Hertha und Union - Freunde nur hinter Stacheldraht

Berlin (dpa) - Zu Zeiten des Berliner Stacheldrahts empfanden die Fußball-Fans von Hertha und Union ungewöhnliche Sympathien füreinander. Seit der Wende ist daraus tiefe Abneigung geworden. Provokationen zwischen beiden Lagern bestimmen die Szenerie, manchmal sogar unter der Gürtellinie.

„Hertha-Treff am Knabenstrich - alte Liebe rostet nicht“ stand unlängst auf einem Banner der Unioner. Sie reagierten damit auf die Verabredung der Hertha-Fans am Bahnhof Zoo vor dem vierten Stadt-Derby der Zweitliga-Geschichte am Montag im Olympiastadion. Der Treff der Herthaner war wiederum nur ein Konter auf die Aktion der Roß-Weißen, die sich im ureigenen Hertha-Revier am Breitscheid-Platz formieren und ihre Hymne skandieren wollen.

An das Zusammengehörigkeitsgefühl zu Zeiten des Eisernen Vorhangs können sich heute nur noch die älteren Anhänger erinnern. Herthaner feuerten regelmäßig Union in Köpenick an, die Fans der Rot-Weißen nutzten - argwöhnisch beobachtet von der Stasi - Europacup-Touren der Hertha nach Osteuropa, um ihren Lieblingen aus dem Westen zuzujubeln.

Höhepunkt war dabei Herthas 2:1-Sieg im UEFA-Cup-Viertelfinale im März 1979 bei Dukla Prag. Die Partie wurde zum Heimspiel für die Berliner, weil die Hälfte der 30 000 Zuschauer aus der DDR und West-Berlin angereist war. Für die DDR-Führung waren solche Szenen schockierend.

Schon Anfang der 70er Jahre war die Alte Försterei durch den Besuch vieler Herthaner zu einem Markt gemeinsamer Fan-Utensilien geworden. Über die Grenze geschmuggelte Aufnäher zeigten politisch brisante Bekundungen wie „Wir halten zusammen, uns kann nichts trennen, keine Mauer und kein Stacheldraht!“ Schals und Mützen mit dem Slogan „Hertha und Union - eine Nation“ gingen verdeckt von Hand zu Hand, diese Utensilien waren in der DDR verboten. Ganz offen skandierten die Unioner in der Fankurve ihr „Ha-Ho-He, Hertha BSC“.

Am 30. April 1950 standen sich Hertha und Union Oberschöneweide - der 1. FC Union wurde erst 1966 gegründet - letztmals vor dem Mauerbau in einem Punktspiel gegenüber. Union gewann im Poststadion mit 5:1, dann trennten sich die Wege. Kein Wunder, dass das erste Derby nur 79 Tage nach dem Fall der Mauer die Fans am 27. Januar 1990 in Heerscharen anzog: 51 270 Fans sangen gemeinsam, trugen Schals mit den Emblemen beider Clubs und lagen sich freudetrunken in den Armen. Das 2:1 der Hertha blieb ein Randereignis, für Union war es die größte Kulisse der Vereinsgeschichte - bis zum Derby am 5. Februar 2011 über 74 244 Fans ins ausverkaufte Olympiastadion pilgerten.

Nach einigen Duellen in den 90er Jahren, die kaum Beachtung fanden, setzte 2009 der Aufstieg des 1. FC Union in Liga zwei und die Eröffnung des von den Fans sanierten „Stadions an der Alten Försterei“ die Massen wieder in Bewegung. Nach nur wenigen Stunden waren die Karten für das Eröffnungsspiel gegen Hertha ausverkauft, das Match ging mit 5:3 an den Favoriten aus Charlottenburg.

Spätestes bei dieser Partie wurde deutlich, wie weit sich beide Vereine voneinander entfernt hatten. Schmährufe hallten von den Rängen. Und auch in den bisherigen drei Zweitliga-Duellen waren Anfeindungen an der Tagesordnung. „Scheiß Union“ - hieß es permanent aus dem Hertha-Block. „Nur zu Hertha geh'n wir nicht“, sangen die Unioner. Und doch stemmt sich ein Grüppchen von Fans beider Lager gegen die verhärteten Fronten. Und ruft Blau-Weiße wie Rot-Weiße am Montag zum Treff am Alexanderplatz auf.

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