.

Nur noch bis zum Ende der Saison Trainer in Gladbach: Dieter Hecking.

Nur noch bis zum Ende der Saison Trainer in Gladbach: Dieter Hecking.

Foto: dpa/Marius Becker

Am Saisonende muss Dieter Hecking Borussia Mönchengladbach nach zweieinhalb Jahren trotz laufenden Vertrages verlassen. Am Tag, als in Salzburg sein Nachfolger Marco Rose in einer Pressekonferenz seinen Wechsel zur Borussia verkündet, treffen wir Dieter Hecking im Borussia-Park zum Interview. Der 54-Jährige ist nach dem Vormittagstraining bestens gelaunt und nimmt sich über eine Stunde Zeit.

Über die aktuelle Lage in Gladbach will er so wenig wie möglich reden, so wird es ein Gespräch über seine Karriere, den Wandel in seinem Beruf und seine Zukunftspläne. Und über die Sorgen, die er sich um den Fußball macht.

Herr Hecking, herzlichen Glückwunsch!

Dieter Hecking: Wozu bitte?

2019/20 wird ihre 20. Saison als Trainer – wenn man die Lehrzeit als inoffizieller Assistent des Braunschweiger Cheftrainers Reinhold Fanz in der Saison 1999/00 mitrechnet.

Hecking: Ja, so gesehen stimmt das. Und Reinhold Fanz hat damals den Impuls für den Start gegeben. Ich war verletzt und bin oft mit ihm unterwegs gewesen, um die nächsten Gegner in der Regionalliga Nord zu beobachten. „Du erkennst viele Dinge und kannst sie erklären. Du könntest Trainer werden“, sagte er. Ich habe nicht lange gezögert und mich für den Fußballlehrer-Lehrgang angemeldet.

Hätten Sie sich damals vorstellen können, mal in der Bundesliga zu trainieren?

Hecking: Ob Sie es glauben oder nicht: Zu Beginn des Lehrgangs fragte unser Ausbilder Erich Rutemöller in die Runde, was wir denn vorhätten mit der Lizenz. Ich war der einzige, der sagte: Ich will in die Bundesliga. Und ich bin tatsächlich der einzige aus dem damaligen Lehrgang, der das geschafft hat.

2006 sind sie in der Bundesliga angekommen – mit Alemannia Aachen. Seitdem sind sie nahezu ohne Pause dabei: 13 Jahre ohne Unterbrechung bei fünf Clubs…

Hecking: …nicht so schlecht, oder? Das war mein Bestreben, immer dranzubleiben. Ich darf sagen, dass ich überall erfolgreich war – ich habe die Vereine und Mannschaften immer besser übergeben als ich sie übernommen hatte. Das hat mir dann auch die Türen zu neuen Engagements geöffnet.

Ihre Laufbahn ist makellos, sie haben es bis in die Champions League gebracht. Sind Sie deshalb sicher, dass es im Sommer nahtlos weiter geht?

Hecking: Ich gehe davon aus. Aber ich denke im Moment überhaupt nicht daran oder lauere gar darauf, dass das Handy klingelt. Für mich gibt es nur eins: Ich habe hier in Mönchengladbach eine Aufgabe, die ich erfüllen will - wir wollen einen internationalen Wettbewerb erreichen, am besten die Champions League, aber auch die Europa League wäre für uns etwas Großes und würde die Erwartungen vom Beginn der Saison erfüllen.. Ich möchte auch diesen Verein mit einem Erfolg verlassen, und da hilft es mir nicht, wenn ich meine Zukunft in den Fokus rücke. Danach sehe ich weiter. Und wenn es dann zunächst nichts gibt, was für mich passt, dann kommt eben mal eine Pause. Viele Kollegen, die in einer solchen Situation waren, sagen, dass ihnen das sehr gut getan hat mal von draußen auf das Geschäft zu sehen.

