Defizite in einigen Bereichen Gladbach in der Krise: Doch eine Frage des Charakters?

Mönchengladbach · Es brodelt bei Borussia Mönchengladbach. Bei den Fans allemal – doch auch hinter den Kulissen dürfte es ungemütlich zugehen.

Unter Druck und auf Lösungssuche: Mönchengladbachs Trainer Daniel Farke.

Unter Druck und auf Lösungssuche: Mönchengladbachs Trainer Daniel Farke.

Foto: dpa/Thomas Frey

Es brodelt bei Borussia Mönchengladbach. Bei den Fans allemal. Doch auch hinter den Kulissen dürfte es seit Freitagabend ungemütlich zugehen. Das 0:4 beim FSV Mainz 05 war einmal mehr ein regelrechtes Armutszeugnis eines Kaders, der in der Gehaltstabelle der Bundesliga immerhin an fünfter Stelle liegt. Laut dem Statistik-Spezialisten „FBREF.com“, der sich auf die Erfassung von Daten aus den ersten Fußball-Klassen in England, Spanien, Deutschland, Italien und Frankreich sowie den nordamerikanischen Profi-Ligen Football, Baseball, Basketball und Eishockey spezialisiert, bezahlt die Borussia diese Saison ihren 28 Spielern mit einer Schätzwahrscheinlichkeit von 82 Prozent wöchentlich 705 962 Euro, also 36 710 000 Euro im Jahr.

Für zwei Siege in Folge muss weit zurückgeblättert werden

Dass diese Summen eine Berechtigung besitzen, war durchaus schon erkennbar. 3:2 gegen den FC Bayern München, 4:2 gegen Borussia Dortmund, 3:0 gegen RB Leipzig, 5:2 gegen den 1. FC Köln. Immer wenn ein brisanter Gegner im Borussia-Park zu Gast war, galoppierten die „Fohlen“. Ein Spiel später aber war dann wieder gemütliches Grasen zu beobachten. Noch nie hat das Team von Trainer Daniel Farke zwei Spiele hintereinander gewonnen. Dies an Farke festzumachen, ist allerdings zu kurz gedacht. In der vergangenen Saison muss man bis zum 18. März zurückblicken, um nach einem 2:0 gegen Hertha BSC Berlin ein 2:0 beim VfL Bochum zu finden. So war jedenfalls die Wertung des wegen eines Becherwurfs gegen den Linienrichter abgebrochenen Spiels. Für zwei echte Siege in Folge muss bis 2021 zurückgehen. Damals folgte am 2. Oktober nach einem 1:0 über Borussia Dortmund ein 3:1 beim VfL Wolfsburg.

Das Ergebnis dieser Schwankungen ist Stagnation. Nach dem 22. Spieltag der vergangenen Saison hatte das Team von Adi Hütter sieben Siege, fünf Unentschieden und zehn Niederlagen mit 26 Punkten auf dem Konto. Nach der 22. Runde dieser Spielzeit lautet die Bilanz acht Erfolge, fünf Remis sowie neun Pleiten bei 29 Zählern. Die Anzahl der Gegentreffer ist mit 39 gegenüber 40 fast gänzlich unverändert, immerhin wurden mit 38 Treffern acht mehr erzielt. Da Stillstand gemeinhin als Rückschritt interpretiert wird, ist der Wechsel auf der Trainerbank zumindest kurzfristig verpufft. Das nächste Verpassen eines internationalen Wettbewerbes nimmt immer klarere Konturen an.

„Wir machen solch dumme Fehler. Das geht mir mächtig gegen den Strich, das regt mich so dermaßen auf“, zürnte Borussias Sportdirektor Roland Virkus nach der Abfuhr beim FSV Mainz 05, bei dem zwei Tage nach Aschermittwoch schon wieder Karneval war. Die Fohlenelf hingegen blieb ihrem „Robin-Hood“-Image treu. Von den Reichen (Vereinen) die Punkte) nehmen, den Armen geben. Eine Mentalität, von der Virkus die Nase jetzt gestrichen voll hat. „Wenn ich sehe, welche Gegentreffer wir bekommen, dann ist das für mich unerklärlich. Das ist ein echtes Problem. Wir müssen endlich anfangen, alles dafür zu tun, um die Null zu halten“, sagte der 56-Jährige.

