Borussia Mönchengladbach Warum der FC Bayern für Max Eberl ein Vorbild ist

Mönchengladbach · Im WZ-Interview spricht Gladbachs Sportdirektor Max Eberl über die Zukunft von Trainer Hecking, die Entwicklung des Kaders, Investoren im eigenen Verein, Spielerberater - und Menschenhandel.

 Max Eberl, Sportdirektor von Borussia Mönchengladbach.

Max Eberl, Sportdirektor von Borussia Mönchengladbach.

Foto: dpa/Carmen Jaspersen

Herr Eberl, wir treffen Sie gut gelaunt nach einem starken Start. Verspricht das eine glanzvolle Saison zu werden für Borussia Mönchengladbach?

Max Eberl: Zumindest heißt das, dass Entscheidungen aus dem Sommer im Kader und im Umfeld des Kaders fruchten könnten. Und wir mit der Umstellung unseres Spiels auf einem guten Weg sind. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Zum Umfeld gehört, dass Sie weiter auf Trainer Dieter Hecking gebaut haben. In den sozialen Medien fanden das viele Anhänger lange falsch.

Eberl: Das spielt aber in meiner Beurteilung keine Rolle. Auf der Basis emotionaler Ausschläge kurzfristiger Art kann ich keine elementaren Entscheidungen für meinen Club fällen. Die Frage war: Welche Schlüsse ziehen wir aus dieser nicht so guten Rückrunde mit zum Teil sehr schlechten Spielen? Dieter wollte etwas ändern. Unser 4-4-2-System, das uns zu großen Erfolgen geführt, sich dann aber abgenutzt hat, wollte er ändern. Und unser Kader und unsere Planspiele haben das hergegeben. Das sieht man jetzt. Wir haben einiges geändert: Staff, Ansprache, Ansatz. Auch ich bin schon zehn Jahre hier. Für alle mussten neue Reize her.

Ein neuer Reiz ist der Kader, in dem alle gesund sind und Stars wie Stindl, Zakaria oder Kramer auch mal auf der Bank sitzen. Erschreckt Sie das selbst?

Eberl: Zwei Jahre lang ist uns auf die Füße gefallen, dass die Reintegration nach Verletzungen bei zu vielen Spielern zu lange gedauert hat. Wir wissen, dass es jetzt Härtefälle gibt, wenn alle gesund sind. Lars Stindl war lange verletzt, Denis Zakaria kommt von der WM, dafür haben es Florian Neuhaus und Jonas Hofmann überragend gemacht. Und ein Spieler des Jahres wie Michael Cuisance hat noch kaum gespielt. Das ist eine normale Konkurrenzsituation. Solch eine große Bank haben inzwischen auch Vereine wie Mainz, Augsburg oder Freiburg. Das ist Konkurrenz. Dem müssen sich alle stellen.

Trainer Hecking plädiert dafür, künftig mehr Spieler in den Spieltagskader nehmen zu dürfen. Sie auch?

Eberl: Ja, das ist unsere Meinung. Die Zeiten haben sich eben geändert. Man muss auch über eine vierte Einwechslung nachdenken. Wir brauchen nicht wie bei der WM einen 23er Kader, aber dass auf der Bank zwei Feldspieler mehr sitzen dürfen, würde den Handlungsspielraum stärken und kann gut für den Nachwuchs sein, den man belohnen möchte - aber heute nur schwer belohnen kann.

Wie setzen Sie das Interesse durch?

Eberl: Das können wir in Deutschland allein entscheiden. Das Thema ist auf der Managertagung offen angesprochen worden, und wir als Liga sehen das grundsätzlich positiv. Es wird jetzt eine Befragung geben und bei positivem Beschluss könnten wir das als Liga ändern. Italien macht es ja auch schon.

Ändern kann man auch die Frage von Investoren-Beteiligungen in Vereinen. Die 50+1-Frage ist nur scheinbar entschieden, es wird weiter daran gearbeitet, sie fallen zu lassen zu Gunsten größerer Konkurrenzfähigkeit. Ist das gut?