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Können Sie sich denn vorstellen, die Seite zu wechseln und die Aufgabe eines Sportdirektors zu übernehmen?

Hecking: Ja, das könnte ich mir grundsätzlich schon vorstellen. Ich bin breit aufgestellt, habe einen kaufmännischen Beruf erlernt und Sportmanagement studiert. Ich wäre offen für eine solche Aufgabe. Aber noch spüre ich die Leidenschaft und das Feuer in mir für den Trainerjob: täglich mit der Mannschaft zu trainieren, junge Spieler zu entwickeln, auf dem Trainingsplatz und an der Seitenlinie zu stehen. Dafür begeistere ich mich. Und eines ist klar: Wenn ich als Trainer aufhöre, um Sportdirektor zu werden, dann ist das eine endgültige Entscheidung. Dann wäre meine Trainerkarriere an dem Tag beendet, an dem ich irgendwo als Sportdirektor zusage.

Warum ist der Trainerjob so zehrend?

Hecking: Andere Berufe sind es auch, da müssen wir nicht jammern. Trainer verdienen viel Geld – manche sagen, das sei Schmerzensgeld. Letztlich steht auch hinter dem Trainer ein Mensch. Der muss fertig werden mit Druck, Stress, Kritik, Beschimpfungen, Ärger und permanenter öffentlicher Beobachtung. Man darf sich nicht provozieren lassen und muss eine dicke Haut bekommen, weil man sonst vieles zu nah an sich heranlässt. Und am Ende ist man auch abhängig von der Unberechenbarkeit, dass ein Spieler am Ball vorbeihaut oder dreimal richtig steht und drei Tore schießt. Man wird nicht immer beurteilt nach seiner Arbeit, sondern nach den Ergebnissen. Und das leider oft auch von Experten, die das Geschäft von der anderen Seite kennen und es eigentlich besser wissen müssten. Damit muss man klarkommen.

Trainieren können viele, aber im Geschäft Bundesliga bestehen, das schaffen nur wenige. Meinen Sie das?

Hecking: Ja. Ein Trainer, der es in der 3. Liga kann, der kann es auch in der Bundesliga – was die Arbeit auf dem Platz und mit der Mannschaft betrifft. Das Drumherum macht den Unterschied, das muss man aushalten können. Man braucht gute Antennen, um die Strömungen im Verein und in der Mannschaft wahrnehmen zu können, und ein breites Kreuz, um das alles tragen zu können, was beim Trainer abgeladen wird.

Hilft es denn nicht, dass das eine Bundesligamannschaft heutzutage von einem großen Trainer- und Betreuerteam umgeben ist? Wie viele Co-Trainer hatten Sie in der 2. Bundesliga beim VfB Lübeck?

Hecking: Einen… Jetzt haben wir eine Staff von 25 Mann. Jeder einzelne von ihnen ist Spezialist auf seinem Gebiet, aber es ist wie eine zweite Mannschaft, die der Cheftrainer führen und koordinieren muss. Auch da braucht jeder einzelne Aufmerksamkeit, jeder hat seine Meinung und soll die auch äußern. Ob das am Ende wirklich besser ist oder vielleicht doch weniger mehr wäre? Es besteht jedenfalls die Gefahr, dass man den Blick für das Wesentliche verliert – und vielleicht ist es manchmal ganz gut, wenn man bestimmte Dinge nur mit seinem Co-Trainer bespricht.

Diese Position ist seit 18 Jahren bei Ihnen mit Dirk Bremser besetzt – noch eine aktuell nirgendwo in Deutschland anzutreffende Bestmarke. Haben Sie ihn durch Zufall oder durch Intuition ausgewählt?

Hecking: Dirk war Interimstrainer, als ich 2001 nach Lübeck kam. „Molle“ Schütt, der Mäzen des VfB, hat mir empfohlen, ihn als Co-Trainer zu nehmen. Seitdem arbeiten wir zusammmen, denn es hat gepasst von Anfang an. Er ist loyal, aber kein Abnicker, er hat das Vertrauen der Spieler, aber er missbraucht es nicht. Er traut sich, seine Meinung zu sagen und kann sehr kritisch sein. Für mich ist er der perfekte Assistent.

