Vor der Handball-WM Die verwaiste Königsposition: Deutschlands Problem im linken Rückraum

Im linken Rückraum liegt beim Handball meist ein Schlüssel zum Erfolg. Durch den Ausfall von Julius Kühn scheint Deutschlands Hoffnung auf ein WM-Märchen geschrumpft.

 Herbst 2018: Julius Kühn, der 2008 bis 2011 auch für die HSG Düsseldorf gespielt hat, trifft für die Handball-Nationalmannschaft. Bei der WM fehlt er.

Herbst 2018: Julius Kühn, der 2008 bis 2011 auch für die HSG Düsseldorf gespielt hat, trifft für die Handball-Nationalmannschaft. Bei der WM fehlt er.

Foto: dpa/Silas Stein

Es sollte nur eine Trainingseinheit mit Wettkampf-Charakter sein, jenes EM-Qualifikationsspiel der deutschen Handball-Nationalmannschaft im Oktober 2018 in Pristina. Rein sportlich war es dies auch, mit 30:14 löste das Team von Bundestrainer Christian Prokop die Pflichtaufgabe gegen den Kosovo. Dennoch kehrte der DHB-Troß mit versteinerten Mienen zurück. Grund war eine schwere Verletzung. Julius Kühn von der MT Melsungen hatte sich bei einer unglücklichen Aktion einen Kreuzbandriss zugezogen, für den 25 Jahre alten Duisburger ist die Saison gelaufen und Prokop damit für die Heim-WM mit einer gewaltigen Problematik konfrontiert. Weil sich im Kader kein zweiter Rückraum-Werfer befindet, der über Kühns Wucht verfügt. Das bewiesen trotz der Siege auch die beiden Testspiele gegen Tschechien (32:24) und Argentinien (28:13). Der Rückraum ist die Achillesferse im deutschen Spiel.

Mit starkem Rückraum feierte der DHB seine größten Erfolge

Wie wichtig aber gerade diese Position ist, zeigt ein Blick in die deutsche Handball-Historie. Immer wenn ein Turnier erfolgreich bestritten wurde, hat die Nationalmannschaft über einen treffsicheren halblinken Schützen im Rückraum verfügt. Bei der WM 1978 warfen Joachim Deckarm und der 2012 verstorbene Erhard Wunderlich das Team von Vlado Stenzel zum historischen Erfolg über die UdSSR. Pascal Hens sorgte mit einfachen Treffern für die Titel bei der EM 2004 sowie der Heim-WM 2007. Und dann wuchtete eben Julius Kühn zum Überraschungs-Coup bei der EM 2016 ein.

Seinerzeit wurde der noch in Gummersbach spielende Kühn erst während des Turniers für den verletzten Christian Dissinger nachnominiert, jetzt galt er als der große Hoffnungsträger für die WM. Schließlich war der wurfgewaltige Rechtshänder mit der imposanten Statur vergangene Saison bester Feldtorschütze der Bundesliga. Vor ihm hatten selbst die übermächtigen Franzosen mächtigen Respekt. „Julius ist eine Wurfmaschine. Wenn nichts mehr geht, kann er immer noch einen Wurf auspacken. Einen Spieler wie ihn haben wir für diese WM nun nicht mehr dabei“, sagte Experte Stefan Kretzschmar.

Wer also sind die Alternativen zu Kühn? „Wir werden Julius nicht eins zu eins ersetzen können“, sagte Bundestrainer Prokop. Der Köthener baut im linken Rückraum nun auf Finn Lemke, Fabian Böhm und Steffen Fäth. Böhm besitzt zwar Anführer-Qualitäten, spielt mit Hannover aber keine gute Saison. Dies macht Fäth mit den Rhein-Neckar-Löwen, doch dem recht sensiblen 28-Jährigen hatte Prokop nach der enttäuschenden EM 2018 das Vertrauen erstmal entzogen. „Wir werden den Ausfall von Julius als Team kompensieren müssen“, meinte Finn Lemke vielsagend.

Die deutschen Testgegner waren nicht von erster Güte

Zwei Systeme wären nun denkbar. Option eins ist das Tempospiel, bei dem aus einer starken Abwehr heraus schnell umgeschaltet wird. Mit dieser Taktik hat zum Beispiel der muntere Aufsteiger Bergischer HC in dieser Saison einige Gegner überrascht. Option zwei ist, dass im Positionsangriff die körperlichen Nachteile durch Spielwitz wettgemacht werden. Dieses Vorhaben aber torpedierte auch die Verletzung von Routinier Michael Kraus im Rückraum. So könnten die Ergebnisse gegen zweitklassige Tschechen und drittklassige Argentinier eine Stärke suggerieren, die der Kader gar nicht besitzt. „Die meisten unserer Angriffsvarianten sind auf Julius zugeschnitten“, sagte Lemke. Doch Julius Kühn kann nur zuschauen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort