Das Phänomen Phelps

Sein Körperbau, seine Trainingsmethoden, seine psychische Stärke: Die Welt versucht, die Rekordjagd des US-Schwimmers zu erklären. Leise Doping-Zweifel werden schnell unterdrückt.

Peking. Es ist sein sechstes Rennen in Peking. Und das endet wie die fünf vorher. Sechster Start, sechstes Gold, sechster Weltrekord. 1:54,23 Minuten über 200 Meter Lagen, Michael Phelps schwimmt in einer anderen Welt, der 23 Jahre alte Amerikaner ist bei den Olympischen Spielen in neue Dimensionen vorgestoßen. Und sein Trainer und Entdecker Bob Bowman erwartet seinen Leistungshöhepunkt erst bei Olympia 2012 in London. Wenn "The Baltimore Bullit" aus dem Wasser steigt, tut sich aber Erstaunliches. Der 1,93 Meter große Mann mit einer Spannweite von 2,03 Metern wirkt auf einmal eher unbeholfen im Vergleich mit seiner unnachahmlichen Lage im Wasser. Luft und Wasser, die beiden Elemente unterscheiden Michael Phelps.

Sein Körper gilt Biomechanikern fast als das Nonplusultra des Schwimmsports. Bob Bowman spricht gerne von "einem aquatischen Körper". Sein Oberkörper ist im Vergleich zu den Beinen lang, 1,12 Meter zu 0,81 Metern. Die daraus resultierende Wasserlage nennt Ex-Schwimmstar Franziska van Almsick "unnachahmlich ruhig". Michael Phelps schwimmt mehr auf dem Wasser als darin. Und überhaupt: Im Element Wasser entwickelt sich der Einmalige zum Kraftwerk. Die Füße von Phelps passen in Schuhe der Größe 48,5. Der Amerikaner selbst spricht nur von seinen Flossen. Und das beschreibt die Funktion seiner Füße exakt. Aber auch das nennt sein Trainer noch nicht als seinen größten Vorteil. "Sein größter Vorteil ist, wie er mit Druck umgeht."

Die Muskeln des Über-Schwimmers sind besonders ausdauernd

Am Freitag schwimmt Phelps über 200 Meter Lagen Weltrekord, geht zur Siegerehrung, gibt erste Interviews und nur 20 Minuten später startet er in den Halbfinals über 100 Meter Schmetterling, qualifiziert sich für den Endlauf, und wirkt noch nicht einmal angestrengt. "Es ist ganz schön hart, aber es geht", sagt er mit einem Lächeln im Gesicht. Das Geheimnis: In den Muskeln von Michael Phelps wird unterdurchschnittlich wenig Laktat gebildet. Bei ihm behindert der Milchsäurezufluss die Arbeit der Muskulatur weniger als bei anderen Schwimmern. Michael Phelps übersäuert kaum. Bob Bowman sagt: "Es gibt ganz wenig Sportler, die eine so schnelle Regenerationszeit haben wie Michael Phelps." Das erklärt seinen kühnen Plan, in Peking bei acht Rennen Gold zu gewinnen und als der "Unvergleichliche" in die Geschichte einzugehen.

Ein weiterer Vorteil von Phelps ist seine Tauchphase nach dem Start und sein mächtiger Delphinkick. Den Vortrieb, den Phelps damit erzielt, raubt der Konkurrenz meist schon kurz nach dem Start ihre Chance. Und schließlich: Phelps schwimmt unglaubliche Trainingsumfänge. Bowman spricht darüber nicht, aber es sollen 100 Kilometer pro Woche sein. Das sind weit mehr als zehn Kilometer pro Tag, von den Serien ganz zu schweigen. Und daran knüpfen sich auch die Dopingspekulationen, die in Peking niemand ausspricht, die aber immer wieder im Aquatics Center zirkulieren. Wachstumshormone. Aber das sind nur Spekulationen. Nichts mehr. Als er noch ein kleiner Junge war, litt er am Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom. Das wurde mit Ritalin behandelt. "Er konnte noch nie stillsitzen, aber stundenlang Bahnen schwimmen", erzählt Mutter Debbie in Peking. Schwimmen war und ist für Michael Phelps vielleicht deshalb auch mehr als Schwimmen. Schwimmen ist für den Unglaublichen auch ein Stück Angstbewältigung. Kommentare gibt es dazu in Peking nicht.

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