Sie sind den klassischen Weg gegangen und haben den Trainerberuf quasi von der Pike auf gelernt – vom Dorfsportplatz im ostwestfälischen Verl bis in die Champions League. Heute ist der Karriereweg ganz anders: Ihre jungen Kollegen werden schon mit Mitte 20 Fußballlehrer und steigen dann in einem Nachwuchsleistungszentrum bei einem Proficlub ein.

Hecking: Wenn der Ausbilder die angehenden Fußballlehrer heute fragt, würden wahrscheinlich zwei Drittel der Teilnehmer sagen, dass sie in die Bundesliga wollen. Und, richtig: Die Nachwuchsleistungszentren sind inzwischen auch Talentschmieden für Trainertalente. Doch darin liegt aber auch eine Gefahr.

Und zwar?

Hecking: Nicht immer steht die Nachwuchsförderung im Mittelpunkt. Viele Trainer sehen vor allem ihr eigenes Vorankommen und weniger die Arbeit mit dem Nachwuchs. Auf der anderen Seite werden von den Trainern Titelgewinne erwartet, weil viel Geld in den Nachwuchs investiert wird. Wir beklagen ja gerade, dass wir die Talente nicht mehr haben wie früher. Das könnte eine der Ursachen sein.

Fehlt den Trainern der jungen Generation nicht oft die Erfahrung, selbst Profi gewesen sein?

Hecking: Nein, mit der Mär sollten wir aufhören. Man muss kein Profi gewesen sein, um ein guter Trainer zu sein. Oder umgekehrt: Auch ein schlechter Fußballer kann ein guter Trainer werden. Natürlich hilft es einem, wenn man das alles mal mitgemacht hat: Auf der Bank sitzen müssen, um die berufliche Existenz zu spielen, vom Platz zu fliegen und ausgepfiffen zu werden. Aber es nicht entscheidend.

Worauf kommt es denn an?

Hecking: Neulich habe ich eine Studie über Fußball gelesen und an den Rand geschrieben: „Theorie! Wo ist die Praxis?“ Die wissenschaftliche Betreuung und die digitalen Analyse-Tools haben alle ihre Berechtigung, aber darüber dürfen die Praktiker nicht vergessen werden, die diesen Sport fühlen und über die Fakten, Daten und Zahlen hinaus unschätzbare Erfahrungen mitbringen – das vielzitierte Bauchgefühl eines gestandenen Trainers. Deshalb sage ich ganz bewusst: Warum holt man sich beim DFB, wenn die aktuellen Probleme angegangen werden sollen, nicht die Erfahrung und die Wissbegierde von Trainergenerationen, wie sie von Friedhelm Funkel, Christian Streich,Dieter Hecking, aber auch von Julian Nagelsmann oder Florian Kohfeldt vertreten wird?

Was wäre Ihre wichtigste Botschaft?

Hecking: Wir müssen den Fußball und seine Werte wieder in den Mittelpunkt rücken. Die gehen teilweise verloren, weil der Fußball eine große Geldmaschine geworden ist, eine Wachstumsbranche, in die viele drängen, für die der Fußball nur Mittel zum Zweck ist. Und der Zweck ist Geldverdienen. Ich bin kein Romantiker und verkläre auch nicht die alten Zeiten, aber es ist dringend an der Zeit, dass wir uns wieder auf den Kern konzentrieren. Es muss möglich sein, die modernen Entwicklungen mit den traditionellen Werten des Fußballs zu verbinden, ohne dass der Sport schaden nimmt. Gelingt das nicht, verlieren wir Stück für Stück die Kultur, die den Fußball seit jeher ausgemacht hat.

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