Eberl: Martin Kind hat Klage gegen den DFL-Beschluss eingereicht, jetzt wird man sehen, was gerichtlich entschieden wird. Ich meine aber auch: Wir müssen uns der Folgen bewusst sein. Muss man bei anderen immer das rausziehen, was vermeintlich gut ist, aber bei uns in der Konsequenz vielleicht ganz anders laufen könnte? Wir haben viele Themen in der Bundesliga. Und mit denen sollten wir zunehmend vorsichtig umgehen. Die subjektive Sicht auf „meinen Club“ mit der Einstellung, alles andere ist mir total egal – das ist nicht alles. Wir müssen den deutschen Fußball wieder in die Spur bringen. Und da laufen wir auf einen Scheideweg zu.

Geld regiert das Geschäft, das sieht man in der Champions League, wo die Reichen immer reicher werden. Das sieht man auch hier in Mönchengladbach, wo aus einem Provinzverein ein Unternehmen geworden ist. Geht es nicht mehr ohne Weiterentwicklung mithilfe von Großinvestoren?

Eberl: Uns muss doch klar sein: Wenn 50+1 fällt, fällt es für alle. Das heißt: Bayern München könnte auch mehr Geld bekommen. Wird der Vorsprung dann aufgeholt oder wird er eher noch größer? Ist dann ein Investor an Augsburg und Mainz, Paderborn oder Dresden interessiert und bringt die dann nach oben? Und ist es das, was wir wollen im deutschen Fußball? Natürlich müssen wir Diskussionen führen, wie wir Bayern als Liga gefährlich werden können. Aber Du kannst auch nicht negieren, was Fußball als unser Volkssport bedeutet. Was wir hier in Mönchengladbach gerade aufbauen machen wir, damit man hier im besten Fall auch in 20 Jahren noch Erstliga-Fußball sehen kann. Und wir machen das auf gesunde Weise. Wir haben das Geld erwirtschaftet, es wurde uns nichts geschenkt. Wir haben daraus etwas gemacht und haben strategisch oft gute Entscheidungen getroffen. Was ich sagen will: Hier versteht der Fan noch, was da passiert. Wenn jetzt aber einer kommt und sagt: Ich investiere jetzt in deinen Verein 100 Millionen Euro und stellt dann nach fünf Jahren fest, dass der Profit ein bisschen wenig war, und in München gibt es ein schöneres Stadion und lässt dich dann fallen - das würde unsere Fußball-Kultur zerstören. Und genau das könnte bald zu entscheiden sein. Mehr Geld, völlig egal wie - das ist ganz sicher nicht der richtige Weg.

Warum bleibt Bayern so dominant?

Eberl: Wahrscheinlich kann ich Bayern heute über 34 Spieltage nicht gefährlich werden, aber jede einzelne kann das an einem Spieltag. Da sind wir alle gefordert. Es gab auch Spiele, bei denen Mannschaften fünf Spieler zu Hause gelassen und das Spiel abgeschenkt haben. Das geht natürlich nicht, das ist Wettbewerbsverzerrung, zumal diese Teams gegen Bayerns Verfolger dann ausgeruht mit voller Kapelle spielen. Wenn das um sich greift, dann hätten wir kapituliert. Trotzdem hat der FC Bayern sich einen Vorsprung erarbeitet. Der muss kleiner werden. Der FC Bayern selbst hat daran ja auch Interesse.

Kommen für Borussia Mönchengladbach bald strategische Partner, wie sie der FC Bayern längst hat, infrage?

Eberl: Die Wahrheit im deutschen Fußball ist ja, dass von den aktuell 18 Erstligisten schon zwölf anteilig Prozente verkauft haben. Es gibt noch sechs lupenreine Vereine, zu denen gehören wir und zum Beispiel auch Schalke. Ja, ich sehe Bayern als ein Vorbild an, wie man einen Verein sportlich und strategisch aufbaut. Und da rede ich eben nicht über den Scheich, dem sie bei Manchester City auf den Werbebanden danken. Das würde in Deutschland nicht funktionieren und in Gladbach schon mal gar nicht. Wenn wir aber in Deutschland diesen Weg beschreiten und 50+1 kippen, dann werden sich Vereine neu aufstellen. Und dann werden auch wir uns fragen müssen: Wie gehen wir damit in Sachen Konkurrenzfähigkeit und Tradition um? Man muss deswegen nicht sofort Anteile verkaufen, aber zumindest Partner haben, die nachhaltig sind. Unsere jüngere Geschichte würde dann sicher dazu beitragen, dass man für den einen oder anderen interessanter wäre, als das noch vor 15 Jahren der Fall war.

