Fatih Terim: Halbgott und Totalversager

Fatih Terim hat in seinem Job als Nationaltrainer alles erlebt. Im Moment ist er auf dem Höhepunkt seiner Karriere.

Wien/Düsseldorf. Fatih Terim schwitzt. Sein weißes Hemd ist nass, seine hohe Stirn hält die Tropfen nicht. Sie laufen hinab, hinein in den weiten Ausschnitt. Und enden im Brusthaar. Wie Terim stellt man sich hierzulande einen Familienpatriarchen aus Istanbul vor. Ziemlich männlich, ein bisschen Schmuck hier, ein wenig sichtbares Brusthaar dort. Und fast immer ein wenig fanatisch. "Wir schicken all’ unsere Liebe in die Heimat", sagt der türkische Nationaltrainer nach Siegen, und dann huscht ein Lächeln über das Gesicht, das im Gros immer etwas zu böse, etwas zu konzentriert wirkt. Es soll sogar Leute geben, die Angst haben vor Terim.

Nur in diesen netten Momenten kann man den Spielern der "Milli Takim", wie die türkische Nationalmannschaft im eigenen Land genannt wird, glauben, dass sie in ihrem Trainer eine Vaterfigur sehen. Man findet bei dieser EM tatsächlich kaum einen türkischen Spieler, der das anders sieht. Wenn Väter tatsächlich auf das Zuckerbrot die Peitsche knallen lassen, dann kann man das verstehen. Das nämlich ist Terims Prinzip. Und weit, weit darüber thront die Disziplin. Sie nennen ihn "Imperator".

"So einen harten Hund wie Terim", hat der Rumäne Georghe Hagi einmal gesagt, der unter Terim mit Galatarasay Istanbul 2000 den Uefa-Pokal gewann, "habe ich nirgendwo anders erlebt." Und auch Hamit Altintop verglich unlängst die Kabinenansprache seines Trainervaters mit der des Jürgen Klinsmann aus dem Sommermärchen-Film: "In diesen 15 Minuten knallt es bei uns so heftig, dagegen waren die Ansprachen von Klinsmann zaghaft." Terim hüpft, gestikuliert und schimpft am Spielfeldrand, als würde er den Vierten Schiedsrichter nicht ernst nehmen. Wahrscheinlich ist es sogar so.

In diesen Momenten erinnert Terim an den Spieler Terim. Den Libero, den Kapitän der Nationalelf, schon damals ganz Anführer. Kopfnüsse soll er an die Gegner verteilt, einmal sogar den Polizeichef von Istanbul verprügelt haben.

Der Grat zwischen Bewunderung und Antipathie ist schmal, vor allem Terim galt als ein Provokateur bei den Ausschreitungen zwischen den Akteuren beim WM-Qualifikationsspiel 2005 zwischen der Schweiz und der Türkei.

Die Türken schafften es nicht zur WM, und wer eine Ahnung davon hat, wie die türkischen Medien gleichsam hochleben lassen und verteufeln können, der weiß, dass es auch Terim nicht immer leicht hatte in seinem Land. Obwohl er schon in seiner ersten Amtszeit als Nationaltrainer 1996 den Bann für sein Land brach, als sich die Türkei das erste Mal für eine Europameisterschaft qualifizierte, ist Terim nicht immer der Halbgott gewesen, für den ihn die Heimat in diesen Tagen hält. "Hätten wir verloren, hätte man wohl einen Baum gesucht, um mich aufzuhängen", sagte er nach dem 3:2-Sieg gegen Tschechien.

Vor der EM, für die sich die Türken mit Ach und Krach qualifizierten, musterte er des Volkes Liebling Hakan Sükür ebenso aus wie Yildiray Bastürk ("Unter Terim mache ich kein Länderspiel mehr") und Hamit Altintops Bruder Halil. Dass es gut gegangen ist, ist seine Rettung. Und dass die Türken bei dieser EM zwar schon 400Minuten gespielt, aber nur neun Minuten geführt haben, verdeutlicht, wie sehr auch Terims Renommee am seidenen Faden seiner Spieler hängt. Terim funktioniert vor allem in der Türkei. Seine Arbeit beim AC Florenz und beim AC Mailand in Italien war zusammen nach einer Spielzeit beendet.

In den türkischen Medien gilt der Sohn eines Pistazienhändlers während dieser EM als ruhig und ausgeglichen wie nie, was viel aussagt über den Terim, der zuvor an der Seitenlinie stand. Doch das seriöse Auftreten vor den Kameras hat System: Terim will aufräumen mit dem Image des aggressiven Trainers.

"Bir ipte iki cambaz oynayamaz", ist ein altes, türkisches Sprichwort. Sinngemäß übersetzt heißt das: "Ein Ehrgeiziger wird auf die Dauer jeden Rivalen verdrängen." Terim hat das verinnerlicht. Für sich. Und für seine Mannschaft.

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