Wie hat Farke das geschafft? Analyse des neuen Gladbach-Stils: Hurra-Fußball mit Bremsfallschirm

Mönchengladbach · Gladbachs 3:0-Erfolg gegen RB Leipzig hat gezeigt, was mit dem Kader möglich sein kann, wenn das Team diese Leistung stabilisiert. Ein Blick auf die neue Art des Spiels.

 Gladbachs Ramy Bensebaini (r) und Marcus Thuram bejubeln das Tor zum 3:0 gegen RB Leipzig. Beide Offensivkräfte zeigten sich sehr agil.

Gladbachs Ramy Bensebaini (r) und Marcus Thuram bejubeln das Tor zum 3:0 gegen RB Leipzig. Beide Offensivkräfte zeigten sich sehr agil.

Foto: dpa/Federico Gambarini

Die überwiegend peinliche, selbstentlarvende Protestaktion der Ultras im Gladbacher Borussia Park gegen das Projekt RB Leipzig, gegen dessen neuen Trainer mit Gladbacher Vergangenheit Marco Rose und gegen den Wechsel von Max Eberl dorthin hat im Nachgang eine bemerkenswerte Leistung von Borussia Mönchengladbach übertönt. Die Mannschaft von Trainer Daniel Farke gewann nicht einfach nur gegen den Champions-League-Teilnehmer aus Sachsen, sondern sie beherrschte ihren Gast, zwang ihm ihr Spiel auf und erzielte drei blitzsaubere Tore. Es hätten durchaus noch mehr sein können. Doch ein 3:0 gegen RB Leipzig ist auch so als Ausrufezeichen groß genug.

Dieser Erfolg hat viele Väter. Da ist vor allem natürlich der Trainer. Ihm ist es gelungen, den verletzten Florian Neuhaus im offensiven Mittelfeld mit einem Griff ganz tief in die Trickkiste zu ersetzen. „2014 im WM-Finale“, hatte Christoph Kramer seinem Chef auf die Frage geantwortet, wann er diese Position zuletzt gespielt hat. Und wie Kramer das dann über die 90 Minuten auf dem Rasen im Borussia-Park wiederholte, löste bei Lothar Matthäus am Mikrofon des TV-Senders Sky ungeahnte Euphorie aus. Er verglich den Gladbacher Mittelfeldmann mit Thomas Müller und räumte Kramer gar noch WM-Chancen ein.

Dass neben dem Mittelfeld-Strategen aus Solingen auch Jonas Hofmann und vor allem Marcus Thuram als ballsichere Anspielstation im Sturmzentrum brillierte, machte den glänzenden Offensiveindruck der Fohlenelf an diesem Samstagabend perfekt.

Dabei stand den Gladbachern in RB Leipzig ein hochambitioniertes und äußerst namhaft besetztes Team gegenüber. Offensivkräfte wie Forsberg, Silva, Szoboszlai und der pfeilschnelle Nkunku sind für jede Defensive in der Fußball-Bundesliga ein einziger Dauerstress. Dazu entwickeln Kampl, Haidara und auch der deutsche Nationalspieler David Raum üblicherweise reichlich Offensivkraft. Am Samstag war das sehr selten so. Zwar musste Yann Sommer im Tor der Gladbacher zwei-, dreimal zugreifen. Aber insgesamt entstand über die 90 Minuten nie der Eindruck, dass der Sieg der Gladbacher in Gefahr geraten könnte. Es war nicht nur der überzeugendste Auftritt der Borussia in dieser Saison, es war auch mit Abstand ihr bestes Spiel gegen den vermeintlich übermächtigen Klub aus Leipzig, gegen den es für die Elf vom Niederrhein in der Vergangenheit nur selten etwas zu gewinnen gab. Im Gegenteil hat Gladbach sich regelmäßig als Lieblingsgegner des Leipziger Stürmers Timo Werner erwiesen.

Dass auch Werner am Samstag keinen Stich bekam, ist ein Fingerzeig auf das Geheimnis dieses Erfolges. Es verbarg sich weniger in der Offensive des Teams von Daniel Farke als vielmehr in dessen Resistenz gegen alle Angriffsbemühungen der so ambitionierten Gäste. Zwar liefen die Gladbacher im Spiel insgesamt nur einen Kilometer mehr als Leipzig (113,5), aber dennoch hatten die Gastgeber in Ballnähe fast immer deutliche Überzahl, umzingelten den ballführenden Gegenspieler gleichsam und nahmen der sächsischen Kombinationsmaschine damit ihre Kraft und ihre Geschwindigkeit.

Die Basis des Erfolges aber wurde eindeutig in der Tiefe des Spieles der Gladbacher gelegt. Vor allem der im ersten Durchgang sehr präsente Julian Weigl, aber auch Marvin Friedrich, Nico Elvedi sowie der äußerst agile Ramy Bensebaini erzeugten eine überdurchschnittlich hohe Passgenauigkeit. Sie fanden im Mittelfeld Manu Koné, Lars Stindl und Kramer, die wiederum hatten in Thuram und Hofmann sichere Optionen. Damit war das bekannte Pressing der Leipziger, die Balljagd nach Red-Bull-Prinzip, ausgehebelt und kam Gladbach immer wieder zu gefährlichen Angriffen mit brisanten Strafraumsituationen.

Was sagt all das? Es besagt zweierlei. Wenn Gladbach diesen Stil konsequent weiterentwickelt, dann wird es einerseits all jene Unkenrufer widerlegen, einschließlich des Autoren dieser Zeilen, die der Mannschaft nach dem Trainerwechsel, nach dem Wechsel von Eberl zu Roland Virkus und nach einer eher zurückhaltenden Transferphase eine schwierige Spielzeit vorausgesagt haben. 

Andererseits kann Borussia Mönchengladbach im Falle einer Leistungsstabilität eine alte Fußballweisheit belegen, nach der die Offensive einer Fußballmannschaft Spiele gewinnt, die Defensive hingegen Titel und Pokale. In bisher sieben Spielen hat Gladbach lediglich fünf Gegentore hinnehmen müssen. Das liegt zuweilen an einem Torwart, der wie in München unhaltbare Bälle hält. In der Regel hat es viel mit der Verteidigungsstruktur in einem Spielsystem zu tun. Hier scheinen die Ideen und Vorstellungen des neuen Trainerteams zu greifen, zumal sich abgesehen von Ginter in der Innenverteidigung personell nichts geändert hat. Hochgerechnet auf die gesamte Saison bedeuten fünf Gegentreffer nach sieben Spieltagen insgesamt knapp 25 Gegentore. Das ist die Bilanz eines Champions-League-Teilnehmers.

Ob dazu die auf die gesamte Saison hochgerechneten knapp 50 selbst erzielten Tore reichen, steht auf einem anderen Blatt. Aber das Spiel gegen Rasen-Ballsport Leipzig hat am Samstag gezeigt, dass auf der Basis einer sicheren Defensive erfolgreiche Offensive möglich ist, weil die Mannschaft insgesamt weniger gestresst war und ihre technischen Qualitäten mutig und zielstrebig ausspielen konnte.

All das wäre übrigens auch den Ultras unter den gut 50 000 Zuschauern sicher noch besser aufgefallen, hätten sie es nicht vorgezogen, sich und den Verein ihres Herzens über 90 Minuten unsterblich zu blamieren.

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