Zu den Entwicklungen des deutschen Fußballs gehört auch die zunehmend beklagte Rolle von Spielerberatern. Auch Ihnen ein Dorn im Auge?

Eberl: Ja, aber ich unterscheide klar zwischen Beratern, die einen guten Job machen und jenen Menschen, die sich bewusst am Fußball bereichern wollen. Berater sind auch gute Puffer zwischen Vereinen und Spielern, die heißblütige Väter eben manchmal nicht sind. Aber wenn 12-jährige Spieler unter die Fittiche genommen werden und das mit Urlaubsreisen und Autos honoriert wird, dann hat das nicht mit Seriösität zu tun, sondern mit modernem Menschenhandel. Da werden Kinder benutzt, um Profit zu schlagen.

Was bedeutet diese Entwicklung für den deutschen Fußball?

Eberl: Der Fußball wird darunter leiden, weil wir Spieler aufbauen, die keinen Konflikt mehr eingehen können und alles auf ihre Berater abschieben. Früher standen beim U19-Spiel die Scouts und die Berater. Heute stehen beim U19-Spiel nur noch die Scouts - und die Berater beim U13-Spiel. Das ist die Wahrheit. Ich brauche aber einem 13-jährigen als Berater keine Ratschläge zu geben. Der soll einfach Fußball spielen, wie wir es alle getan haben. Aber das ist heute nicht mehr möglich. Und was resultiert daraus in 15 Jahren? Eine Generation von Spielern, die gar nicht mehr gelernt hat, mit Kritik klar zu kommen, Über Hindernisse zu gehen, auch mal ein schlechtes Jahr zu haben, vielleicht auch mal einen Trainer zu haben, der einen nicht mag. Das gibt es dann nicht mehr, und ich prophezeie, dass wir dann im deutschen Fußball ein richtiges Niveau-Problem bekommen. Das müssen wir jetzt angehen.

Nach der WM wird gerade alles wieder auf den Kopf gestellt, Ausbildung und Mentalität hinterfragt. Haben Sie jahrelang alles falsch gemacht?

Eberl: Eines ist sicher richtig: Systeme sind wichtig, aber wir in Gladbach wollen das Individuum nach vorne bringen. Und wenn der Spieler aus der U 17 so gut ist, dass er in der U19 spielen muss, dann soll er das. Das erhöht die Reize, da ist mir dann die U17 erst einmal egal.

Ist Jordan Beyer ein gutes Beispiel für die individuelle Förderung der Nachwuchsspieler?

Eberl: Wir haben ihn letztes Jahr in der Winterpause dazu genommen, als er als jüngerer Jahrgang A-Jugend spielte, weil wir überzeugt davon waren, dass er das Niveau unserer Spieler adaptiert. Das ist glücklicherweise aufgegangen. Wir haben vor dieser Saison lange überlegt ob wir noch einen Defensivspieler verpflichten, uns dann aber entschieden, genau das nicht zu tun. Jordan hat sich den Kaderplatz erkämpft. Und das ist einer von diesen Jungs, bei denen wir vor Jahren gedacht haben, wir müssen wieder mehr auf Verteidiger setzen, als wir zu wenige Defensivspieler in Deutschland hatten.

Was machen Sie strategisch, dass Spieler wie Dahoud, Reus oder Xhaka länger bei Ihnen bleiben?

Eberl: Stellen Sie diese Frage Dortmunds Michael Zorc wegen einem Spieler wie Dembele auch?

Wenn wir die Möglichkeit haben: ja.

Eberl: Das betrifft jeden Club, das ist ein Problem für die Liga. Und es bedeutet Lob für uns, weil wir Talente finden und entwickeln, die andere auch finden könnten. Und dann ist es nun mal so, dass der Größere den Kleineren frisst. Wir sind Gott sei Dank raus aus dem Kreisel, dass die Spieler nur ein Jahr gute Leistung bei uns zeigen und dann weg sind. Als ich anfing war das bei Marco Marin so, der dann nach Bremen ging. Der einfachste Weg wäre, ich würde einem Spieler wie Mo Dahoud sagen: Du kannst jedes Jahr bei mir Champions League spielen. Das kann ich ihm aber nur einmal sagen, dann werde ich unglaubwürdig. Und dann kommt keiner mehr zu mir.