In vier elementaren Statistiken ist Gladbach Letzter oder Vorletzter

Natürlich ist bei der Umsetzung dieser Forderung auch der Trainer mit Lösungsmöglichkeiten gefragt, doch Borussia Mönchengladbachs Kader scheint in großen Teilen auch ein gravierendes Charakter-Problem zu haben. Talent allein hilft nicht – es bedarf auch Grundtugenden wie Leistungsbereitschaft, Einsatz und Wille. In dieser Hinsicht aber gibt es bei der Borussia große und hinterfragungswürdige Defizite. So sind die Gladbacher das Team mit der zweitschlechtesten Quote an gewonnenen Zweikämpfen. Ein Wert, der sich ohne Manu Koné noch weiter nach unten bewegen würde – schließlich ist der Franzose der zweitbeste Zweikämpfer der Liga. In der Kategorie Laufleistung ist die Borussia gleichfalls vorletzter. Im Schnitt spult das Farke-Team 112,63 Kilometer pro Partie und damit rund sechs weniger als der 1. FC Köln sowie Union Berlin ab. In den Bereichen Sprints und intensive Läufe weiden die „Fohlen“ sogar auf dem letzten Platz.

Das führte in Augsburg (0:1), gegen Schalke (0:0), bei Hertha BSC (1:4) und jetzt auch in Mainz bei vier der jüngsten sechs Spiele zu äußerst leblosen Auftritten. „Wir woll‘n euch kämpfen seh‘n“, schallte es in Mainz dann auch erstmals laut vernehmlich aus dem Fan-Block. Die Anhänger nehmen immer grummelnder zur Kenntnis, dass leistungsbereite Teams trotz geringerer finanzieller Entlohnung deutlich mehr Ertrag einfahren. So liegt Werder Bremen aktuell einen Punkt vor Gladbach, dabei wendet der Aufsteiger laut „FBREF.com“ mit einer Schätzwahrscheinlichkeit von 100 Prozent für seine 28 Akteure lediglich 320 962 Euro pro Woche auf (16 690 000 Euro im Jahr). Union Berlin zahlt mit einer Schätzwahrscheinlichkeit von gleichfalls 100 Prozent seinen 29 Spielern gar nur 247 500 Euro wöchentlich (12 870 000 Euro im Jahr), dennoch kämpfen diese eisern um die Teilnahme an der Champions League.

Farke kritisiert die Spieler für ihren Verfall in Selbstmitleid

Am Freitag nahm dann auch Trainer Daniel Farke kein Blatt mehr vor den Mund. „Mit den Zahlen in puncto Zweikampfführung, Laufbereitschaft und Sprints bin ich definitiv nicht zufrieden. Nach dem 0:2 haben wir das Spiel kippen sehen, da hätten wir eine andere Widerstandsfähigkeit zeigen müssen. Doch von der Körpersprache her waren wir nicht da. Im Gegenteil – wir sind in Selbstmitleid verfallen. Das sind Dinge und Eigenschaften, die mir nicht gefallen“, sagte der Trainer. Und: „Wir können uns nicht in einzelnen Partien an unserer spielerischen Klasse berauschen – wir müssen lernen, Resilienz zu zeigen, wenn Sachen gegen uns laufen. In dieser Hinsicht bin ich mit Bereitschaft, Laufarbeit, Körpersprache und Pressing überhaupt nicht zufrieden“, so der 46-Jährige. „Wir haben ein sehr hohes Leistungsvermögen, aber unsere Leistung entspricht zu selten diesem Vermögen“, sagte derweil der 34 Jahre alte Kapitän Lars Stindl.

Womöglich würde seine Mannschaft noch schlechter als Platz zehn dastehen, wenn vier ihrer Gegner nicht dezimiert worden wären. Nach Platzverweisen gegen Posch (Hoffenheim/19. Minute), Uremovic (Hertha BSC/69.), Kainz (Köln/45.+1) sowie Upamecano (FC Bayern/8.) wurde schließlich die Hälfte der Siege in Überzahl errungen. Während die Frage nach dem Ausgang dieser Spiele bei elf gegen elf hypothetisch ist, braucht es keinen Propheten, um zu ahnen, dass der scheinbar erloschene Vulkan Borussia bei weiteren blassen Auftritten gegen Freiburg, in Leipzig und gegen Bremen spätestens zur Liga-Pause Mitte März doch wieder ausbrechen könnte.

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