Endlos-Spielzeit und Frust Das Regionalliga-Desaster

Düsseldorf · Saison-Abbrüche, Endlos-Spielzeit und Ärger um die zweiten Mannschaften. In den Regionalligen rumort es.

Vor wenigen Wochen machte Fußball-Regionalligist RW Essen Schlagzeilen mit dem Sieg im DFB-Pokal gegen den Bundesligisten Bayer 04 Leverkusen. Essens Torjäger Simon Engelmann jubelt nach seinem 2:1-Siegtreffer.

Vor wenigen Wochen machte Fußball-Regionalligist RW Essen Schlagzeilen mit dem Sieg im DFB-Pokal gegen den Bundesligisten Bayer 04 Leverkusen. Essens Torjäger Simon Engelmann jubelt nach seinem 2:1-Siegtreffer.

Foto: dpa/Martin Meissner

Seit Anfang November ruht der Spielbetrieb in den Regionalligen Nord, Nordost und Bayern. Der Nordosten hat seine Saison inzwischen für abgebrochen und Spitzenreiter FC Viktoria 1889 Berlin nach nur elf von 38 Spieltagen zum Drittliga-Aufsteiger erklärt. Im Norden steht der Abbruch unmittelbar bevor, über die Aufstiegsfrage allerdings dürfte dann angesichts der zwei Staffeln wie auf einem Basar gefeilscht werden. In Bayern wiederum wird immer noch verzweifelt versucht, die Saison 2019/20 zu Ende zu bringen. Die Covid19-Pandemie legt offen, dass die vierten Ligen längst nicht so professionell sind, wie es ihre 21 Landesverbände und der Deutsche Fußball-Bund (DFB) gerne verkaufen. „Wir haben uns schon vor der Pandemie grundlegende Fragen gestellt. Die Corona-Krise ist nun wie ein Brennglas. Viele bestehende Herausforderungen werden jetzt noch deutlicher“, sagt Tom Eilers vom DFB.

Für Traditionsclubs wie Essen oder Offenbach ein steiniger Weg

Während der bayerische Fußballverband (BFV) ob der finanziell wie infrastrukturell zum größten Teil sehr bescheiden aufgestellten Clubs seiner Regionalliga erst gar keine großen Anstrengungen zur Wiederaufnahme des Spielbetriebes gemacht hat, sind die Staffeln Nord und Nordost an der Politik gescheitert. So haben Niedersachsen wie Berlin den Vereinen den Arbeitsbetrieb in ihren Bundesländern untersagt und damit den beiden Ligen de facto den Status „Profi-Fußball“ abgesprochen. Die Ligen West sowie Südwest hingegen erhielten diesen Status und scheinen ihre Saisons über die Bühne bringen zu können. „In dem Moment, da wir als Profi-Liga eingestuft wurden und somit die Freigabe zum Spielbetrieb erhielten, haben wir sofort gemeinsam mit den Vereinen nach Ansätzen wie unter anderem regelmäßige Testungen gesucht, um diesen Spielbetrieb möglichst dauerhaft absichern zu können“, erklärte Peter Frymuth, der Präsident des Fußballverbandes Niederrhein (FVN).

 Rosarot ist die Welt im Westen und Südwesten damit allerdings bei Weitem nicht. Hier wie dort wird jetzt ein anderes bereits länger schwelendes Ärgernis immer größer. In beiden Ligen führen mit den U 23-Teams von Borussia Dortmund und des SC Freiburg Zweitvertretungen von Bundesligisten die Tabelle mit großem Vorsprung an. Der ohnehin beschwerliche Weg zurück in die 3. Liga wird für Traditionsclubs wie Rot-Weiß Essen oder Kickers Offenbach durch eine gefährliche Schieflage der Zulassungsbestimmungen noch steiniger. „Klar sind wir für unseren Rückstand in der Tabelle in erster Linie selbst verantwortlich – bei den Zweitvertretungen aber können Mittel eingesetzt werden, welche es allen anderen Vereinen schon sehr schwer machen. Wir haben da einen systemischen Fehler“, sagt Marcus Uhlig, der Vorstand von Rot-Weiß Essen.

Zweite Teams können ohne Risiko immer üppiger bestückt werden

Der 50-Jährige kritisiert wie auch Offenbachs Geschäftsführer Thomas Sobotzik besonders zwei Dinge. Zum einen können die aus prall gefüllten Geldtöpfen der Bundesligisten generierten Etats der zweiten Teams ohne Risiko immer üppiger bestückt und über die Saison variabel verändert werden. Zum anderen müssen die zweiten Teams mit Transferschluss am 31. August keinen endgültigen Kader melden. „Fakt ist, dass der SC Freiburg II oder der BVB II so jedes Wochenende aus einem Bestand von 60 bis 70 Spielern aus erster Mannschaft, U 23 sowie U 19 ihre „Elf“ für die Regionalliga zusammenbasteln können“, sagte Sobotzik und Uhlig erklärt: „Wenn uns nach Ende der Transferperiode unser Rechtsverteidiger verletzungsbedingt langfristig ausfällt, so müssen wir die Vakanz mannschaftsintern lösen. Der BVB beordert in einem vergleichbaren Fall kurzerhand Bundesliga-Star Felix Passlack mit einem Marktwert von drei Millionen Euro nach unten. Macht ein „Konzern“ wie der BVB beim Aufstieg Ernst, so kann er mit ungleichen Waffen kämpfen.“