Matthias Ginter und Jonas Hofmann haben offensichtlich einen Sprung gemacht. Was ist passiert?

Eberl: Matthias hat aus dem Erlebnis WM richtig Motivation gezogen. Er ist 24, und er hat nochmal einen Schritt gemacht. Das war ja auch unsere Idee, als wir ihn geholt haben. Ich glaube, dass er beim DFB als Rechts- oder Innenverteidiger Stammspieler werden kann. Jonas hat sein Potenzial immer wieder angedeutet, hatte aber viel zu selten die letzte Aktion: Tore oder Assists. Jetzt kommt ihm als laufstarker, schneller Spieler entgegen, wie wir gerade spielen. Der Elfmeter gegen Leverkusen war für ihn auch ein Brustlöser. Schön, dass er jetzt abruft, was wir in ihm gesehen haben.

Bald kommt das Thema Hecking wieder auf das Tableau, dessen Vertrag läuft im Sommer aus. Wann ist eine Entscheidung vereinbart?

Eberl: Wir haben meine Aussage überdacht, dass ich mit einem auslaufenden Vertrag des Trainers nicht in die neue Saison gehen wollte. Weil es für alle Beteiligten zum Ende der vergangenen Saison nicht der richtige Zeitpunkt gewesen wäre. Am letzten Tag vor seinem Urlaub haben wir im Büro gesessen. Und Dieter sagte: Hör zu, Max, es ist nicht der richtige Moment, über einen Vertrag zu sprechen. Ich sah das genauso. Wir wollten uns gemeinsam auf das Sportliche konzentrieren, eine gute Planung machen und einen guten Start hinbekommen, danach wird man zum gegebenen Zeitpunkt alles Weitere besprechen.

Und wohin geht es?

Eberl: Wir haben keine Vereinbarung, wann wir das besprechen. Nicht heute, nicht in ein bis zwei Wochen. Aber auch nicht erst im März. Das ist auch nicht meine Art. Dieter ist routiniert genug. Und vielleicht ist es am Ende so, dass wir verlängern wollen und er sagt: Max, ich gucke mal, was passiert. Es ist ja alles möglich im Fußball. Aber das wichtigste ist: Wir haben ein richtig gutes Miteinander.

Sie haben aus dem Fall Schubert gelernt, als ihnen dessen Vertragsverlängerung als unnötig vorgeworfen wurde?

Eberl: Damals wollten ich und der Verein ein Zeichen setzen, weil wir Vierter geworden waren und gegen Bern in überragender Manier in die Champions League eingezogen waren, André Schubert aber trotz dieses Erfolges nie wirklich anerkannt war. Mit Dieter Hecking ist das nicht zu vergleichen. Der war damals genau richtig, weil er das kreative Durcheinander, das geblieben war, aufgefangen hat.

Der Trainer als temporäre Entscheidung. Es gibt also für bestimmte Situationen bestimmte Trainer?

Eberl: Das ist so, Thomas Schaaf oder Jürgen Klopp waren Ausnahmen. Ich habe Zweifel, dass Trainer wesentlich länger als vier oder fünf Jahre bei einem Verein sein können, weil sich irgendwann alles abnutzt und man müder wird. Aber: Das darf nicht jedes halbe Jahr passieren, sonst wirst du keine Idee auch nur im Ansatz implantiert bekommen.

Wohin geht es in dieser Saison noch?

Eberl: Mir ist es heute nicht das wichtigste, einen Platz auszugeben. Ich möchte das nächste Spiel gegen Hertha BSC gewinnen. Und das ist bei der sehr engen Bundesliga ein hohes Ziel. Wir sind in der jüngeren, sehr erfolgreichen Vergangenheit sehr gut damit gefahren, uns genau darauf zu konzentrieren. Aber glauben Sie mir, wir haben da einen Plan.

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