Wer kratzt am Klitschko-Doppelthron?

Hamburg (dpa) - Die Klitschko-Brüder beherrschen nach wie vor das Schwergewichts-Boxen. Einige Protagonisten stöhnen deshalb über gähnende Langeweile, andere sehen eine baldige Neuordnung der Königsklasse.

Derzeit schlagen sich die Schwergewichtler im Wochenrhythmus durch deutsche Boxringe. Erst stoppte WBC-Weltmeister Vitali Klitschko Rüpel Dereck Chisora, eine Woche später rettete der völlig ausgepumpte WBA-Champion Alexander Powetkin gegen den Berliner Marco Huck mit Glück und Punktrichterwohlwollen seinen Gürtel, und am Samstag will WBA-Superchampion Wladimir Klitschko seinen 50. K.o. gegen den Franzosen Jean-Marc Mormeck feiern. In wenigen Wochen kommt es zum EM-Duell des Hamburgers Alexander Dimitrenko gegen den Bulgaren Kubrat Pulew, zudem demonstrierte kürzlich der Russe Denis Boizow aus dem Hamburger Universum-Stall seine Titelgier. Zur Zeit ist Deutschland ein Schlaraffenland für schwere Jungs. Aber ist das nur Masse oder auch Klasse?

In den vergangenen Jahren hatte sich neben der uneingeschränkten Regentschaft der Klitschko-Brüder gähnende Langeweile breitgemacht. Promoter Kalle Sauerland vom gleichnamigen Berliner Boxstall will jedoch das Ende der Schwergewichtskrise ausgemacht haben. „Damit ist Schluss“, meint Sauerland junior. „Die Krise ist vorbei. Es gibt viele neue Talente, es gibt viel Gesprächsstoff - und nicht nur negativ. Die Welt redet wieder über das Schwergewicht. Auch in den USA schaut man interessiert, was sich in Deutschland tut.“ Sauerland sieht den Finnen Robert Helenius, den schlagstarken Pulew wie auch den ehrgeizigen Huck aus seinem Stall im Kommen. Die sollen aber nicht verheizt werden, sondern noch zwei Jahre Erfahrungen sammeln.

Ex-Europameister Luan Krasniqi winkt enttäuscht ab. „Das Schwergewicht ist weiterhin in der Krise. Die Klitschkos sind in einer eigenen Liga, danach muss man drei, vier Stufen zu den anderen hinabsteigen“, entgegnet der ehemalige Profi aus dem schwäbischen Rottweil. Das Duell von WBA-Champion Powetkin gegen Huck hat ihn in seiner Meinung bestärkt. „Wenn Powetkins Leistung das Niveau eines Weltmeisters sein soll, ziehe ich meine Handschuhe sofort wieder an und komme in den Ring zurück“, beteuert der 40-Jährige und ergänzt: „Ein Weltmeister nach fünf Runden kaputt - eine Katastrophe.“

Langeweile quält auch den britischen Ex-Champion Lennox Lewis. Dem Fachmagazin „Boxsport“ verriet er: „Ich warte wie alle anderen auf die große Explosion, die einen Boxer hervorbringt, der die Klitschkos fordern kann.“ Doch es knallt nichts.

Wie sollte es anders sein: Auch an den Klitschkos nagt der Zahn der Zeit. Der Kampf von Vitali Klitschko gegen Straßenschläger und Spucker Chisora war kein Beleg für Klasse. Weil der 40-jährige Ukrainer ab der vierten Runde verletzt den linken Arm kaum noch bewegen konnte, hielt sich seine Urgewalt in Grenzen. „Wie er nach den zwölf Runden gepumpt hat, sah schlimm aus“, sagt sein ehemaliger Promoter Klaus-Peter Kohl erstaunt. „Hätte er einen stärkeren Gegner als Chisora gehabt, wäre es wohl anders ausgegangen. Irgendwann ist es mit den Klitschkos vorbei.“

Beobachter sehen nicht nur Klitschkos Verletzung als Grund für dessen mäßige Leistung an. Sie wähnen den Zwei-Meter-Hünen, der zwischen Parlament in Kiew, weltweiten Politterminen und dem Boxtraining hin- und herhetzt, über den Berg. „Vitali wird wohl sein letztes Jahr im Ring bestreiten“, mutmaßt Jean-Marcel Nartz, Vorstandsmitglied des Europäischen Verbands EBU. „Dann werden die Karten neu gemischt.“ Derzeit jedoch macht er wenig Hoffnung auf eine Neuordnung der Königsklasse: „Da hat sich nichts bewegt.“ Geschäftsmann Kohl bittet um etwas Geduld: „Im nächsten Jahr glaube ich an einen Machtwechsel.“

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