Gerade in Zeiten, in denen die Kassen der normalen Regionalliga-Vereine wegen Corona noch knapper gefüllt sind als ohnehin schon, fordern die Bosse von RW Essen und aus Offenbach den Verband zum Handeln auf. „Ich bin höchst gespannt, wie groß der Optimierungswille in dieser Angelegenheit sein wird“, ist Uhlig jedoch eher skeptisch, ob der DFB seinen Bundesliga-Zugpferden den Rücken schwächen will. Dabei bedroht die größer werdende Schere auch die 3. Liga. Nächste Saison könnten in dieser mit München, Dortmund und Freiburg schon drei U-Teams ohne Aufstiegsrecht vertreten sein - macht 15 Prozent der Liga. Setzt sich der Trend fort, droht dem DFL-Unterbau die Verwässerung. „Die 3. Liga hat seit der Gründung ohnehin bereits wirtschaftlich schwer zu knabbern, obwohl das Produkt bisher sehr attraktiv war und medial wie von den Fans angenommen wurde. Wenn dort jedoch künftig statt Duelle wie Saarbrücken gegen 1860 München vermehrt Spiele wie Wolfsburg II gegen Freiburg II stattfinden, dann gute Nacht“, meint Sobotzik. Uhlig sagt: „Eine Obergrenze wäre ein denkbarer Zwischenschritt, doch eigentlich müssen alle Zweitvertretungen aus dritter und vierter Liga raus.“

 Der DFB sieht das alles nicht so dramatisch. „Dass zwei U 23-Teams vor dem Aufstieg stehen, ist eine Momentaufnahme“, meint Tom Eilers, räumt aber ein: „Für die allgemeine Attraktivität der 3. Liga, öffentliches Interesse, Stimmung in den Stadien und Vermarktung sind natürlich große Vereine mit ihren ersten Mannschaften förderlicher.“ Genauso förderlich wäre es, wenn der DFB in Sachen Regionalliga das Heft des Handelns an sich reißen und es nicht mehr den Landesverbänden überlassen würde. Schließlich ist die vierte Liga auch abseits der aktuellen Probleme seit Jahren ein einziges Ärgernis. Vor allem die Tatsache, dass es aus fünf Ligen nur vier Aufsteiger gibt und somit ein Meister stets unbelohnt bleibt, erregt die Gemüter bei Vereinen wie Fans. Die Reduzierung auf vier Staffeln ist die simpelste Lösung und sie könnte recht einfach zu erreichen sein (siehe Kasten). Bayern könnte in nur einer Saison zwei Aufsteiger stellen – besonders am Bayerische Verband und dem Osten scheitert eine Reform der Regionalligen.

Bayerische Regionalliga ohne Daseinsberechtigung

Diese Aufteilung wäre immer noch ein Zugeständnis an Bayern, dessen Regionalliga für sich genommen keine Daseinsberechtigung besitzt. Im Juli 2019 war unsere Zeitung beim Spiel 1860 Rosenheim gegen den TSV Rain vor Ort und konnte sich ein Bild davon machen, dass diese Begegnung lediglich Oberliga-Niveau besaß. Zudem sagte ein Vertreter des TSV Rain auf Nachfrage, dass von den 18 Vereinen nur zwei einen Antrag auf den Aufstieg in die 3.Liga stellen würden. Die Saison 2019/20 ist bis heute nicht beendet, gleichwohl meldete der Bayerische Verband im vergangenen Jahr den SV Türkgücü München als Aufsteiger. Dieses Jahr wird der Tabellenerste an der Aufstiegsrelegation teilnehmen. Dass in einer Saison zwei Vereine aufsteigen können, ist schlichtweg grotesk. Diese Liga ist ein Lieblingskind von Dr. Rainer Koch, Präsident des Bayerischen Verbandes und DFB-Vize-Präsident. An ihm wird eine Regionalligareform daher mit scheitern. Der 62-Jährige weiß sehr gut, dass sich als Folge die Aufstiegschance von Vereinen aus Bayern ob deren Voraussetzungen gegenüber Vertretern Baden-Württembergs ganz erheblich minimieren würde.

Doch Koch ist nicht der einzige Verbandschef, der für das Regionalliga-Dilemma verantwortlich ist. Auch die Landesfürsten im Osten wollen ihr eigenes Süppchen kochen. Selbst 30 Jahre nach der Wiedervereinigung wird dort an einer eigenen Liga auf dem Gebiet der ehemaligen DDR festgehalten. Bis heute werden Begegnungen zwischen über 400 Kilometer voneinander entfernt liegenden Vereinen wie Rostock und Dresden als „Derby“ verkauft. Dieser Grundgedanke wird auf die Regionalliga übertragen, obwohl allein der Name dieser Liga unmissverständlich eine gewisse topographische Nähe der beteiligten Clubs zueinander ausweist. Der DFB ist dringlichst dazu aufgerufen, sich über seine 21 den Brei verderbenden Köche zu stellen. Sonst wird das Regionalliga-Desaster für immer ein einziges Chaos bleiben.

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