Digel zu Russland: Schnell zu Ergebnissen kommen

Düsseldorf (dpa) - Der Sportfunktionär Helmut Digel fordert umfangreiche Untersuchungen der Doping- und Betrugsvorwürfe, die in der ARD-Dokumentation „Geheimsache Doping“ gegen das russische Sportsystem erhoben wurden.

Digel zu Russland: Schnell zu Ergebnissen kommen
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„Jetzt kommt es darauf an festzustellen, wie umfassend das Problem ist“, sagte das Councilmitglied im Leichtathletik-Weltverband IAAF im Interview der Deutschen Presse-Agentur. „Da wird ein Kontrollsystem infrage gestellt, das weltweit aufgestellt wurde.“

Wie lautet Ihre Beurteilung der ARD-Dokumentation „Geheimsache Doping“, nach der man den Eindruck hat, das russische Sportsystem ist auf Betrug, Doping und Korruption aufgebaut?

Helmut Digel: Der Film hat zumindest in Deutschland seine Folgen. Da wird ein Kontrollsystem infrage gestellt, das weltweit aufgestellt wurde. Was das Dramatische bei der Angelegenheit wäre: Wenn man sich auf die Kontrolleure nicht mehr verlassen kann, wird das ganze Kontrollsystem ad absurdum geführt. Deshalb muss der Fall sehr sorgfältig geprüft werden. Es gibt zunächst Vorwürfe, die gemacht werden, da stehen Aussagen gegen Aussagen. Und deswegen sind nun juristische Institution gefragt, an erster Stelle die Ethik-Kommission der IAAF. Genauso wichtig wird sein, dass die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA Untersuchungen beginnt: Auf Grundlage der Gesetze in Russland und damit die Sache vor Gericht gebracht werden kann. Da habe ich aber meine Sorge. Es wird nicht ganz einfach sein, weil Zeugen nicht mehr im Land sind und nicht zur Verfügung stehen.

Das Thema Doping begleitet Sie schon seit Jahrzehnten. Hat Sie das in dem Film Gesehene noch schockiert?

Digel: Ich sage seit 1993, dass wir in die Grauzone vorstoßen müssen, wo der Dopingbetrug stattfindet. Dazu braucht man ein Anti-Doping-Gesetz und dass eine ausgebildete Polizei recherchieren und ermitteln kann. Der Film hat bestätigt, dass wir das Gesetz dringend benötigen. Die Verbindung zur Notwendigkeit von Anti-Doping-Gesetzen ist in diesem Film evident.

Was muss nun im Fall Russland geschehen?

Digel: Jetzt kommt es darauf an festzustellen, wie umfassend das Problem ist. In dem Film wird von allen Athleten der Spitzenklasse gesprochen, von 99 Prozent. Ist das so zu deuten, bezogen auf die russischen Sportler, dass ihre gesamte Weltklasse gedopt ist? Diese Aussage machen russische Athleten und Trainer. Ob diese Aussage zutrifft - und da gibt es viele Gegenaussagen -, muss man prüfen. Für mich zählen die harten Fakten, die ermittelt werden müssen.

Welchen Schaden nimmt die IAAF durch diese Enthüllungen?

Digel: Vorverurteilungen machen im Moment keinen Sinn. Wir müssen belastbare Verfahren haben. Die Ethik-Kommission der IAAF, und da bin ich froh, dass sie Anfang des Jahres eingerichtet wurde, hat ihren Auftrag. Sie ist informiert und ermittelt meines Wissens bereits. Ich hoffe, dass man in dem Fall möglichst schnell zu Ergebnissen kommt. Je länger er vor uns hergeschoben wird, desto größer wird der Schaden.

Zweifeln Sie nicht, dass in Russland tatsächlich vonseiten des Staates ermittelt wird und die Gesetze angewendet werden?

Digel: Das ist ein Problem all dieser Anti-Doping-Gesetze, dass sie auf dem Papier stehen, aber nicht umgesetzt werden. Dies gilt nicht nur für Russland. Das könnte man auch für andere Sportnationen beklagen. Jetzt ist Russland über den Sportminister und die Regierung gefordert, die notwendigen Schritte zu tun. Ob sie erfolgen, wird man sehen. Das Thema ist mit höchster Brisanz auf der Tagesordnung und wird auch die Sportorganisation weiter beschäftigen.

Gib es in anderen Ländern ähnliche Doping-Strukturen, wie man sie nun in Russland zumindest vermuten darf? Stichwort: China.

Digel: Ich finde, wenn man nur das Spiel Russland - China spielt, wird man dem Problem des Dopings nicht gerecht. Wenn man nun der These folgt, dass die besten Russen alle gedopt sind, muss man fragen, ob alle Gegner, die sie besiegen, die sauberen Athleten sind. Und da sieht man, dass man mit der Bewertung sehr vorsichtig sein muss. Wir müssen davon ausgehen, dass sind die Erkenntnisse der Wissenschaft, dass vielen Sportarten von dem Problem der medikamentösen Manipulation der sportlichen Höchstleistung betroffen sind. Mit unterschiedlicher Reichweite, nicht in jeder Sportart ist es dasselbe, und nicht alle Länder sind in gleicherweise intensiv beteiligt. Doch wenn wir von der Weltklasse reden und von EPO-Missbrauch, dann können wir nicht nur nach Russland oder China schauen, sondern müssen dies überall auf der Welt tun.

ZUR PERSON: Der 70 Jahre alte Sportsoziologe gehört seit 2007 dem Council des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF an. Von 1993 bis 2001 war der frühere Handballer Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes.

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